Die Zahlen erzielen die Wirkung, die von Nabu-Landesvorsitzender Johannes Enssle auch so gewünscht wurde: Sie schockieren und überraschen. Seit 1970 hat die Bevölkerung in Baden-Württemberg um 24 Prozent zugenommen. Die Siedlungsfläche ist aber im selben Zeitraum um 100 Prozent gewachsen. Die letzten zwei Generationen haben so viel Fläche für den Bau von Wohnungen, Häusern, Straßen und Gewerbegebieten verbraucht wie die 80 Generationen vor ihnen.

Täglich werden 6,2 Hektar versiegelt

Die politische Forderung der Umweltverbände Nabu und BUND im Rahmen der 46. Naturschutztage in Radolfzell zielt auf das ab, was man wohl den deutschen Traum nennen könnte: das Eigenheim. Sylvia Pilarsky-Grosch, Landesvorsitzen des BUND, hat das Naturschutzjahr des Flächenverbrauchs ausgerufen. In Baden-Württemberg würden täglich 6,2 Hektar Fläche zubetoniert. „Und immer häufiger ist diese Fläche eine Streuobstwiese“, sagt sie.

Prominenter Besucher bei den 46. Naturschutztagen in Radolfzell: Der ehemalige Nabu-Vorsitzende und heutige Grünen-Staatsekretär André ...
Prominenter Besucher bei den 46. Naturschutztagen in Radolfzell: Der ehemalige Nabu-Vorsitzende und heutige Grünen-Staatsekretär André Baumann (zweiter von rechts), daneben Johannes Enssle, Landesvorsitzender des Nabu. | Bild: Jarausch, Gerald

Baden-Württemberg ist das Bundesland mit den meisten Streuobstwiesen, hier stehen 7,1 Millionen Streuobstbäume. Doch diese Flächen seien in den vergangenen Jahren immer wieder als Bauland herangezogen worden. Konkret geht es um den Paragraph 13b des Baugesetzbuches. Mit der Anwendung des Paragraphen 13b können bei der Aufstellung von Bebauungsplänen verschiedene Verfahrenserleichterungen erreicht werden. Zum Beispiel entfällt damit eine Umweltprüfung.

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Die Ausnahmen werden zur Regel

Nun gebe es seit 2020 das Biodiversitätsstärkungsgesetz, welches Streuobstwiesen unter Schutz stellt. Doch auch hier habe der Gesetzgeber Ausnahmen erlaubt. „Die Landratsämter erteilen in fast allen Anfragen eine Ausnahmegenehmigung“, so die BUND-Landesvorsitzende.

Messebereich bei den 46. Naturschutztagen 2023 im Foyer des Milchwerks.
Messebereich bei den 46. Naturschutztagen 2023 im Foyer des Milchwerks. | Bild: Jarausch, Gerald

Die beiden Umweltverbände haben eine große Abfrage der Anträge zur Ausnahmeregelung bei den Landratsämtern im Land gestartet und für die Umweltschützer erschreckende Ergebnisse erhalten: Von März 2021 bis Februar 2022 seien 54 Anträge zur Rodung von Streuobstwiesen eingegangen und nur zwei wurden abgelehnt. „Die Begründungen sind oft sehr oberflächlich und nicht nachgeprüft“, sagt Johannes Enssle.

Gegen diese Rodungen hätten die Umweltverbände Einspruch eingelegt. Und im Fall der Stadt Bretten-Gölshausen im Kreis Karlsruhe haben damit die Umweltverbände auch eine Eilentscheidung des Verwaltungsgerichtes Karlsruhe erwirkt, die die Rodung untersagt.

Besucher informieren sich bei den 46. Naturschutztagen in Radolfzell.
Besucher informieren sich bei den 46. Naturschutztagen in Radolfzell. | Bild: Jarausch, Gerald

Auch ein Baugebiet in Allensbach wurde gestoppt

Auch ganz in der Nähe haben die Umweltverbände die Rodung einer Streuobstwiese gestoppt. In Allensbach in Kaltbrunn sollte eine Streuobstwiese für das Bebauungsgebiet Breite weichen. Hier reichte der BUND im August 2022 Widerspruch gegen die Genehmigung ein. „Seit nun mehr als drei Monaten hat das Landratsamt nicht über unseren Widerspruch entschieden“, sagt Sylvia Pilarsky-Grosch. In der Regel gelte eine dreimonatige Frist, in der Landratsämter über diese Fälle entscheiden müssen. Hier sind es nun mehr als vier Monate. „Es sind nicht wir, die die Entwicklung verzögern, denn Landratsämter ziehen die Entscheidung hinaus“, sagt sie.

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BUND und Nabu fordern, dass die Umweltverbände zeitnah von Ausnahmegenehmigungen zur Rodung von Streuobstwiesen erfahren. Und sie schlagen auch vor, dass die Entscheidung über Ausnahmen zur Bebauung von Streuobstwiesen in die Regierungspräsidien verlagert wird, denn die Landratsämter seien den Kommunen zu nah.

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Wie man den Wohnraummangel mit der Reduzierung des Flächenverbrauchs in Einklang bringen kann, sehen die Umweltverbände als Aufgabe der Kommunen. „Es ist eine Herausforderung, aber die Lösung können nicht noch mehr Einfamilienhäuser auf der grünen Wiese sein“, macht Johannes Enssle deutlich. Es gebe alternative Konzepte, die aber bisher noch nicht umgesetzt würden. Man erwarte, dass die Entscheidungsträger auch die Veränderungen in der Bevölkerung berücksichtigen würden und mitdenken.

Die 46. Naturschutztage in Radolfzell dauern noch bis Sonntag, 8. Januar. In den nächsten Tagen werden bis zu 1000 ehrenamtliche und hauptamtliche Umweltschützer in Radolfzell erwartet. Sie können sich fortbilden und vernetzen und bei vielen Exkursionen in die Umgebung die artenreiche Radolfzeller Natur erleben.