Weil alte Menschen in der Corona-Krise besonders gefährdet sind, gelten in Pflegeheimen und -Einrichtungen seit mehreren Wochen strenge Regeln für einen Besuch. Der soziale Kontakt mit Verwandten, Bekannten und Freunden wurde auf ein Minimum reduziert. Der Zustand vieler Bewohner verschlechtert sich jedoch dadurch. Vereinsamung ist dort ein Thema – nicht nur in der Pflegeeinrichtung in Radolfzell, sondern deutschlandweit.
36,7 Grad Körpertemperatur
Das Fieberthermometer zeigt 36,7 Grad. Normaltemperatur. Damit ist die letzte Hürde geschafft und einem Besuch im Altenpflegeheim Zum heiligen Geist in der Radolfzeller Poststraße steht nichts mehr im Wege. „Das müssen wir so machen, das Wohl unserer Bewohner steht an erster Stelle“, sagt Heimleiter Markus Bonserio.

Wer seine Verwandten und Bekannten in der Pflegeeinrichtung besuchen will, muss strenge Kontrollen über sich ergehen lassen. Manch einem Besucher drängt sich dabei der Eindruck auf, dass er einen Hochsicherheitstrakt betritt: Mundschutz ist Pflicht. Eine Liste mit den Kontaktdaten liegt gleich am Eingang aus, direkt neben dem Desinfektionsspender. Ohne eine vorherige telefonische Anmeldung geht gar nichts. Besuche in den Zimmern der Bewohner sind streng untersagt. Umarmungen strikt verboten.“Das Fiebermessen gehört ebenfalls zu den Vorgaben dazu“, sagt Bonserio. Damit könne ausgeschlossen werden, dass ein Besucher krank sei. „Es geht um die Minimierung des Risikos“, sagt Bonserio.
Nach dem Ausflug in die Quarantäne
Seit Anfang des Monats dürfen die Pflegeheimbewohner wieder das Haus verlassen. Doch wenn sie zurückkommen, müssen sie die kommenden 14 Tage in Quarantäne. „Das bedeutet Maskenpflicht im Haus und keine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben mit anderen Bewohnern“, erklärt Bonserio. Auch für Rückkehrer aus dem Krankenhaus heißt es erst einmal Isolation: Sie müssen für 14 Tage in ein Einzelzimmer. „Wir halten hier vier Zimmer für die Rückkehrer aus dem Krankenhaus oder für Neueinzüge bereit“, erläutert Bonserio.
Besuch nur durch die Scheibe
Im Büro von Verwaltungsleiterin Mara Bar steht an diesem Vormittag das Telefon nicht still. Geduldig erklärt sie, wann noch Termine für einen Besuch von Angehörigen frei sind. „Montag würde noch gehen, 14 Uhr“, sagt sie und notiert den entsprechenden Termin. Markus Bonserio erklärt, wie ein Besuch abläuft. Eigens hierfür wurde ein Raum in der Tagespflege hergerichtet. Bewohner und Besucher trennt eine Plexiglasscheibe, an deren Seiten wurden zwei Gitter montiert, damit man sich beim Sprechen besser versteht. „Unsere Bewohner und ihre Besucher werden dann einzeln in den Raum geführt“, sagt Bonserio.
Dann beginnt der Zeiger der Uhr zu laufen. 15 Minuten dauert ein Besuchstermin. Danach wird der Raum für fünf Minuten gelüftet und desinfiziert. „Dann wartet schon der nächste Besucher“, so der Heimleiter. Ein Besuch in den Zimmern der Bewohner sei indes nicht machbar, da man dort den Abstand von anderthalb Metern nicht einhalten könne.
Ausnahme sind Sterbefälle
Die einzige Ausnahme sind Sterbefälle. „Dann darf der Besuch ins Zimmer. Komplett in Einzelschutzbekleidung samt Handschuhe, Mund- und Nasenschutz“, so Bonserio. Danach werde die Bekleidung entsorgt. Doch genau hier hakt es: Wie der Heimleiter berichtet, seien diese Einzelschutzanzüge auf dem Weltmarkt derzeit kaum oder nur sehr schwer zu bekommen.

Durch die Maske geht das Vertrauen verloren
Maeza Abdu arbeitet im Pflegeheim Zum Heiligen Geist. Die Pflegekraft umschreibt die Situation als nicht einfach. Vor allem, weil viele Bewohner einsam sind. „Wir können die Familien nicht ersetzen, aber wir sind jeden Tag und jede Nacht da“, sagt Abdu. Alles was erlaubt sei, machen die Pflegekräfte möglich.
Dazu müsse man laut Abdu manchmal auch kreativ werden. „Der Kontakt zur Familie ist wichtig.“ So habe sie beispielsweise einer bettlägrigen Bewohnerin ihr eigenes Handy gegeben, damit sie mit den Lieben daheim per Video-Chat sprechen konnte. „Davon wusste ich gar nichts. Toll, was ihr leistet“, sagt Bonserio.
So emotional solche Geschichten sind, Meaza Abdu weist auch auf Probleme hin: „Das Arbeiten mit der Maske ist nicht nur sehr anstrengend, sie sorgt auch für eine ungewollte Distanz.“ Gerade im Demenzbereich sei es etwa wichtig, dass die Bewohner das Gesicht der Pflegekraft sehen. Durch die Maske gehe viel Vertrauen zwischen Pflegekraft und Bewohner verloren.
„Das Virus schaffen wir auch noch“
Margarete Korn-Hafner lebt im Pflegeheim Zum Heiligen Geist. Sie bekommt die Corona-Vorschriften jeden Tag mit. Aber klagen will sie nicht: „Ich fühle mich sehr wohl hier“, sagt die 89-Jährige. Natürlich vermisse sie ihre Familie sehr – vor allem die spontanen Besuche und das Reden. „Aber wir telefonieren sehr viel“, sagt sie.
„Das ist so viel Arbeit.“
Sie habe in ihrem Leben schon so viel erlebt: einen Weltkrieg, eine Wiedervereinigung, eine Wirtschaftskrise. „Das Virus schaffen wir auch noch“, gibt sie sich kämpferisch. Und in der Zwischenzeit werde sie von den Mitarbeitern und Pflegekräften betreut. Und dafür ist die Rentnerin sehr dankbar: „Das ist so viel Arbeit, was die Leute hier leisten. Ich bewundere sie dafür von ganzem Herzen“, richtet sie ihren Dank an die Pflegekräfte. Und überhaupt: Langweilig sei ihr in der Einrichtung nicht. „Wir haben hier immer etwas zu tun“, beschreibt sie ihren Alltag.
Keinen Corona-Fall im Heilig Geist
Im Pflegeheim Zum Heiligen Geist ist man für alle Eventualitäten gewappnet. „Das müssen wir auch“, betont Markus Bonserio. Derzeit leben 98 Bewohner in der Pflegeeinrichtung. Platz wäre für 102. In der Tagespflege, die derzeit für den Besuch von Außerhalb genutzt wird, stehen noch einmal sechs Plätze im Falle eines Corona-Ausbruchs bereit. „Hier werden diese Menschen dann isoliert“, so Bonserio.
Seit dem Ausbruch des Corona-Virus habe es allerdings im Heilig Geist keinen Infizierten gegeben – weder beim Personal noch bei den Bewohnern. „Damit das so bleibt, geben unsere Mitarbeiter in der Pflege aber auch in der Verwaltung jeden Tag Vollgas“, sagt Bonserio.
Corona macht sich finanziell bemerkbar
Neben den strengen Vorschriften, die besonders die Bewohner trifft, kämpft das Pflegeheim Zum Heiligen Geist auch mit den finanziellen Nebenwirkungen der Pandemie. So fehlen derzeit etwa die Einnahmen aus der Tagespflege. Wann diese wieder für den regulären Betrieb öffnen dürfe, stehe derzeit noch nicht fest.

Auch die Freihaltung von Betten für Corona-Infizierte und die Regelung mit der Einzelquarantäne nach Außer-Haus-Besuchen mache sich bei den Finanzen im Pflegeheim Zum Heiligen Geist bemerkbar. „Wir können derzeit nicht jedes Doppelzimmer auch doppelt belegen“, sagt Bonserio.
Ab dem 1. Juli: Zwei Besucher am Tag – auch auf dem eigenen Zimmer
Markus Bonserio weiß, wie wichtig es ist, in Zeiten der Pandemie klare Regularien zu haben. Aber manchmal wünsche er sich nur eines: „Dass wir einfach die Türen wieder öffnen.“ Die Vorgaben aus Berlin und Stuttgart bezeichnete er als streng. „Vieles davon ist in kleinen Einrichtungen überhaupt nicht umsetzbar. Pflege ohne Körperkontakt, das geht nicht“, so Bonserio. Er hoffe nun auf den 1. Juli. Dann soll es eine neue Verordnung für Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen geben. Und als ob man den Radolfzeller Pflegedienstleiter in Stuttgart gehört hätte, hat die Landesregierung am Freitag Lockerungen für Besuche in stationären Pflegeeinrichtungen und für Tagespflegeeinrichtungen beschlossen. Sie gelten ab dem Mittwoch, 1. Juli. So sehen die wichtigsten Neuerungen aus:
- .Die Uhr und die Anzahl: Wie die städtische Pressestelle auf SÜDKURIER-Anfrage mitteilte, können die Bewohner im Heilig Geist ab dem 1. Juli zwei Besucher pro Tag empfangen. „Somit bleibt der Außenkontakt weiterhin reduziert“, heißt es in der Mitteilung. Die Besucherzeiten sind nicht mehr begrenzt. Zudem besteht ab Mittwoch auch die Möglichkeit mit den Angehörigen die Einrichtung zu verlassen.
- .Die Räumlichkeiten: Bisher war es im Pflegeheim Zum Heiligen Geist verboten, dass Bewohner ihren Besuch auf dem eigenen Zimmer empfangen. Das ändert sich nun: Besuche können grundsätzlich wieder im Bewohnerzimmer oder im Außenbereich stattfinden. Der Besuch in Gemeinschaftsbereichen wie etwa der Cafeteria oder im Aufenthaltsraum bleibt weiterhin untersagt.
- .Die Maske: Besucher müssen weiterhin eine Maske tragen. Allerdings kann im Außenbereich unter Wahrung des Mindestabstands auf sie verzichtet werden. Des Weiteren ist auch die Pflicht für Bewohner, nach dem Verlassen der Einrichtung eine Maske für 14 Tage zu tragen, aufgehoben worden.
- .Der Abstand: Grundsätzlich gilt: 1,5 Meter Abstand. Dieser entfällt nun allerdings für Personen, die mit den Bewohnern in gerader Linie – also etwa Geschwister und deren Nachkommen – verwandt sind. (mgu)