Man habe es nicht mit einer kriminellen Frau, sondern mit einer kranken Frau zu tun. So fasste Ulrike Steiner, Direktorin des Radolfzeller Amtsgerichtes, die Sachlage nach dem Urteilsspruch zusammen. Eine 68-jährige Frau aus Radolfzell musste sich wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten.

Sie soll eine Nachbarin mit der Faust gegen das Brustbein geschlagen und ihr gegen das frisch operierte Bein getreten haben. Dafür wurde sie zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen mit je 30 Euro, also 1890 Euro, verurteilt. Nicht der erste Angriff auf die 59-jährige Nachbarin, die ein Stockwerk unter der Angeklagten wohnt und die von einem belastenden nachbarschaftlichen Verhältnis berichtet.

Angeklagte soll an paranoider Schizophrenie leiden

Die 68-jährige Angeklagte soll laut gerichtlichem Gutachten an paranoider Schizophrenie leiden, diese Erkrankung allerdings nicht wahrhaben wollen. Sie leide außerdem unter Verfolgungswahn und würde auf die für sie reale Bedrohungssituation mit Aggression reagieren, wie Richterin Steiner dem Gutachten entnahm. Schon zwei Mal sei sie deswegen gegenüber anderen handgreiflich geworden und zu einer Geldstrafe verurteilt worden.

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Eine von der Staatsanwaltschaft geforderte Haftstrafe von drei Monaten auf Bewährung lehnte die Richterin ab, weil dies aus ihrer Sicht keine Besserung für die Situation herbeiführen würde. „Das ist ein Spannungsfeld für uns als Gesellschaft“, erklärte sie. Für eine angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus reiche der Straftatbestand nicht aus. Es sei zwar für alle belastend, aber das müsse man leider aushalten, sagte Richterin Steiner.

Angeklagte soll nachts sehr viel Lärm machen

Die Situation in dem Wohnhaus stellte sich laut Gericht folgendermaßen dar: Die Angeklagte wohne mit zwei weiteren Parteien in einem Mehrfamilienhaus. Doch aufgrund ihrer psychischen Erkrankung sei ein friedliches Miteinander der Nachbarn nicht möglich. Seit Längerem verdächtige die Angeklagte ihre zwei Nachbarinnen, regelmäßig bei ihr einzudringen, ihre Möbel zu verrücken, diese zu beschmieren und anzumalen und Sachen zu entwenden. Gemeldet habe sie dies der Polizei allerdings nicht, gab sie vor Gericht zu.

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Die 68-Jährige behauptete vor Gericht auch, die Nachbarin aus dem Erdgeschoss nachts bei sich in der Wohnung leibhaftig gesehen und gehört zu haben. Darauf angesprochen reagierten die anderen beiden Bewohnerinnen des Mehrfamilienhauses mit Erstaunen und Unverständnis. Keine habe einen Schlüssel für die Wohnung oder sei sonst zu einem Zeitpunkt je in der Wohnung der Angeklagten gewesen, sagten sie in der Vernehmung aus. Sie berichteten im Gegenzug von sehr lauten Aktivitäten der Angeklagten, die ihrerseits nachts die Möbel verrücke und seit Wochen und Monaten das gesamte Haus mit Lärm belästige.

Streit um eine offene Eingangstür

Eines frühen Nachmittages Ende 2020 kam die 68-Jährige vom Einkaufen zurück, stieg mit zwei Taschen bepackt die Treppe zu ihrer Wohnung hinauf und begegnete dem 59-jährigen Opfer, die gerade bei sich vor der Tür den Flur fegte. Die Haustür des Mehrfamilienhauses ließ sie dabei offen – wie so oft, wie ihre beiden Nachbarinnen bestätigten. Dies ärgerte die 59-Jährige und sie bat die Angeklagte eindringlich, die Haustür zu schließen. Weil diese auf die Bitte nicht reagierte, ging sie der 68-Jährigen bis kurz vor ihre Wohnungstür im zweiten Stock nach.

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Dort soll die Angeklagte dann aus ihrer erst passiven Haltung in den Angriff übergegangen sein, sie schlug ihrer Nachbarin erst den Kehrbesen aus der Hand, dann mit der Faust in die Brust und trat ihr anschließend gegen das Bein. Dass die 59-Jährige erst am selben Tag an diesem Bein operiert wurde, habe die Angeklagte nicht wissen können. Der an sich harmlose Tritt habe einen starken Schmerz ausgelöst, berichtete die 59-Jährige. Sie verlor das Gleichgewicht. Um nicht die Treppe herunterzufallen, habe sie sich an den Haaren der Angeklagten festgehalten, gab das Opfer in der Vernehmung zu. Sie habe reflexartig nach dem Kopf gegriffen, als sie kurz die Stabilität auf ihren Beinen verlor.

Danach sei die Angeklagte in ihrer Wohnung verschwunden, das Opfer zog sich mit starken Schmerzen im Bein ebenfalls zurück. Die dritte Nachbarin aus dem Erdgeschoss, die ebenfalls gerade beim Hausputz war, hatte laut eigener Aussage Teile dieser Auseinandersetzung am Fuße der Treppe mitbekommen und bestätigte die Aussage der 59-Jährigen.

Angeklagte hat ein anderes Bild auf die Situation

Für die Angeklagte hatte sich der Vorfall allerdings ganz anders zugetragen. Sie selbst habe sich vor zahlreichen Schlägen ihrer Nachbarin wehren müssen, diese habe sie erst mit dem Besen, dann mit Fäusten malträtiert, dann ihren Kopf gegen den Türrahmen geschlagen. Nur mit Mühe habe sie sich in ihre Wohnung retten können.

In großer Angst hatte sie dann die Polizei verständigt. Eindeutige Beweise für einen solchen Übergriff gab es nicht. „Die Angeklagte fühlt sich grundsätzlich angegriffen“, fasste Richterin Steiner zusammen. Doch da es zu keinen schweren Verletzungen gekommen sei, sei eine Geldstrafe angemessen. Sie sei auf Grund ihrer psychischen Verfassung zwar vermindert schuldfähig, aber nicht gänzlich ohne Einsicht für ihr Handeln.