Komplizierte Mülltrennung, Pünktlichkeit und ein spezieller Sinn für Humor – Amerikaner sagen Deutschen so manches Klischee nach. Am Berufsschulzentrum Radolfzell waren jüngst Austauschschülerinnen und -schüler der Royal Oak High School aus dem Raum Detroit/Michigan zu Besuch und haben ihre ganz eigenen Erfahrungen in Radolfzell und der Region gemacht. Zwei Wochen lang wohnten die 17-Jährigen bei Gastfamilien im gesamten Landkreis und haben erlebt, wie Jugendliche in Radolfzell zur Schule gehen und ihre Freizeit verbringen. Dabei sind ihnen einige Dinge am Deutsch-sein aufgefallen.

Jugendlichen wird hier mehr vertraut

Die 17-jährige Rachel McGowan beschreibt ein ganz anderes Familienleben, als sie es daheim kennt. „Hier gibt es feste Essenszeiten und es ist wichtig, dass alle gemeinsam essen“, sagt sie. In Ihrem Zuhause in Royal Oak seien gemeinsame Mahlzeiten die Ausnahme. Jeder in der Familie habe einen anderen Zeitplan und Termine. Gemeinsam essen würde man vielleicht einmal am Sonntag.

Gleichzeitig seien Jugendliche im Schulleben viel freier. Ihr Schulkamerad Jackson Bofferding vergleich seinen Schulalltag in Michigan mit dem in Radolfzell: „Hier ist es viel entspannter, den Jugendlichen wird wesentlich mehr vertraut.“ Zuhause dürften sie nicht einmal das Schulgebäude verlassen während einer Freistunde, doch hier sei es völlig normal, sich frei bewegen zu können.

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In den USA fährt jeder Auto, hier nur ein paar Mal am Tag ein Bus

Erste ernüchternde Erfahrungen haben die Jugendlichen auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln im Landkreis Konstanz gemacht. Michaela Penchoff hat wie alle anderen mit 17 Jahren in den USA längst den Führerschein. Davor ist sie von ihren Eltern oder von Freunden stets mit dem Auto zur Schule gebracht und wieder abgeholt worden. Joecelynn Schirwitz war bei einer Gastfamilie in Steißlingen untergebracht und musste für einen Besuch in Konstanz viel Wartezeit erdulden. „Wir haben den Bus verpasst und mussten eine Stunde auf den nächsten warten. Zurück mussten wir uns dann abholen lassen, weil gar nichts mehr fuhr“, beschreibt sie die Erfahrung.

In den USA könnten sich Jugendliche viel spontaner und flexibler verabreden, denn jeder sei mobil. Was viele deutsche Jugendliche machen, um diese Mobilität zu bekommen, hat die jungen US-Amerikanerinnen und -Amerikaner allerdings überrascht. „Jugendliche fahren kein Motorrad im Straßenverkehr, das ist viel zu gefährlich“, sagt Rachel McGowan.

Die Deutschen sind direkt, aber nicht so laut wie gedacht.

Die US-Politik beherrscht die Nachrichtenlage in Deutschland derzeit beinahe jeden Tag. Für die Jugendlichen aus Royal Oak eine ungewöhnliche Erfahrung. „Die Leute in Deutschland sind wahnsinnig direkt. Und stellen auch Fragen, die für uns eher ungewohnt sind“, berichtet Natalie Kornmiller. Mit Fremden über Politik sprechen, das sei in den USA nicht üblich. Sie selbst störe sich aber nicht an den Fragen, sei aber verwundert, was Deutsche alles wissen wollen würden.

Rachel McGowan hatte die Annahme, Deutsche seien besonders laut, die Sprache wirke manchmal aggressiv. „Aber wenn ich jetzt unter Deutschen bin, fällt mir auf, dass wir Amerikaner so viel lauter sind“, sagt sie. Alle hätten das Gefühl, als US-Amerikaner in Radolfzell aufzufallen wie bunte Hunde. „Ich dachte, man merkt es höchstens, wenn man uns reden hört, aber irgendwie sieht man es uns an, dass wir Amerikaner sind.“ Sophia Forwerck erzählt, dass sie erst hier von dem Spitznamen gehört habe, den Deutsche für Amerikaner hätten: „Wir werden anscheinend Amis genannt. Das ist irgendwie süß.“

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Das Essen ist so gut, aber es fehlt die Schärfe

Beim Thema Essen wird es in der Gruppe unruhig, dazu hat jeder eine klare Meinung. „Das Essen ist so gut und die Zutaten sind so viel besser als bei uns zuhause“, schwärmt Stella Rogers. Vor allem seien diese frischer und die Qualität besser. Charlie Gilreath hat auch einen Unterschied bei verarbeiteten Lebensmitteln bemerkt: „Zuhause mag ich keine Fanta, aber hier schmeckt sie so gut.“ Nur eins fehlt allen: die Schärfe.

Das deutsche Essen sei deftig, salzig, aber man bekomme nirgendwo richtig scharfes Essen. Vor allem kein authentisch mexikanisches Essen. „Was hier als scharf bezeichnet wird, ist maximal mild“, so Natalie Kornmiller. Auch mit dem kohlensäurehaltigen Mineralwasser haben die Jugendlichen so ihre Probleme. Nur ein Getränk habe sie gänzlich überzeugt: die Apfelsaftschorle.

Der amerikanische Schulgeist und die deutsche Freiheit

Da sich die Austauschschüler gerade im Prozess befinden, sich für ihren weiteren Lebensweg für eine weiterführende Schule entscheiden zu müssen, hat sie der große Unterschied im deutschen Bildungssystem besonders überrascht. Anthony Gotta beschreibt den Bewerbungsprozess für ein US-College, vergleichbar einer deutschen Fachhochschule: „Die College-Bewerbungen sind sehr aufwendig, weil du dich bei jeder Schule separat bewerben musst. Und alle wollen Essays, Bewerbungsmappen oder Motivationsschreiben.“

In Deutschland sei der Weg zu einer weiterführenden Schule unkomplizierter. Ohnehin gebe es viel mehr Auswahl. Ob Berufsschule, Fachhochschule oder Universität – junge Menschen könnten sich auch noch später umentscheiden und etwas Neues starten. „In meiner Klasse hier ist jemand, der ist 23 Jahre alt, das hat mich total überrascht“, berichtet Michaela Penchoff.

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Der Preis dieser individuellen Gestaltung der schulischen Laufbahn sei aber auf Kosten des Zusammenhaltes. „Die Schulkultur ist ganz anders bei uns. Wir fühlen uns der Schule sehr verbunden und identifizieren uns mit ihr“, erklärt Stella Rogers. Und das gehe auch im College so weiter. Deswegen wollten die Schulen mehr Informationen als nur den Notendurchschnitt, wie es in Deutschland der Fall sei. „Sie wollen wissen, wer du bist und nicht nur, was du kannst“, fasst Sophia Forwerck zusammen.