Als im Radolfzeller Ortsteil Böhringen am Tag nach der Landtagswahl der Morgen graute, hatte Jürgen Keck in seinem Haus immer noch nicht in den Schlaf gefunden. „Geschlafen habe ich gar nicht“, sagt Jürgen Keck ein paar Stunden später. Da trudeln die mitfühlenden Botschaften im Minutentakt digital auf seinem Smartphone ein, auch das Telefon steht nicht still. Viele haben Gesprächsbedarf, die meisten wollen vor allem eins: Keck trösten. Die FDP steigert landesweit ihren Stimmenanteil um 2,2 Prozent auf 10,5 Prozent, Keck holt im Wahlkreis Konstanz/Radolfzell sogar drei Prozent Stimmen mehr als vor fünf Jahren und schließt mit 12,1 Prozent der Stimmen ab.
Das sind 1,6 Prozentpunkte mehr als der Landesdurchschnitt. Es reicht nicht. Jürgen Keck verpasst eines der drei Ausgleichsmandate im Regierungsbezirk Freiburg um 0,1 Prozentpunkte. Nach fünf Jahren als Landtagsabgeordneter muss er nun das Stuttgarter Parlament verlassen. Der Erfolg seiner Partei hat für Jürgen Keck einen bitteren Beigeschmack. Einen sehr bitteren. So in etwa haben ihm 120 Stimmen gefehlt, vielleicht ein paar mehr, vielleicht ein paar weniger. Dann wäre er der dritte Kandidat gewesen, der aus dem Regierungsbezirk Freiburg für die FDP in den Stuttgarter Landtag hätte einziehen dürfen. So hat diesen Platz Frank Bonath für den Wahlkreis Villingen-Schwenningen erobert. Bonath hat 12,2 Prozent der Stimmen geholt, Keck 0,1 Prozent weniger.
Keck hat es schon am Wahlabend geahnt, dass es für ihn nicht reichen könnte. Glückwünsche und Gratulationen wehrte er kurz vor Mitternacht ab. Obwohl er in Radolfzell ein geradezu sensationelles Ergebnis für die FDP eingefahren hatte: 19,2 Prozent. Er ahnte, was kommen sollte: „Es wird ganz knapp.“ Als es schließlich eine gute Stunde später feststand, dass Bonath und nicht er, Keck, in den neuen Landtag einziehen würde, musste er erst einmal begreifen, was passiert ist: „Ich bin immer noch schockiert“, sagt Keck am Tag danach. „Nur 0,1 Prozent fehlen, das stinkt mir einfach.“
Das Mandat ist weg
Bei jeder anderen Aussage käme man ins Grübeln. Da hat Keck fünf Jahre nichts unversucht gelassen, die FDP als Landtagsabgeordneter auch auf sozialem Sektor zu profilieren, hat während der Pandemie sich die Hacken abgelaufen und viele Betroffene aufgesucht, um Ungerechtigkeiten aufzudecken und zu thematisieren. Doch am Ende des langen Wahltags hat sich die Arbeit für ihn persönlich nicht ausgezahlt. Sein Mandat ist weg, weil ein anderer das kleine bisschen Mehr an Stimmenanteilen eingesammelt hat.
Woran lag‘s? Jürgen Keck nennt zwei Gründe. In Universitätsstädten wie Konstanz tue sich die FDP einfach schwer, Wähler zu erreichen. „Das sieht man auch an den Ergebnissen in Freiburg, Tübingen und Heidelberg.“ Dieses Manko hätte Keck im Wahlkreis Konstanz/Radolfzell noch wett machen können, wenn nicht Heinz Burkart für die Freien Wähler angetreten wäre. Der Mann vom Balisheimer Hof verfügt auf der Höri über lokale Prominenz: „Da haben sicher einige bei Heinz Burkart ihr Kreuz gemacht, die vielleicht sonst mich gewählt hätten“, glaubt Keck. Die Vermutung ist plausibel. Burkart holte in Gaienhofen 197 und in Moos 181 Stimmen. Keck schnitt in beiden Orten zwar besser ab, „es hätten aber auch mehr Stimmen sein können“.
Im Gemeinderat und Kreistag bleibt er aktiv
Keck versucht in dieser schwierigen Lage Haltung zu bewahren. „Lokal mache ich auf jeden Fall weiter, im Kreistag, im Gemeinderat.“ Wie es beruflich mit ihm weitergeht, das vermag er nicht zu sagen. „Mit 59 Jahren ist es definitiv zu früh für den Ruhestand. Ich will was machen, ich muss was machen.“ Bei seinem alten Arbeitgeber, der Firma Schlör, gelte für ihn die gesetzliche Arbeitsplatzgarantie für Abgeordnete. Mehr Sorgen macht sich Keck um seine Wahlkreis-Mitarbeiterin Karina Müller, „sie braucht jetzt einen neuen Job“.