Wenn es noch zwei weitere Woche so warm bleibt, dann „bekommen wir richtige Schwierigkeiten“. Davon ist Thomas Giesinger, Vorstand beim Ortsverband Radolfzell des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), überzeugt. Mit „wir“ meint er Tiere und Pflanzen am See, aber auch die Obstbauern und Landwirte – und womöglich sogar Badegäste.
Denn seit kurz vor Weihnachten steigen die Temperaturen langsam an, über Silvester waren in Radolfzell bis zu 17 Grad. Laut Jürgen Schmidt vom Wetterkontor geht es am Bodensee im Januar „mild bis sehr mild weiter“ mit Temperaturen um 10 Grad. „Die Nächte sind frostfrei, also alles wenig winterlich“, so Schmidt. Ob es überhaupt noch mal Winter wird am Bodensee bis Ende Februar, sei aktuell noch nicht sicher. Aber, sagt Schmidt vorher, „die Langfristprognose bis April geht von zu warmen Temperaturen für diesen Zeitraum aus“.
Frühstart für den Frühling
Und selbst wenn es ab Februar doch wieder kälter werden sollte, ist schon diese kurze Wärmephase laut Thomas Giesinger ein Problem: „Die Folgen können wir jetzt schon sehen. Es ist warm und sonnig, deshalb beginnt sozusagen das Leben zu erwachen.“ Es würden bereits die ersten Pflanzen knospen, die das sonst nicht tun würden.
Betroffen seien Frühblüher wie Hasel, Schneeglöckchen, Krokus und Buschwindröschen. „Kommt dann im März oder April wie üblich noch einmal der letzte Frost, werden deren Knospen und Triebe erfrieren“, sagt er. Obstbauern drohen laut dem Naturschutzbund NABU, der auf seiner Internetseite über die Folgen milder Winter informiert, daher Ernteausfälle, denn die Bäume blühen nur einmal im Jahr. Wilde Pflanzen könnten später zwar neue Triebe ausbilden, allerdings seien die schwächer und kleiner. Das macht sie anfälliger für Schädlinge.
Mehr Mücken und Zecken im Sommer?
Doch nicht nur Landwirte und Obstbauern würden die Folgen spüren, sondern womöglich auch Badegäste und Touristen. Denn Profiteure des milden Wetters könnten ausgerechnet Mücken und Zecken sein. Bei extremer Kälte sterben sonst viele ihrer Larven. Nun könnte, so Giesinger, „die Mücken-Population durch den milden Januar im Frühjahr größer sein.“ Aber: Bei den Schnaken, die im Bodenseeraum sehr verbreitet sind, sei nicht der Winter, sondern der Mai entscheidend. „Wenn der zu trocken ist, gehen die Larven ein“, erklärt Giesinger.
Für die meisten Insekten und Tiere ist ein warmer Winter jedoch nicht gut. „Eigentlich ist bei Säugetieren und Insekten jetzt die Zeit des Winterschlafs oder der Winterruhe, bis die letzten Fröste rum sind“, berichtet Thomas Giesinger. Wenn jetzt erst einmal alles erwache, komme der späte Frost „wie ein Schock“ auf sie zu.
Honigbienen sind in Gefahr
Ein mögliches Opfer könnten die Bienen werden. Denn die erwachen ab einer Temperatur von etwa zehn Grad und werden aktiv. Imker in der Region würden bereits die ersten Bienen fliegen sehen, so Giesinger. Das Problem: Sie finden zu wenig Nahrung, da kaum Blumen blühen. Und wenn die Bienen doch etwas finden und bereits mit ihrer Brut beginnen, könnten viele bei einem Temperatursturz erfrieren. „Es ist gesünder für die Natur, wenn Bienen erst im März oder April fliegen“, sagt Giesinger daher.
Hinzu kommt, dass Insekten laut Informationen des Naturschutzbundes (Nabu) mehr Energie verbrauchen, sobald sie wegen der Wärme aktiv sind. Besonders wenn sich Kälte- und Wärmephasen mehrfach abwechseln, zehrt das an den Reserven der Insekten und sie kommen geschwächt aus dem Winter.

Ähnlich ist es bei Vögeln. „Sie erwachen frühzeitig aus der Winterruhe und beginnen Nester zu bauen. Und wenn die warme Phase länger anhält, legen sie vielleicht sogar Eier“, so Giesinger. Nahrung, vor allem für die Jungtiere, die Eiweiß brauchen, werden sie jedoch nicht genug finden, da beispielsweise Raupen noch nicht unterwegs seien.
Zugvögel lassen sich vom Wetter hingegen nicht irritieren. „Sie richten sich nicht nur nach der Temperatur, sondern nach der Tageslänge“, sagt Giesinger. Am Sonnenstand ändert der milde Winter nichts. „Und im Zweifel hängt die Rückkehr ohnehin eher von der Temperatur im Zielland ab“, so der Umweltschützer.
Landwirte müssen mit mehr Schädlingen rechnen
Winterschlafende Säugetiere wie Igel, Nagetiere oder Fledermäuse hingegen werden laut Giesinger durch das warme Wetter geweckt, er habe zum Beispiel am Böhringer Mühlbach eine Ratte gesehen – ungewöhnlich zu dieser Jahreszeit.
Hinzu kommt in diesem Jahr der warme Oktober 2022, als es bis zu 25 Grad hatte. Denn manche Säugetiere wie der Igel oder Mäuse hatten sich deshalb erneut gepaart und nochmals Junge bekommen. „Das ist extrem außergewöhnlich“, sagt Giesinger. Bleibt es weiterhin mild, gibt es im Frühjahr deshalb eine größere Population von Mäusen und anderen Schädlingen – ein Problem für die Landwirtschaft.
Geschwächten Tieren droht der Tod
Wechseln sich die milden Phasen hingegen zu oft mit kälteren ab, könnten die Tiere ihren Winterschlaf zwar immer wieder erneut starten, doch einige würden qualvoll sterben, da sie für jedes Aufwachen aus dem Winterschlaf wichtige Energiereserven anzapfen müssen. Bei geschwächten Tieren oder den kleinen Winterigeln, die im November zur Welt kamen, reichen die Reserven dafür nicht, so der BUND-Vorstand.
Giesinger hofft daher, dass die warme Phase nicht zu lange anhält und es wieder konstant kälter wird, wie von der Natur für diese Jahreszeit eigentlich vorgesehen – auch wenn die Prognose des Wetterkontors wenig Anlass zur Hoffnung gibt.