Das Jahr 2022 ist für die Stadtkapelle Radolfzell ein aufregendes: Der Terminkalender des Vereins ist prall gefüllt, unter anderem traten die Musiker bereits am Hausherrenfest und im Rahmen einer Konzertreise in Österreich auf – all das auch vor dem Hintergrund des 250. Jubiläums, das in diesem Jahr gefeiert wird. Doch auch vor 30 Jahren, als kein besonderer Geburtstag anstand, machte die Stadtkapelle ganz besondere Erfahrungen. Anfang der 1990er-Jahre standen gleich mehrere Höhepunkte für die Musiker an.

Ordentausch mit russischen Veteranen

Vorsitzender der Stadtkapelle war damals Dietmar Baumgartner. 1989 hatte er das Amt übernommen und schon drei Jahre später gehörte es zu seinen Aufgaben, für die Stadtkapelle eine Reise nach Russland mit Übersetzer zu organisieren. Die Mitglieder der Stadtkapelle waren damals nach der Perestroika Teil der Parade am 5. Mai auf dem Roten Platz. „Mit schönen Begegnungen, etwa mit dem Veteranenorchester“, wie die Dietmar Baumgartner erinnert. „Mit denen haben wir Orden ausgetauscht.“

Die Stadtkapelle Radolfzell spielt 1992 in Moskau.
Die Stadtkapelle Radolfzell spielt 1992 in Moskau. | Bild: SK-Archiv

Es habe weitere Auftritte für die Musiker der Stadtkapelle gegeben, darunter zwei in der Stadt Chimki unmittelbar vor Moskau, in der die Mitglieder bei russischen Musikern in deren Privatwohnungen untergebracht worden seien. Und natürlich hätten auch kulturelle Ausflüge, etwa zum Bolschoi-Theater in Moskau oder zum Staatszirkus nicht fehlen dürfen. „Wir haben ein tolles Programm gehabt“, so der ehemalige Vorsitzende.

Er hebt auch das freundschaftliche Verhältnis mit den russischen Musikern hervor: „Die Gastfreundschaft war für mich eine noch nie dagewesene.“

Mitglieder der Stadtkapelle 1992 vor der Basilius-Kathedrale in Moskau
Mitglieder der Stadtkapelle 1992 vor der Basilius-Kathedrale in Moskau | Bild: Kledt/SK-Archiv

Musiker chartern extra ein Flugzeug

Noch im gleichen Jahr stand der nächste besondere Termin für die Stadtkapelle an: Denn noch während der Zeit in Russland sei den dortigen Musikern eine Gegeneinladung ausgesprochen worden, berichtet Dietmar Baumgartner. Im Herbst 1992 reiste der russische Besuch schließlich nach Radolfzell – nachdem die Stadtkapelle große Organisationsarbeit geleistet hatte.

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Denn für die Reise sei extra ein Flugzeug gechartert worden. „Der Flug hat um die 75.000 Deutsche Mark gekostet“, erinnert sich Baumgartner. Um das Geld aufzubringen, habe die Stadtkapelle per Aufruf nach Deutschen gesucht, die für eine Woche eine Kulturreise in Russland machen wollten. Tatsächlich seien auf diese Weise 62 Touristen gefunden worden. Die Deutschen seien dann mit dem gecharterten Flugzeug nach Russland geflogen, dort seien die russischen Musiker eingestiegen und bis in die Schweiz gereist, wo sie von der Stadtkapelle abgeholt wurden.

Die Gäste aus Chimki (Russland) bei ihrer Ankunft in Radolfzell während ihres Gegenbesuches.
Die Gäste aus Chimki (Russland) bei ihrer Ankunft in Radolfzell während ihres Gegenbesuches. | Bild: SK-Archiv

Nach einer Woche seien die Russen wieder in ihre Heimat geflogen, wo wiederum die deutschen Reisenden in das Flugzeug gestiegen und heim gereist seien. „Am Ende hat alles genau gepasst“, so Baumgartner.

In Radolfzell hätten die russischen Gäste gemeinsam mit der Stadtkapelle zum Beispiel auf dem Untertorplatz und dem Marktplatz musiziert, zudem hätten Frauen Tänze aufgeführt. „Das war ein Kulturaustausch“, sagt Dietmar Baumgartner – nicht nur für die Stadtkapelle, sondern auch für die restlichen Radolfzeller. „Musik verbindet.“

Eine Band sagt kurzfristig ab, die andere will 10.000 DM bar

Lange Zeit zum Durchatmen hatte die Stadtkapelle danach nicht: „Der nächste Höhepunkt kam gleich 1993“, erzählt Dietmar Baumgartner. Damals habe in Radolfzell ein großes Verbandsmusikfest auf dem Messeplatz stattgefunden. Da seien am Sonntag 2500 Musiker durch Radolfzell marschiert.

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Allerdings erinnert sich Dietmar Baumgartner auch an eine Planänderung, welche die Stadtkapelle vor Herausforderungen stellte: Ursprünglich seien die Garmischer Zimmermänner für das Fest engagiert worden, sie sollten in Radolfzell aufspielen. „Aber sie haben mir dann kurzfristig abgesagt, weil sie ein Benefizkonzert machen mussten mit dem Gesamtmusikkorps“, so Baumgartner.

Also musste schnell Ersatz organisiert werden. So sei das Luftwaffenmusikkorps schließlich aufgetreten – für einen Preis von 10.000 Mark. „Und sie wollten das in bar“, so Baumgartner. Um die Musiker bezahlen zu können, sei die Stadtkapelle ins finanzielle Minus gerutscht. „Durchs Hausherrenfest konnten wir das dann aber wieder auffangen.“

Viel hat sich verändert – einiges aber auch nicht

All das liegt mittlerweile rund 30 Jahre zurück, seither hat sich bei der Stadtkapelle viel verändert – sowohl optisch, als auch intern. Dietmar Baumgartner spielt noch bei der Stadtkapelle, hat aber 2011 den Vorsitz an Thomas Späth übergeben. Zudem treten die Musiker mittlerweile in neuen Uniformen und neuem Logo auf.

Dietmar Baumgartner im Jahr 1997 (links) und im Jahr 2022. Musik macht er noch immer.
Dietmar Baumgartner im Jahr 1997 (links) und im Jahr 2022. Musik macht er noch immer. | Bild: SK-Archiv/Laura Marinovic

Und dann ist da noch die Digitalisierung: Die Stadtkapelle verfügt über eine Internetseite, Profilen in den sozialen Medien und einer modernen Organisation. Während in den 1990er-Jahren für Proben oder Auftritte noch persönlich abgesagt werden musste, können die Mitglieder heutzutage digital über Abwesenheiten informieren.

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Eines ist aber dennoch gleich geblieben: Dietmar Baumgartner betont, es sei ihm als Vorsitzender stets wichtig gewesen, mit der Stadtkapelle auf hochklassigen Wettbewerben zu spielen. „Ein Wettbewerb bringt ein Orchester immer weiter“, sagt er. Es werde vermehrt geprobt, zudem schweißen gemeinsame Erlebnisse zusammen. Und auch der heutige Vorsitzende Thomas Späth hat bereits hervorgehoben, wie wichtig es ihm ist, dass das Orchester auf hohem Niveau spielt.