Wie viele Zufälle kann es geben? Und welcher Zufall ist realistisch? Diese Fragen stellten sich Arno Hornstein, Richter am Konstanzer Landgericht, und die Schöffen vor dem Urteil über einen 24-Jährigen. Ein Taxi wurde im Sommer 2023 in Radolfzell zum Tatort eines Raubüberfalls – doch darüber, wie ein Fingerabdruck des Täters an die Tür kam, darüber sind sich die Staatsanwaltschaft Konstanz und die Verteidigung uneinig. Alles nur Zufall? Oder war der 24-jährige Angeklagte auch der Täter?
Nach einer „lebensnahen Betrachtung“, wie Hornstein sagte, sei das Gericht davon überzeugt, dass der 24-Jährige schuldig ist in zwei Fällen schwerer räuberischer Erpressung. Der junge Mann soll im vergangenen Juli in Radolfzell erst einen Taxifahrer in der Nordendstraße mit einem Messer bedroht und ausgeraubt haben. Stunden später soll er einen Kiosk in der Konstanzer Straße, ebenfalls mit einem Messer, überfallen haben.
Dafür muss er nun für sechs Jahre und neun Monate in Haft. Ebenfalls muss er das bei den Überfällen erbeutete Geld in Höhe von 1754 Euro zurückzahlen. Wie lange der 24-Jährige die verhängte Haftstrafe tatsächlich absitzen muss, ist unklar. Er soll schnellstmöglich in sein Herkunftsland in Äthiopien abgeschoben werden, sobald es dort die politische Situation zulässt.
Den Kiosk-Raub hatte der Angeklagte eingeräumt, den Überfall auf den Taxifahrer wollte er nicht begangen haben – obwohl am Taxi seine Fingerabdrücke gefunden wurden.
Fingerabdrücke sollen hinterlassen worden sein
Wie kamen diese dahin? Auf diese Frage hatte auch der Verteidiger des 24-Jährigen keine plausible Antwort. Doch bedeute es nicht, dass der 24-Jährige auch im Taxi gesessen haben muss. Die Fingerabdrücke könnten auch im Gemenge des Konstanzer Nachtlebens an die hintere Tür gelangt sein, so seine Theorie. Auffällig sei, dass im Inneren des Taxis keine Spuren des Angeklagten gefunden werden konnten.
Zeugen haben ungenaue Täterbeschreibungen
Auch seien die Beschreibungen der Zeugen, wie der Täter ausgesehen haben soll, sehr ungenau gewesen. Das Opfer, ein 51 Jahre alter Taxifahrer aus Konstanz, habe den Mann, der ihn überfallen habe, auf 1,72 Meter geschätzt. Der 24-Jährige sei aber 1,86 Meter. Ein anderer Zeuge habe die „schönen glatten Haare“ des Verdächtigen beschrieben. Der Angeklagte habe aber kurze krause Haare.
Lange wurde auch über die Hautfarbe des Angeklagten während der Beweisaufnahme diskutiert. Der 24-Jährige stammt aus Äthiopien, lebt aber seit seinem achten Lebensjahr in Deutschland und spricht akzentfreies Deutsch. Vor Gericht beschrieben die Zeugen den Mann, der in dieser Julinacht in das Taxi gestiegen sein soll, auch als „asiatisch aussehend“ oder als „Schwarzer mit einem europäischen Elternteil“. Aus diesen Gründen forderte der Verteidiger Freispruch aus Mangel an Beweisen für den Überfall auf den Taxifahrer.
Gericht ist von Schuld des Angeklagten überzeugt
Trotz all dieser Argumente sah es Hornstein als ohne Zweifel gesichert an, dass der 24-Jährige beide Taten begangen habe. Die Täterbeschreibung sei angesichts der kurzen Zeit, die das Opfer hatte, ihn zu betrachten, gut genug und zutreffend. Der 24-Jährige soll gegen Mitternacht am Konstanzer Bahnhof das Taxi herangewunken haben und sich nach einem kurzen Gespräch hinter den Fahrer gesetzt haben. Dieser habe den Fahrgast dann die Fahrt über auch nicht mehr im Rückspiegel sehen können.
Außerdem hatte der Taxifahrer zu Protokoll gegeben, der Täter habe akzentfreies Deutsch gesprochen. So wie der Angeklagte. Dass es einen anderen möglichen Täter mit dieser Beschreibung gebe, der ebenfalls fließend Deutsch spreche, sei schlicht unwahrscheinlich. Hinzu kämen die Parallelen, dass beide Taten mit einem Küchenmesser begangen wurden und in räumlicher Nähe stattfanden.
Angeklagter wird abgeschoben
Für den Angeklagten sprach wenig. Eigentlich nur das Teilgeständnis, den Kiosk-Überfall begangen zu haben und die aufrichtige Entschuldigung beim Kiosk-Mitarbeiter während des ersten Verhandlungstages, wie Richter Hornstein zusammenfasste. Denn auch das einschlägige Vorstrafenregister, darunter ebenfalls ein Überfall auf einen Taxifahrer, wiesen nicht auf ein Einsehen des Angeklagten hin. Die Staatsanwaltschaft habe schon für ein moderates Strafmaß plädiert und diesem schließe sich das Gericht vollumfänglich an.