Sie fühlen sich als Team. Als Team Krankenhaus Radolfzell. Also nehmen Pflege-Stationsleiterin Nazmiye Sengül, Fachärztin Ivana Komljenovic und Chefarzt Sebastian Jung den Bürgerpreis 2022 der SPD Radolfzell für die Innere Medizin stellvertretend für das ganze Krankenhaus Radolfzell entgegen. „Diesen Bürgerpreis bekommen wir für das ganze Haus“, sagt Chefarzt Jung.

Preisträger vor Strukturgutachten festgelegt

Das ist ganz im Sinne der SPD, wie Hannes Ehlerding als Vorsitzender des Ortsvereins Radolfzell in seiner Begründung für die Verleihung schreibt: „Die Auszeichnung wird insbesondere für die Leistungen der Abteilung während der Hochphasen der Corona-Pandemie vergeben. Die Abteilung wird stellvertretend für alle Mitarbeiter des Krankenhauses, die an der Bewältigung der Pandemie beteiligt waren und dabei eine unglaubliche Belastung erfahren haben, geehrt.“

Was der SPD wichtig ist: Die Entscheidung für den Preisträger sei vor der Veröffentlichung des Strukturgutachtens über das Krankenhaus gefallen. Dennoch hat die Entscheidung für diesen Preisträger eine politische Wirkung. Denn der Gesundheitsverbund im Landkreis Konstanz, zu dem das Krankenhaus Radolfzell gehört, und der Landrat drängen darauf, die bestehenden Häuser in Radolfzell und Singen zu schließen und stattdessen ein komplett neues Krankenhaus zu bauen.

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Ein Gespräch zum Bürgerpreis kann das drohende Ende der Einrichtung nicht ausklammern. Chefarzt Jung hat das Ergebnis des aktuellen Gutachtens nicht überrascht, es sei gewissermaßen eine Fortsetzung der bisherigen Gutachten. Dafür hätte es keines weiteren Schriftstücks in dieser Form bedurft, glaubt Jung: „Das Ergebnis entspricht auch einer gewissen Bauernschläue. Natürlich sind drei Krankenhäuser günstiger als vier, und zwei Krankenhäuser sind günstiger als drei, am günstigsten ist dann nur noch ein Krankenhaus.“

Jung glaubt nicht an den radikalen Schnitt

Mit ein bisschen Wehmut schaut der Mediziner, der schon 30 Jahre im Krankenhaus Radolfzell arbeitet, auf die Gründung des Gesundheitsverbunds vor zehn Jahren zurück. Der Verbund habe sich damals das Motto auf die Fahnen geschrieben: „Nah‘ bei Ihnen.“ Nun komme es auch aufgrund vieler Entwicklungen im Gesundheitswesen zu Restrukturierungen, also einer Änderung der Arbeitsabläufe.

Doch der Chefarzt glaubt nicht, dass der radikale Schnitt in Radolfzell schnell zu erwarten ist: „Es ist nicht gewollt, dass man in drei Monaten unser Haus schließt.“ In Radolfzell könne man mit Einschränkungen leben und dennoch eine medizinische Grundversversorgung aufrechterhalten. Und das brauche es auch: „In der Ferienzeit kommt einer nach dem anderen bei uns durch die Tür herein.“

700 Corona-Patienten in Radolfzell

Enorm viele Patienten sind während der Corona-Pandemie im Krankenhaus Radolfzell versorgt worden. Jung gibt die Zahl mit rund 700 Patienten an, „aktuell sind es noch zwei“. Radolfzell sei der Standort im Gesundheitsverbund gewesen, an dem am meisten Corona-Patienten im Kreis Konstanz behandelt worden seien. „Das war eine strategische Entscheidung, die wir gerne mitgetragen haben“, sagt Jung. So hätten die Kliniken in Konstanz und Singen ihre Alltagsarbeit besser fortsetzen können.

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Das Team im Krankenhaus Radolfzell habe in dieser Zeit viel Können und Erfahrung im Umgang mit Corona-Patienten gesammelt. Es gebe immer noch Mitarbeiter, die sich trotz des täglichen Umgangs mit Corona-Patienten nicht infiziert hätten. Von denen, die Corona hatten oder haben, hätten sich die meisten im privaten Umfeld infiziert. „Wir halten die Hygienemaßnahmen extrem konsequent ein. Wir haben im Umgang mit diesen Patienten, was Heilung und Linderung betrifft, eine große Expertise entwickelt“, sagt Sebastian Jung.

Das Infektionsrisiko sei ihrem Team schon bewusst, berichtet Pflege-Stationsleiterin Nazmiye Sengül: „Aber es ist eine Krankheit und die müssen wir behandeln.“ Das bestätigt Fachärztin Ivana Komljenovic, die den Blickwinkel aus Patientenperspektive widergibt: „Manche hatten wirklich Angst.“ Für die schwerstkranken Patienten sei es auf der Intensivstation um Leben und Tod gegangen.

Ein Preis als Wertschätzung

Für Nazmiye Sengül ist der Bürgerpreis der SPD „besser als Klatschen“. Ivana Komljenovic empfindet ihn als Wertschätzung, „für das, was wir geleistet haben“. Chefarzt Jung betont, warum sie diesen Preis nur stellvertretend entgegennehmen: „Jeder in unserem Krankenhaus hat an der Bewältigung dieser Pandemie seinen Anteil.“ Etwa die Putzkolonne, die die Zimmer steril gemacht habe, der Hausmeister, der die Stationen habe umbauen müssen, die Rezeption, die auf Einhaltung der Vorschriften bei der Anmeldung habe achten müssen, die Mitarbeiter, die unendlich viele Testes über sich haben ergehen lassen. „Es war ein Kraftakt für das ganze Haus“, sagt Jung. „Alles ging Hand in Hand“, ergänzt Nazmiye Semgül. Und der Chefarzt ist sich sicher: „Das ist die Stärke von einem Krankenhaus in dieser Größenordnung.“

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Seit 116 Jahren halte das Krankenhaus Radolfzell die Grundversorgung in der Stadt aufrecht. „Es mag sich kitschig anhören, aber wir empfinden eine Verantwortung, dass die Stadt Radolfzell versorgt wird“, sagt Sebastian Jung. Doch nun hat der Gesundheitsverbund mit dem Strukturgutachten die Axt an das Haus auf der Mettnau gelegt. Auch weil dem Gesundheitsverbund im Landkreis das Personal ausgeht, drängt er auf eine Zentralisierung. Der Gesundheitsverbund setzt darauf, dass bei einer Schließung des Standorts Radolfzell die Beschäftigten nicht zu einer Einrichtung außerhalb des Verbunds abwandern.

Das Team will beieinander bleiben

Fachärztin Ivana Komljenovic befindet neutral: „Mein Arbeitgeber ist das Krankenhaus Radolfzell.“ Deutlicher wird Stationsleiterin Nazmiye Sengül, sie arbeitet seit 21 Jahren im Haus: „Hier ist es einfach familiär. Es gibt niemanden im Haus, den ich nicht kenne. Wir sind ein tolles Team.“ Da haben die Nachrichten aus der Geschäftsführung einen bedrohlichen Beiklang: „Die Angst ist da, dass man uns auseinanderreißt“, sagt Nazmiye Sengül.

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Chefarzt Jung berichtet, dass in vielen Gesprächen tatsächlich die meisten Mitarbeiter ein neues Krankenhaus zwischen Radolfzell und Singen befürworteten. Das böte arbeitstechnisch viele Chancen. „Doch die entscheidende Frage ist: Wie gestaltet man den Übergang?“, sagt Jung. Gäbe es ein überhastetes Ende für das Krankenhaus Radolfzell, „dann gehen uns viele Mitarbeiter verloren“. Dann wäre das Team gesprengt.