Dass Radolfzeller lebenslustiger und genussfreudiger sind als zum Beispiel Schwarzwälder, das war eigentlich allen Radolfzellern schon immer klar. Aber dass man dies auch der traditionellen Tracht der Stadt ansehen kann, darauf machte jüngst der Fotokünstler Sebastian Wehrle aufmerksam. Er hatte verschiedene Modelle in der Radolfzeller, aber auch der Schwarzwälder Tracht fotografisch in Szene gesetzt.

Seine Aufnahmen sind Teil der Sonderausstellung zur Tracht anlässlich der Heimattage Baden-Württemberg in Radolfzell und zum 100-jährigen Bestehen der Trachtengruppe im Stadtmuseum. Er kennt die Trachten Süddeutschlands durch seine Arbeit bestens und stellt fest: „Die Radolfzeller wagen vergleichsweise viel Dekolleté, deutlich mehr als die Schwarzwälder Trachten.“ Seine Werke und viel mehr zum Thema Tracht gibt es ab heute, 20. März, im Stadtmuseum zu sehen.
Und noch mehr Geheimnisse der Radolfzeller Tracht werden gelüftet. Der Kostüm- und Bühnenbildner Joachim Steiner hat sich die Kleider genauer angeschaut und ist begeistert von der Farbvielfalt. „Ich war eher kritisch eingestellt und hatte mit Konservatismus in so einem Trachtenverein gerechnet“, berichtet der Kostümbildner des Stadttheaters Konstanz.

Doch der Radolfzeller Trachtenverein sei sehr liberal, die Farben hätten die Frauen frei und nach Mode ausgesucht, ohne jeden Zwang, berichtet er. Ein ähnliches Aha-Erlebnis hatte auch Filmemacherin Teresa Renn, die im Rahmen der Heimattage eine Dokumentation über die Trachtengruppe und das Tragen der Tracht in Radolfzell gedreht hatte. „Nichts daran ist irgendwie verstaubt“, sagt sie. Familien würden ihre Kinder schon früh an die Tracht heranführen, Aufnahmen und Interviews sind im Rahmen der Ausstellung zu sehen.

Einen besonderen Stellenwert hat die Trachtenhaube. Die Ausstellung zeigt die verschiedenen Macharten der Hauben, die im gesamten Süden Deutschlands zu finden sind. Viele sind aus Metallgarn, manchmal sogar Gold, Silber oder Bronze, geklöppelt. Eine anspruchsvolle Handarbeit, die nur noch wenige beherrschen.
Bis zu 300 Stunden Klöppel-Arbeit sind notwendig, um eine Radolfzeller Trachtenhaube anzufertigen. Doch wie auch die Kleider wurde die Haube den aktuellen Modetrends angepasst. Anfang des 19. Jahrhunderts sei viel in Gold und Silber getragen worden, erklärt Hildegard Bibby vom Stadtarchiv. Mitte des 19. Jahrhunderts ging der Trend dann zu Schwarz. Bei den Kleidern war die Entwicklung andersherum. Von anfänglich schwarzen Kleidern und Tüchern wurde die Mode immer bunter.

Einen eigenen Raum in der Ausstellung erhält der Gründer der Radolfzeller Trachtengruppe, Hermann Sernatinger. Der Geistliche brachte die Idee einer Trachtengruppe aus dem Schwarzwald mit, wo er eine Zeit lang gewirkt hatte.

Ihm sei es während der fortschreitenden Industrialisierung und der tiefgreifenden Veränderung innerhalb der Gesellschaft zur Jahrhundertwende wichtig gewesen, die Tradition und die „guten alten Sitten“ am Leben zu erhalten, erklärt Museumsleiter Rüdiger Specht. Bei den Radolfzeller Damen traf er damit einen Nerv, diese zeigten sich schnell von einer Trachtengruppe begeistert, brachten erst ihre Kinder mit und überredeten danach ihre Männer, die Tracht wieder anzuziehen.