Der Klimawandel betrifft alle Menschen auf der Welt. Wirklich alle? Auf dem Radolfzeller Marktplatz hat sich kurioserweise ein ungewöhnliches Mikro-Klima ausgebreitet. Denn dort herrscht Eiszeit. Die Marktfrau schmeißt schon mal den Heizpilz an, der Tourist mit Eisklötzen an den Füßen greift zum Glühwein.

Doch wieso wachsen Ananas auf der Höri, doch auf dem Radolfzeller Marktplatz erlebt ein Schneemann seinen ersten Juni? Nun, dazu hat der echte Zeller Schneemann, gespielt von Philipp Weidele, eine Theorie.
Schließlich ist sein Kopf auf dem Schulhof der Tegginger Schule gerollt worden, was ihn hat gescheit werden lassen: Es liegt an dem eisigen Wind aus dem Rathaus und der politischen Eiszeit in Radolfzell.

Und schon ist der Besucher mitten drin im Narrenspiegel der Narrizella Ratoldi. So klamaukig die Szenen daherkommen mögen, am Ende geht es immer ums Eingemachte: Politik und Stadtgeschehen des vergangenen Jahrs werden hier ordentlich aufs Korn genommen.
Kein Stadtrat und schon gar kein Oberbürgermeister sind von dem Spott und der Schelte der Narren sicher. Lothar Rapp brachte es als Kappedeschle in seiner Narrenschelte auf den Punkt: An Fasnacht hat der Mensch Rügerecht.

Und zu Rügen hatten die Autoren der Garde, die für die Texte verantwortlich sind, einiges. Doch hatten sie auch konstruktive Vorschläge gemacht, wie denn die Stadtverwaltung seine leeren Kassen auffüllen könnte.

Hierfür hatte nämlich OB Staab, wie immer mit verblüffender Ähnlichkeit gespielt von Axel Heinzelmann, zu einer Geheimsitzung auf das Gelände der Technischen Betriebe auf der Mettnau geladen. Sämtliche Fraktionsvorsitzenden, außer Bernhard Diehl von der CDU, haben ein geheimes Passwort erhalten, welches ihnen Zutritt zur Brennstube verschaffen soll.

Dort erläutert er seinen Plan: Zeller Schnaps brennen und weltweit vermarkten. Jegliche Geldsorgen sind dann passé. Ob sich der echte OB diese Idee notiert hat, ist nicht bekannt.
Auf der Bühne kredenzt der Narrizella-OB, der eine regelrechte Passion für das Schnapsbrennen entwickelt hat, auch ein paar seiner Produkte. Der Tropfen „Konstanzer Straße“ ist bei den Testern jedoch durchgefallen.
Der Klare schmecke bitter, mit leichtem Teeraroma und breit im Abgang. Die Sorte „Neues Altenheim fernab jeglicher Kultur“ schmecke hingegen noch nicht ganz ausgereift. So wird das also nichts mit dem schnellen Geld, doch die Stadträte sind nach der fünften Probe schon überzeugt.

Zwischen den einzelnen Szenen tauchen immer wie zwei alte Bekannte des Narrenspiegels auf. Tim Schwenke und Ole Schmal, dieses Mal Mitarbeiter des KAD, des Kurgäste-Abhold-Dienst.
Sie führen im Auftrag von Kur-Direktor Ekki Scholz zwei Kurgäste zu den schönsten Stellen in Radolfzell. Dabei sind Haltepunkte am Baumhotel Viktoria oder an den Pakethallen, beides Beispiele für die Naturverbundenheit der Stadtverwaltung.
Neben herausragenden Kostümen und einer Maske, die eine erstaunliche Ähnlichkeit zu den Originalen aufweist, zeichnet sich der Narrenspiegel der Narrizella vor allem durch die musikalische Klasse aus.
Die Seefunkgruppe machte dieses Jahr keine halben Sachen: Es müssen schon Superhelden sein. Doch sehen auch sie, trotz gebündelter Superkräfte, in Radolfzell ihre Macht beschränkt. Sie singen „Wollt ihr wirklich Superhelden, denn hier hat nur einer was zu melden“ deutlich in die erste reihe des Milchwerks.
Überraschungs-Star des Abends ist Uwe Kemmer, der als Eiskönigin Elsa das Männerballett anführte und eine waschechte Musical-Atmopshäre auf die Bühne brachte.
Dieses Talent erkannte auch die Garde und ließ ihn regelmäßig zwischen den Szenen auftauchen. Ebenfalls Dauergast auf der Bühne ist Berthold Hepfer als etwas in die Jahre gekommene Klimaaktivistin Greta Thunberg. Sie zeigt ihre Meinung mit einem Protestplakat: „Zwarm skal Degegö“.

Der Narrenspiegel der Narrizella ist bissig, aber nicht böse, klamaukig, aber nie plump. Er ist, was ein Narrenspiegel sein soll: Wiedergabe von Stadtgespräch, mit viel Ironie, aber ohne erhobenen Zeigefinger. Vorgetragen mit Galgenhumor, ohne zynisch zu werden. Kritik und Parodie, ohne den Kritisierten der Lächerlichkeit preiszugeben, ihn aber dennoch zum Nachdenken anzuregen kann.
Letzte Chance
Wer Lust bekommen hat, den Narrenspiegel der Narrizella Ratoldi noch selbst live zu erleben, hat Montagabend, 10. Februar, um 20.11 Uhr, die letzte Chance. Karten gibt es noch an der Abendkasse direkt im Milchwerk Radolfzell.