Fünf Minuten vor der Zeit trifft der OB am Ende der Jakob-Dörr-Straße ein. Martin Staab umkurvt elegant das Parkplatzproblem im Gewerbegebiet Nord in Radolfzell. Er wird von seiner Partnerin Andrea Rehberger gebracht. Das vermeidet den Suchverkehr, nur private Parkplätze sind um diese Zeit auf dem Gelände der alten Kaserne frei.
Noch ist die Jakob-Dörr-Straße eine Sackgasse, doch bald soll sie den Weg in das neue Gewerbegebiet „Blurado“ öffnen. „Ein Vorzeigeprojekt“, wie Martin Staab sagt und ganz offensichtlich eine Herzensangelegenheit von ihm. Er hat den Morgenspaziergang anhand seiner drei Kernthemen für den Wahlkampf ausgesucht: „Klimaschutz, Bürgerbeteiligung, Leben von jung bis alt.“ Das Gewerbegebiet Blurado fällt hauptsächlich unter seinen „Baustein“ Klimaschutz. Denn, so sagt Staab nicht ohne Stolz: „Nach unseren Erkenntnissen entsteht hier das erste klimaneutrale Gewerbegebiet.“ Ausschließlich mit Erdwärme und Solarkollektoren soll die notwendige Energie erzeugt werden.
Über den Spaziergang und zur SÜDKURIER-Podiumsdiskussion
Kritikern wie dem FDP-Stadtrat Jürgen Keck, der das Projekt Blurado für überzogen, am Bedarf vorbei geplant und viel zu teuer für den normalen Handwerksbetrieb hält, bietet Staab die Stirn: „Wir haben bereits zwei Optionsverträge und ein dritter Vertrag wird verhandelt.“ Kämen diese drei Verträge zum Abschluss, wäre schon ein Drittel der rund fünf Hektar großen Fläche vergeben. Auch die Zahl der Arbeitsplätze der ansiedlungsbereiten Unternehmen hat Staab parat: „Etwa 350, das sind teilweise neue Arbeitsplätze, teilweise wäre das auch eine Verlagerung innerhalb von Radolfzell.“
Staab macht sich auf den Weg aus dem Gewerbegebiet Nord, wo viele Menschen arbeiten, in das Gebiet, wo viele Menschen wohnen werden, in die Stadterweiterung Nord. Auf der Höristraße hält er einen kurzen Exkurs über Radwege. Es sei schon richtig, dass Experten und Planer nun die Radwege auf den Straßen planen, die schnellen E-Bikes hätten auf dem Gehweg ein hohes Gefahrenpotenzial. „Wir versuchen, die Fußgänger mitzudenken.“ Generell Tempo 30 in den Städten einzuführen, hält Staab für falsch: „Tempo 40 wäre der beste Kompromiss.“
Das „Leben von jung bis alt“, so wie es sich Staab in Radolfzell vorstellt, spielt sich rund um das Baugebiet Stadterweiterung Nord ab. Dort werden Häuser und Wohnungen für bis zu 700 Menschen gebaut. Es stehen schon das Kinder- und Familienzentrum Werner Messmer, die Kinderkrippe Entdeckerkiste und die private Unterseeschule. Wird ein OB am Bauen gemessen? Staab schränkt ein: „Wir sollten mit den vorhandenen Flächen auskommen.“
Und doch kommt das Bauen nicht zu kurz bei diesem Spaziergang, der ein bisschen wie eine Bilanzbesprechung seiner Amtszeit wirkt. Nach einem kurzen Blick in den Park des Alten Friedhofs und auf das neue Ärztehaus, schaut Staab vorbei am Schiesser-Mausoleum auf den Wohnpark St. Meinrad. Die Kritik am Fällen der Bäume auf dem freien Gelände vor der Kirche hat der OB noch im Ohr, sein Gegenargument lautet: „Da müssen wir eine neue Kita mit Familienzentrum und neue Wohnungen gegenrechnen.“ Auch das Ärztehaus „mit vielen Ärzten“ an einem Fleck sei ein Zugewinn.
Danach liegt die Ratoldusschule auf der Route. Sie ist die Gemeinschaftsschule der Stadt, der Neubau wurde geplant und errichtet in der Amtszeit von Staab. „Der Neubau hat fast Passivhausstandard.“ Die Gemeinschaftsschule, umstritten und begehrt, habe sich für das Bildungsangebot der Stadt bewährt, glaubt Staab: „Wir haben eine stabile Zweizügigkeit.“ Der Blick vom Neubau zum Altbau offenbart einen Klassenunterschied. Vor der Sanierung dieses Gebäudes sei die Realschule dran: „Das ist das dringendere Modell.“
Danach geht es schnellen Schrittes in Richtung See. Dahin kommt man durch die frisch gestrichene Bahnhofsunterführung, nicht über eine Baustelle Seetorquerung. Der Gemeinderat hat nach langen Dekaden der Zustimmung das Projekt im Januar 2020 dann doch beerdigt. War das ein persönliches Waterloo für Martin Staab? Die Niederlage in der Schlacht von Waterloo bedeutete das Ende von Napoleons Herrschaft, aber damit will der OB die Kämpfe um die Seetorquerung nicht vergleichen. Das räumt der Kandidat für eine zweite Amtszeit ein: „Das war ein schwieriges Projekt, das ich von meinem Vorgänger übernommen habe.“
In seinem Wahlkampf 2013 habe er zur Seetorquerung gesagt: „Ich halte es für ein gutes und finanzierbares Projekt bis zu Kosten von 20 Millionen.“ Dann sei 2015 die Summe von 23 Millionen Euro aufgetaucht, „und das war noch nicht das Ende der Fahnenstange.“ Dann habe er als Alternative eine Brücke entwerfen lassen, weil diese Möglichkeit noch gar nicht geprüft worden sei. „Die Brücke wäre für zwölf Millionen machbar gewesen.“ Doch der Gemeinderat hätte diesen Vorschlag nicht goutiert. „Wenn eine große grüne Fraktion aus solch einem Projekt aussteigt, wird es schwierig.“ Nicht nur die Grünen oder einzelne Stadträte hielten Abstand von der Seetorquerung, im Mai 2018 wechselte der OB ins Lager der Enthaltungen. Zwei Jahre später war die Seetorquerung Geschichte.
Großprojekte brauchen große Mehrheiten
Staab sagt auf dem Spaziergang: „Großprojekte brauchen große Mehrheiten.“ Dann bekommt er viel zu tun, sollte er für eine zweite Amtszeit gewählt werden. Etwa Mehrheiten zu schmieden in einem Gemeinderat, in dem die drei Fraktionen Freie Grüne Liste, CDU und SPD seinen Gegenkandidaten Simon Gröger unterstützen. Staab hat das Projekt neuer Seezugang nicht aufgegeben.
Seine Lieblingsidee ist die „grüne Wissensstadt“. Dort, wo früher die Güterhallen standen und jetzt parkende Autos die Seesicht genießen, wünscht sich der OB die von ihm sogenannte „Green City“ hin. Entsprechende Skizzen warf er beim Neujahrsempfang 2019 auf die Leinwand. Eine Architektur mit viel Grün an den Fassaden soll Wohn- und Arbeitsplätze beherbergen, eine Grünbrücke über die Gleise Fußgängern und Radfahrern einen Weg zwischen See und Innenstadt bieten. Finanzieren will Staab das Bauwerk mit Grundstückserlösen: „An dieser Vision halte ich fest.“
Immerhin, die frisch gestrichene Bahnhofsunterführung ist so breit, dass man nach den derzeit gültigen Corona-Bestimmungen keine Maske tragen muss, „weil ein Abstand von 1,50 Meter eingehalten werden kann“, sagt der OB und Chef der Ortspolizeibehörde. Staab nähert sich mit schnellen Schritten dem Wasser: „In der Seeuferentwicklung haben wir viel machen können.“
Etwa den Platz zwischen Bootshaus und Yachtclub. Auch ein Vorzeigeprojekt für den OB, weil hier die Bürgerbeteiligung „vorbildlich“ umgesetzt worden sei. Froh ist der OB, dass die Stadt nach langen Verhandlungen Grundstücke von der Bodenseehafengesellschaft kaufen konnte und jetzt die Außenanlagen der Mole und die Seebar neu gestaltet.
Für Staab immer wichtig: „Wir haben Zusagen von der Landesförderung bekommen.“ Der OB bricht eine Lanze für den Fremdenverkehr: „Auch der Wasserspielplatz ist mit Mitteln aus dem Tourismusprogramm gefördert worden.“ Von diesem Wasserspielplatz würden nicht nur Touristen profitieren, sondern die Menschen, die das ganze Jahr hier leben. „Tourismus bringt Infrastruktur“, sagt Staab.
Seebad als Vorzeigeprojekt was Schnelligkeit angeht
Bei diesem Spaziergang darf das neue Seebad nicht fehlen: „So schnell können Projekte gehen, wenn sich alle einig sind.“ Dazu der Park vor der Konzertmuschel hinunter an den See und die Mettnaustraße, „alleine da haben wir 1,8 Millionen Euro verbaut.“ Martin Staab schaut zufrieden am Ende des Morgen-Spaziergangs auf seine Bilanz als OB: „Das war nur ein kurzer Ausschnitt“, sagt er und diktiert zum Schluss noch einmal die Essenz seines Wahlprogramms: „Klimaschutz, Bürgerbeteiligung und Leben von jung bis alt – das sind meine drei Kernthemen.“