An diesem Vormittag geht es um die Wurst. Die neueste Kreation wird mit Whiskey verfeinert, einige Dutzend Pärle sind gerade fertig geworden. Daneben liegen die „68er-Würste“, die natürlich so heißen, weil das Brät mit Hanfsamen angereichert wird. Vorne an der Theke ist es angenehm kühl an diesem Sommertag, das Surren der Lüftung wird allerdings immer wieder von Bohrgeräuschen übertönt.
Umbau ist wichtig, um am Markt bleiben zu können
Familie Günther baut um. Und zwar so richtig. Die kleine Metzgerei mitten in einem Wohngebiet im Radolfzeller Norden soll größer werden, richtig modern, dem Wandel des Zeitgeistes angepasst. 750.000 Euro kostet der Umbau. Aus dem kleinen Verkaufsraum, in dem kaum vier Leute vor der Theke Platz haben, soll eine Mischung aus Metzgerei, Partyservice-Zentrale und einem Mittagstisch-Restaurant mit 36 Plätzen auf 160 Quadratmetern werden. Denn „mit einer klassischen Metzgerei, die sonst nichts macht, gewinnt man heute keinen Blumentopf mehr“, sagt Firmenchef Hermann Günther.
Eine Einschätzung, die Joachim Lederer aus Weil betätigt. „Es gibt noch etwa 900 Betriebe in Baden-Württemberg“, sagt der Landesinnungsmeister. Der Trend ist rückläufig, in den vergangenen Jahren wurden in Baden-Württemberg mehr Betriebe geschlossen als neue dazugekommen sind. Wurst und Fleisch gibt es in einigen Gemeinden tatsächlich nur noch im Discounter oder Supermarkt. „Aber die, die bleiben, expandieren und haben steigende Umsätze“, erklärt Lederer.
Grillen liegt im Trend, vegane Ernährung aber auch
Die Gründe für die Betriebsschließungen sind vielfältig. Zu Hochzeiten der Corona-Pandemie wurden Zustände in Großbetrieben aufgedeckt, wo Fleischzerleger aus Osteuropa noch nicht einmal den Mindestlohn bezahlt bekamen und Hygienemängel offen gelegt wurden. Grillen liegt voll im Trend, doch es gibt kaum ein Barbecue, bei dem nicht auch Veganer oder Vegetarier dabei sind.
Hermann Günther war 13 Jahre alt, als der Vater eine Sau schlachten ließ, direkt bei einem Landwirt in der Nähe von Sindelfingen. Dass die Bilder den Lebensweg seines Juniors beeinflussen würden, hätte Papa Hans, der selbst 40 Jahre „beim Daimler als Industriemeister geschafft hat“, sicher nicht gedacht.
„Mich hat es fasziniert“, sagt Hermann Günther, und die Faszination sei bis heute geblieben. „Etwas herzustellen, was man genießen kann, daran habe ich mehr Freude als an allem anderen“, so der 46-Jährige. Handwerk und Kunst sei der Beruf, eben ein Produkt zu verarbeiten – nicht schlampig, sondern sauber, sodass der Kunde keinen Knorpel in der Wurst hat. Oder neue Produkte zu entwickeln, wie eben Würste mit Whiskey oder Hanf.
Am besten in kleinen Mengen und küchenfertig
Geschlachtet wird in Radolfzell nicht. Das Fleisch bezieht die Familie vor allem aus einem regionalen Schlachthof bei Schwäbisch Hall, der die Tiere von Bauern aus der Umgebung bezieht und ständig kontrolliert werde, wie Jenny Günther versichert.
Die Branche habe sich sehr verändert, erklärt das Paar. Denn die Zeiten, als große Stücke Fleisch über die Theke gingen, seien lange vorbei. „Früher kaufte eine zehnköpfige Familie einen ganzen Schweinehals oder auch mal 500 Gramm Aufschnitt. Das gibt es heute nicht mehr“, so der Firmenchef. Manche Waren seien auch komplett aus dem Angebot gestrichen worden, etwa Zungenwurst, „weil das keiner unter 30 Jahren noch isst“. Stattdessen werden kleinere Mengen gekauft, „die möglichst küchenfertig sein müssen“.
Berufsbild hat sich verändert
„Das Berufsbild hat sich schon lange geändert“, bestätigt Lederer. „Nein, eigentlich hat es sich zurückentwickelt“, korrigiert der Innungsmeister aus Weil am Rhein. „Früher gehörte zu jeder Metzgerei ein Gasthaus, in dem Erzeugnisse gekocht, gebraten, veredelt wurde. Das kommt jetzt wieder und ist inzwischen auch Teil der Ausbildung.“ Der Metzger-Beruf sei vielfältig wie kaum ein anderer, man kämpfe aber eben auch mit Personal-Problemen, so wie jeder andere Handwerksbetrieb.