Für Radolfzeller Bürger und ihre medizinische Versorgung ist es der zweite Tiefschlag innerhalb weniger Monate. Zunächst beschloss der GLKN kurzfristig, das Radolfzeller Krankenhaus schon diesen Sommer zu schließen. Nun sprach sich auch noch die Grundstückskommission dafür aus, das neue Klinikum auf einem der von Singen eingereichten Standorte zu errichten. Radolfzell ging abermals leer aus – und fühlt sich abgehängt.
Oberbürgermeister Simon Gröger zeigte sich „überrascht“ vom Votum der Standortortkommission. Ein Neubau auf Radolfzeller Gebiet „wäre ein gutes Zeichen gewesen“, sagte er im Anschluss an die Entscheidung. Und auch die Fraktionsvorsitzenden im Radolfzeller Gemeinderat sprechen auf Anfrage unisono von einem erschreckenden Vorgehen der Grundstückskommission.
„Bedauerliche“ Entscheidung und „hemdsärmeliges“ Vorgehen
„Ich kann die Wahl der Kommission nicht nachvollziehen, da sie die Vorgaben aus dem Lohfert-Gutachten vollständig konterkariert“, kritisiert Siegfried Lehmann (FGL) die Entscheidung deutlich. In diesem Gutachten war mittelfristig zu einem zentralen Klinikstandort für den gesamten Landkreis geraten worden. Deshalb sollte dieser mittig im Kreis liegen und in alle Richtungen gut angebunden sein. „Das ist bei dem gewählten Grundstück in Singen eindeutig nicht der Fall“, findet Lehmann.
Nicht nur für Radolfzell, sondern vor allem für die Finanzen des GLKN und des Landkreises sei diese Entscheidung „bedauerlich“. Denn damit habe der GLKN sich vom Plan eines Zentralklinikums verabschiedet, weshalb wegen der Doppelstrukturen weiterhin mit roten Zahlen zu rechnen sei. Die Gründe für die Entscheidung bezeichnet Lehmann als „an den Haaren herbeigezogen“, das Vorgehen der Kommission als „hemdsärmelig“. Dass die Bewertungsmatrix nicht öffentlich gemacht werde, sei „besonders bedauerlich“ und ein „großes Manko“.

Auch Norbert Lumbe (SPD) sagt: „Die Entscheidung der Kommission entspricht nicht den Empfehlungen im ursprünglichen Gutachten.“ Überrascht sei er aber nicht. Spätestens seit der Besichtigung der einzelnen Grundstücke habe sich abgezeichnet, dass es auf die Fläche im Singener Norden hinauslaufe.
„Ich gehe aber davon aus, dass die Kommission sich fachlich an den Prämissen des Gutachtens orientiert hat. Eine Schwäche in deren Urteil ist aber, dass die Kriterien nur für den Standort im Singener Norden geprüft wurden und für die anderen Flächen nicht mehr“, gibt sich Lumbe diplomatischer. Allerdings müsse Singen nun klarstellen, wie es die Überlastung der dortigen Notaufnahme bis zum Neubau nach 2030 lösen will.
Bauernopfer einer politischen Entscheidung?
Eine ganze Ecke deutlicher fällt die Kritik der Freien Wähler aus. So bezweifelt Dietmar Baumgartner die Objektivität der Kommission, da deren Begründung nicht dem Lohfert-Gutachten entspreche. Es sei eine „politische Entscheidung“ und keine sachliche gewesen, mit der er aber auf Grund der Gesellschafterstruktur im GLKN gerechnet habe. „Die Interessen von Singen und Konstanz überwiegen. Radolfzell ist als Minderheitsgesellschafter jetzt das Bauernopfer“, kritisiert er deutlich.

Besonders das Vorgehen der Grundstückskommission stößt Baumgartner sauer auf. „In der Pressekonferenz sprachen sie von Transparenz. Doch es gab keine, weil die Kommission nur hinter verschlossenen Türen getagt hat. Das finde ich schade und hat mich sehr geärgert“, sagt er.
Die Ergebnisse der Kommission sollen noch öffentlich diskutiert werden: Die kommunalen Gremien der Gesellschafter des GLKN beraten sich im November und Dezember in ihren öffentlichen Sitzungen zur Empfehlung, wie das Landratsamt erklärt, um zu einer finalen Entscheidung in der Standortfrage des Klinikneubaus zu gelangen. Zunächst steht die Grundstücksempfehlung am Montag, 27. November, auf der öffentlichen Tagesordnung des Verwaltungs- und Finanzausschusses des Kreistages.
Fundierte Gründe fehlen laut Jürgen Keck
Auch Jürgen Keck (FDP) spricht von einer politischen statt einer sachlichen Entscheidung, die sich seit Monaten abgezeichnet habe. „Besonders erschreckend ist, dass die Kommission keine fundierten Gründe nennt. Sie hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, zu sagen, welche Punkte für Singen sprechen“, kritisiert er deutlich. In der Konferenz hieß es: Aufgrund der guten räumlichen und baulichen Bedingungen spreche sich die Kommission für eine schnelle Umsetzung des Neubaus für den Standort Singen Nord aus, weiteres Argument sei die bessere Erreichbarkeit mit den öffentlichen Verkehrsmitteln.

Er selbst wisse nicht, was in Singen besser als in Böhringen ist, so Keck. Die Radolfzeller Grundstücke lägen zentral im Kreis und seien gut angebunden – unter anderem mit einer Bahnhaltestelle, was in Singen nicht gegeben ist. „Es ist brutal, wenn so etwas dann per Federstrich auf diese Art und Weise entschieden wird“, sagt Keck weiter.

Und Bernhard Diehl, der Fraktionsvorsitzende der CDU, sagt: „Insgeheim habe ich damit bereits gerechnet.“ Ihm sei bewusst gewesen, dass man „die Achse Singen-Konstanz nicht durchbrechen kann“. Radolfzell habe dennoch zwei gute Angebote abgegeben. Die eindeutige Entscheidung habe ihn daher überrascht, auch wenn der ausgewählte Standort in Singen ebenfalls gut geeignet sei.
Ihm selbst sei es wichtig, dass die Gesundheitsversorgung für alle Menschen im Kreis gesichert sei. Da sei er gerne bereit, „über den Tellerrand hinauszublicken“. Wenn man hingegen in Singen jetzt vom größeren Selbstbewusstsein als ausschlaggebendem Punkt spricht, wirke das arrogant.
Förderverein kann Entscheidung nachvollziehen
Deutlich zurückhaltender als die Stadträte äußert sich Johannes Kögel, Vorsitzender des Krankenhaus-Fördervereins, der sich nun auflösen wird: „Wir sind natürlich sehr enttäuscht, wie alle in Radolfzell. Die Entscheidung ist aber nachvollziehbar und nicht überraschend.“

Er habe eine Entscheidung für Singen bereits befürchtet, da keiner der Standorte in Böhringen ohne Rodungen und Prüfungen so einfach hätte bebaut werden können. „Wir hätten es uns anders gewünscht, aber es ist kein Untergang“, so Kögel weiter. Wichtig sei nun für Radolfzell, eine vernünftige Versorgung bis zum Neubau sicherzustellen. Doch wie könnte die aussehen?
Wird ein MVZ wieder zum Thema?
„Es ist klar, dass etwas passieren muss, um die Gesundheitsversorgung in Radolfzell zu sichern“, sagt Dietmar Baumgartner dazu. Er werde in der kommenden Haushaltsberatung abermals für ein MVZ werben, um die Versorgung mit Haus- und Kinderärzten in Radolfzell zu sichern. Auch laut Jürgen Keck sei es für Radolfzell nun Zeit, auf sich selbst zu schauen und irgendeine Art von kommunalem Versorgungszentrum zu schaffen. „Solidarität haben wir genug gezeigt – aber wo war die der anderen gestern“, fragt er einen Tag nach der Empfehlung der Grundstückskommission.
Bernhard Diehl fordert zumindest eine rasche Klärung der Rückgabebedingungen für das alte Krankenhaus: „Wir brauchen Gewissheit, ob wir die medizinische Versorgung dort oder woanders durch Arztsitze sichern können – in einem MVZ oder in einer anderen Form.“ Und auch Norbert Lumbe fordert rasche Gespräche zwischen Stadt und Ärzten über den Bedarf nach einem MVZ – allerdings unabhängig vom Krankenhausgebäude.
Klar ist: Oberbürgermeister Simon Gröger hatte bereits unabhängig von der gestrigen Entscheidung vor, mit den Höri-Gemeinden und den Radolfzeller Ärzten genau darüber zu sprechen. Das erklärte er unter anderem jüngst im Gemeinderat.