Wer sich halbwegs für Umweltschutz und gleichzeitig für die heimische Wirtschaft interessiert, der befindet sich aktuell in einem wahren Gewissenskonflikt. Radolfzeller Restaurants haben seit Wochen geschlossen, viele machen sich ernsthaft Gedanken über ihr Überleben in der Zukunft.
Lieferservice ist der einzige Weg, Geld zu verdienen
Um doch noch etwas einzunehmen, haben die meisten einen Liefer- und Abholservice eingerichtet und bieten Speisen für Zuhause an. Wer also lokale Gastronomen unterstützen möchte, der bestellt ab und zu etwas zu Essen.
Doch damit steigt auch der Verpackungsmüll enorm an. Vieles wird in Aluminium, Plastik, Pappe oder Styropor verpackt, so hält es warm bis es beim Kunden ist. Doch für die Umwelt sind gerade Styropor und Plastik eine große Belastung.
Innovatives Mehrweg-System
Einige Radolfzeller Gastronomen haben sich zu diesem Thema Gedanken gemacht und sind auf umweltfreundlichere Verpackungsvarianten umgestiegen. Das wohl innovativste Konzept möchte das Team von Ramona Lerner vom Steg 11 am Yachthafen jetzt testen. Ab jetzt gibt es bei einer Lieferung keine Aluschalen mehr, sondern wiederverwendbare Schalen und Dosen mit Deckel.

Auf die Idee gebracht hat sie ein gemütlicher Abend vor dem Fernseher, als sie die Gründersendung „Die Höhle der Löwen“ angeschaut hatte. Dort nämlich stellte ein junges Unternehmen mit dem Namen Vytal sein Konzept der Mehrwegverpackungen für die Gastronomie vor.
„Ich dachte, das könnte etwas für uns sein. Denn gerade die Organisation von Mehrweg-Systemen bei Außer-Haus-Bestellungen ist für einzelne Restaurants eine große Herausforderung“, sagt Ramona Lerner.
Das neue Mehrweg-System des Kölner Start-Ups funktioniert folgendermaßen: Vytal versorgt die Restaurants mit den notwendigen Schüsseln. Für den Wirt fallen keine Anschaffungskosten an. Bezahlt wird die Leihgebühr der Schüsseln pro Füllung. Also Vytal verdient an jedem verkauften Essen mit.
Das neue Mehrweg-System bedeutet aber auch für Lerners Kunden eine Umgewöhnung. Dieser muss sich eine App installieren, mit der er einen QR-Code auf den Schüsseln scannt und somit die Annahme des Geschirrs registriert. Dann hat er zwei Wochen Zeit es wieder zurückzubringen.
Erster Testlauf am Bodensee
Im Restaurant wird dann der Code wieder gescannt und die Rückgabe ist abgeschlossen. „Wir werden noch eine Weile zweigleisig fahren, falls es Kunden gibt, die mit der App nicht klarkommen oder das einfach nicht möchten“, sagt die Restaurantleiterin des Steg 11.
Am Bodensee seien sie die ersten, die mit solch einem Pfandleihsystem arbeiten. Laut Ramona Lerner wolle man das nun testen und dann auf die anderen Gastronomen zugehen und Erfahrungen austauschen. „Je mehr mitmachen, umso bequemer für den Kunden, da er die Schüsseln an mehreren Orten zurückbringen kann“, so Lerner.
Warum Bio-Plastik nicht die Lösung ist
Ein einheitliches Pfandsystem für Radolfzell – oder noch besser – für die gesamte Region, das fände sie persönlich ideal. Davor habe das Steg 11 häufig in Aluminiumschalen geliefert. Der Vorteil laut Lerner: „Das Essen bleibt länger warm.“
Essen aus der Zuckerrohrschale
Neue Wege beschreitet auch Florian Repnik, Leiter des Restaurants Einkehr in Markelfingen. In diesem Jahr war der Lieferdienst ein absolutes Novum im Leben des Gastronomen. Als Leiter eines Restaurants mit gehobener Küche hätte er es sich vor einem Jahr nicht träumen lassen, Außer-Haus-Essen verkaufen zu müssen.
Doch nun tut er es und hat sich auch Gedanken über die Verpackung gemacht. „Wir verwenden vollkompostierbare Verpackungen aus Zuckerrohr-Fasern“, erklärt Florian Repnik. Die Boxen hielten lange warm und seien sowohl ofen- als auch mikrowellentauglich.
Einziger Nachteil sei, dass das Naturprodukt Zuckerrohr mit der Zeit, wenn es in Kontakt mit Flüssigkeiten, Öl und Hitze kommt, etwas aufweichen würde. Das Material sei allerdings überhaupt nicht gesundheitsschädlich.
Ein Umstieg auf das Pfandsystem schließt Repnik derweil allerdings aus: „Wir hoffen, bald wieder öffnen zu dürfen und hätten auch gar nicht die Lagerkapazitäten für die Schüsseln„, sagt der Restaurantleiter.
Plastik liegt noch auf Lager
Warum so viele andere Gastronomen noch immer Styropor und Plastik verwenden, kann sich Repnik nur so erklären: „Die haben die Verpackungen noch in ihren Lagern und verbrauchen sie. Denn bald sind sie verboten.“
Die Europäische Union hat ab dem 3. Juli 2021 Styroporverpackungen und Plastikbesteck verboten. Wer das jetzt noch auf Lager habe, müsse es abverkaufen. Einen signifikanten Preisunterschied bei einer Neuanschaffung gebe es zwischen Zuckerrohrschale und Styroporschale nämlich nicht.
Weihnachtsmenü aus dem Karton
Für die Weihnachts-Menüs, die das Einkehr über die Feiertage anbietet, möchte Repnik vermehrt auf recyclebaren Karton setzen. Kunden können ein Menü vorbestellen und daheim fertig kochen. „Wir versuchen auch da so wenig Kunststoff wie möglich zu verwenden“, so Repnik.
Bio-Essen aus Weck-Gläsern
Eine Vorreiterin in Sachen ökologische Verpackung bei To Go-Essen ist Tina Laakmann, Inhaberin des Bio-Bistros Safran. Zu Beginn des ersten Lockdowns im März investierte sie 600 Euro in Weck-Gläser, in denen sie bis heute ihre Speisen verkauft. Pro Glas sind je nach Größe 3,50 oder 4 Euro Pfand fällig.
„Unsere Kunden lieben das, die Gläser haben eine gute Dichtung, es lässt sich gut transportieren“, sagt die Gastronomin. Hinzu käme die Optik: Es sehe auch ansprechend und appetitlich aus in dem Glas.
Die Safran-Gäste hätten sich längst an das Konzept gewöhnt, für Laakmann entstehe kein Mehraufwand. Schon vor dem Lockdown seien 10 bis 20 Prozent aller Speisen Außer-Haus-Bestellungen gewesen.
Für Laakmann sei die nachhaltige Verpackung ihrer Speisen eine Überzeugungssache. „Höhere Kosten vorzuschieben ist eine absolute Ausrede, denn die Plastikteile kosten auch Geld“, sagt sie. Viele hätten den Ernst der Lage nicht erkannt, der von der Umweltbelastung durch Plastikmüll ausgehe. Alternativen gebe es genug, sagt Laakmann überzeugt.
Mehr Müll in der Stadt
Doch der Müll in Radolfzell nimmt eher zu als ab. Das bestätigt auch Moritz Schade, Sprecher der Stadt Radolfzell. „Die Mitarbeiter der Stadtreinigung haben eine Zunahme von Haushaltsabfällen in den öffentlichen Mülleimern festgestellt“, schreibt er auf Anfrage.
Die öffentlichen Mülleimer in der Kernstadt würden täglich geleert, je nach Frequentierung und Erfahrungswerten der Mitarbeiter auch mehr als einmal täglich, so Schade. An stark frequentierten Stellen seien außerdem Unterflurmülleimer installiert worden, um dem hohen Aufkommen gerecht zu werden.