Gisela Lejeune-Härtel, Sprecherin des Naturschutzbundes NABU-Radolfzell-Hegau, hat das blutige Schauspiel selbst erst beobachtet: „Erst gestern habe ich gesehen, wie eine Katze mit einer jungen Meise gespielt und sie getötet hat“, berichtet die Umweltschützerin. Damit ist sie nicht alleine.

Gisela Lejeune-Härtel, Sprecherin des NABU Radolfzell-Hegau
Gisela Lejeune-Härtel, Sprecherin des NABU Radolfzell-Hegau | Bild: Jan Riehle/Picasa

In Deutschland gibt es etwa 14 Millionen Hauskatzen. Laut Schätzungen töten sie jährlich bis zu 200 Millionen Vögel. Hans-Günther Bauer, Ornithologe am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell ordnet die Zahl ein: „Es gibt in Deutschland nur noch etwa 80 Millionen Brutvogelpaare. Da wird klar, wie dramatisch das ist.“

Allerdings seien solche Schätzungen mit Vorsicht zu genießen – belastbare Studien gebe es kaum. „Doch selbst wenn jede Katze im Jahr nur einen Vogel fangen würde, wären das schon 14 Millionen tote Vögel“, sagt Bauer.

Artensterben am Bodensee

Der Ornithologe erklärt, warum die Region um Radolfzell besonders betroffen ist: „Der westliche Bodensee ist eines der wichtigsten Gebiete für Vögel.“ Etwa 150 Arten brühten hier. Doch viele von ihnen seien bedroht – manche bereits verschwunden.

Hans-Günther Bauer, Ornithologe am Max-Planck-Institut in Radolfzell
Hans-Günther Bauer, Ornithologe am Max-Planck-Institut in Radolfzell | Bild: Michael Buchholz

Vor allem Vögel, die am Boden brüten, hätten große Schwierigkeiten, weil es in den heutigen Landschaften zu wenige Verstecke gebe. „Die intensive, monotone Landwirtschaft ermöglicht Raubsäugern hier bessere Erfolgschancen“, beschreibt der 64-jährige.

NABU-Sprecherin Lejeune-Härtel ergänzt: „Bei vielen Vogelarten haben wir hier bis zu 70 Prozent Rückgänge im Vergleich zu den 1990er-Jahren.“ Gefährdet seien zum Beispiel der Kiebitz, die Bekassine, das Braunkelchen und die bekannte Feldlerche.

Welche Rolle spielt die Hauskatze hierbei?

Die Bewirtschaftung der Flächen sei ein größeres Risiko, weil durch Pestizide und Intensivnutzung der Lebensraum der Vögel zerstört werde, erklärt Lejeune-Härtel. „Früher wurden Wiesen zweimal pro Jahr gemäht, heute vier oder fünf Mal. Da hat kein Bodenbrüter eine Chance“, klagt die NABU-Sprecherin.

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„Durch diese Art der Landwirtschaft sind die Bodenbrüter aber für Raubtiere wie Hauskatze, Fuchs, Marder und Waschbär überhaupt erst exponiert“, erklärt Ornithologe Bauer. Und sind die Vögel erst einmal geschlüpft, lauern weitere Gefahren: Windräder, Stromkabel, Fenster und Autos. „Für junge Vögel sind das unbekannte Hindernisse“, sagt Bauer.

Ein Rotkehlchen blickt sich um, denn die Gefahr lauert überall. Neben Füchsen und Mardern machen auch Hauskatzen jagt auf Vögel.
Ein Rotkehlchen blickt sich um, denn die Gefahr lauert überall. Neben Füchsen und Mardern machen auch Hauskatzen jagt auf Vögel. | Bild: Gerald Jarausch

Der Ornithologe fasst die Lage so zusammen: „Wir haben wegen der Lebensraumzerstörung zu wenige geschlüpfte Vögel. Und diese Wenigen werden dann durch hohe Verluste weiter dezimiert.“ Unter anderem durch die Hauskatzen.

Gefahr im Frühjahr am Größten

Gerade jetzt sei die Bedrohung durch die Fellnasen am größten, erklärt Bauer. Denn zwischen April und Juni, wenn die Jungen schlüpfen, seien viele unerfahrene Vögel unterwegs. „Die sind leichte Beute.“ Etwa zehn bis 15 Prozent der getöteten Vögel gingen auf das Konto der Hauskatzen, schätzt Lejeune-Härtel.

Die Haustiere würden vor allem deshalb problematisch sein, weil sie als unnatürlicher Jäger dazu kommen, so Bauer. Die Frage sei, wie viel ein System vertrage – und am Bodensee sei es am Limit, erklärt Bauer. „Ehemals häufige Arten sterben aus. Daher sind Schutzmaßnahmen notwendig“, fordert er.

Was kann man kann dagegen unternehmen?

Da seien Politik, Katzenhalter und Gartenbesitzer gefragt, findet Lejeune-Härtel. Es sollten sich nur Leute eine Katze holen, die auch Zeit haben, mit ihr zu spielen. Denn das schwäche den Jagdtrieb etwas ab, erklärt sie.

„Und wenn man in den Urlaub fährt, sollte man einen sicheren Platz für die Katze im Tierheim suchen“, sagt die NABU-Sprecherin. Sonst würde das Tier aus Langeweile mehr jagen.

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Zudem sollten Katzenhalter ihre Samtpfoten zwischen April und Juni möglichst wenig aus der Wohnung lassen, um den Jungvögeln eine Chance zu geben. Sie rät: „Vor allem in den Morgenstunden sollten die Katzen in der Wohnung bleiben, da sie im Dunkeln besonders erfolgreich jagen können.

Tipps für Gartenbesitzer

Von einem Halsband mit Glocke halten die beiden Experten dagegen wenig, weil es die Vögel nicht rechtzeitig warne. „Und der Lärm ist für die Katzenohren eine Tortur“, sagt Lejeune-Härtel.

Auch die Politik ist gefordert

Die NABU-Sprecherin nimmt auch die Politik in die Pflicht: „Das wichtigste wäre eine Kastrations- und Kennzeichnungspflicht mit Chips für Hauskatzen.“ So wie man es von Hunden kenne. Dadurch könne die Zahl verwilderter Katzen reduziert werden, da sich ausgesetzte Tiere nicht mehr unkontrolliert vermehren könnten.

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Zudem nehme bei kastrierten Tieren der Jagdinstinkt ab. Andere Städte hätten das ausprobiert und damit Erfolg gehabt. „Wir arbeiten daran, dass das überall kommt“, verspricht sie.

Viele Vogelarten werden aussterben

Sollte nichts passieren, sieht Lejeune-Härtel schwarz für viele Vogelarten in der Region: „Es gibt keine Anzeichen für Besserungen. Viele Bodenbrüter werden wohl verschwinden.“ Und auch Ornithologe Bauer warnt: „Wenn wir Bebauung, Landwirtschaft und Haustierhaltung nicht ändern, werden wir viele Vogelarten verlieren.“

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Das Rebhuhn sei am westlichen Bodensee bereits ausgestorben, bei den Haussperlingen, Grauammern, Feldlerchen und Kiebitzen werde es bald dazu kommen. Bauer weiß: „Wir haben das selbst in der Hand.“

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