Glücklich ist er. Julian Moser steht mitten in der Rebfläche auf der Insel Reichenau und berührt einen der Rebstöcke beinahe zärtlich. „Ich kenne jede Pflanze, seitdem sie Setzlinge sind“, sagt der 27-jährige Dingelsdorfer. Und es mutet beinahe an, als würde ein Vater von seinen kleinen Kindern sprechen. Die Verbundenheit mit der Natur ist offenkundig, ebenso seine Freude, denn mit diesen Rebflächen hat er sich jetzt selbstständig gemacht und sich den Traum des eigenen Weinbaubetriebs erfüllt.
Im Jahr 2013 hatte der 20-Jährige den Berufswettkampf der Auszubildenden im Weinbau gewonnen. Schon damals erzählte er im Interview auf die Frage, wie er seine beruflichen Perspektiven sehe: „Ein eigener Betrieb wäre nicht schlecht. Ab und zu ist auch einer ausgeschrieben. Hier am See ist es allerdings schwierig.“ Schwierig, aber nicht unmöglich, wie er jetzt mit seinem eigenen Betrieb Moser Seewein auf der Insel Reichenau unter Beweis stellt.
Wie aber kommt ein junger Mann aus Dingelsdorf – der Ort ist nicht gerade berühmt wegen seiner ausgedehnten Weinberge – auf die Idee, Winzer zu werden? „Mein Interesse war früh geweckt“, so Julian Moser. Als er noch ein Teenager war, machte die Dingelsdorfer Familie einen Tagestrip auf ein Weingut in der Pfalz. Julian hatte es so gut gefallen, dass er in den Sommerferien dort ein mehrwöchiges Praktikum absolvierte. Danach stand für ihn fest, dass er Winzer werden wollte.
Vom Humboldt wechselte er an das Agrarwissenschaftliche Gymnasium in Radolfzell, machte dort 2012 sein Abitur, studierte Weinbau und Oenologie am Weincampus Neustadt an der Weinstraße. Im Jahr 2016 schloss er sein Studium erfolgreich ab und arbeitete für namhafte Weingütern in unterschiedlichen Regionen Deutschlands, in Südtirol und Neuseeland. „In Neuseeland habe ich bei einer Ernte geholfen. Der Betrieb war sehr interessant, denn er macht die besten Pinot Noirs außerhalb von Burgund und ist ziemlich erfolgreich“, erzählt Julian Moser und fügt mit einem Augenzwinkern an: „Als ich zurückkam, habe ich Pflanzrechte organisiert.“
Wie aber kam er zu Rebflächen auf der Insel Reichenau?
„Es ist das Grundstück meiner Großeltern“, sagt Julian Moser. „Es war ein ganz normaler Acker. 2018 habe ich hier die ersten Reben gepflanzt.“ Und schon gerät Moser wieder ins Schwärmen: „Es ist eine der besten Lagen auf der Au. Extrem sandiger Boden über dem Kies; für Weißweine ideal, denn sie werden elegant, fruchtig, mineralisch.“ Mittlerweile hat er zudem noch zwei Ar auf der Hochwart, 60 Ar in Gailingen und „dieses Jahr kommen noch 30 Ar auf der Reichenau dazu“, so Moser, der bis 2019 bei einem anderen Betrieb angestellt war und sich in diesem Jahr mit Moser Seewein selbständig gemacht hat.
Es ist das Rundum-Paket des Weinbaus, das Julian Moser so fasziniert. „Die Erzeugung eines Produkts von Null bis zur Fertigstellung – von der Traube bis in die Flasche“, meint er und kommt wieder auf die Rebstöcke zu sprechen, erzählt von den kleinen Setzlingen, bei denen man im Folgejahr „einen Trieb hochzieht, damit der Stamm aufgebaut wird bis man eine richtige Fruchtrute schneiden kann“. Die Arbeit ist aufwändig und vor allem ist Geduld vonnöten, denn erst „im dritten Jahr hat man einen kleinen und im vierten Jahr einen fast vollen Ertrag“, sagt der junge Fachmann.
Experimentierfreude ist Julian Moser zu eigen. Das fängt bei der Auswahl der Rebsorten an und hört beim Keltern nicht auf. Moser hat sich nämlich dem ökologischen Weinbau verschrieben. Pilzwiderstandsfähige Rebsorten, sogenannte Piwis, sind sein Steckenpferd, denn durch diese Sorten „können wir den Pflanzenschutz im Vergleich zu den Standardsorten auf ein Minimum reduzieren, wodurch der Öko-Weinbau noch nachhaltiger gestaltet wird“, stellt Julian Moser fest und fügt aus Überzeugung an: „Nur so kann man ein vernünftiges Produkt produzieren. Und es macht langfristig mehr Sinn.“
Dazu benötigt es dezidierte Fachkenntnis, nicht nur, weil „man viel mehr Handarbeit reinstecken muss“. Das Wissen um die Sorten ist das A und O. Moser ist von den „resistente Sorten, die mit europäischen Reben gekreuzt wurden“, überzeugt, denn sie erfüllten die europäischen Geschmacksanforderungen. Er erzählt von den typischen Eigenschaften von Muscaris und Solaris, die bereits einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht haben, um dann auf eine Neuheit zu sprechen zu kommen: Calardis blanc.
Mut zum Risiko und eine ungewöhnliche Rebsorte
„Ich hab ihn beim Züchter probiert. Er hat eine ganz andere Stilistik als andere Piwis. Er ist sehr filigran und elegant und bekommt – je nach Standort – eine schöne Würze“, schildert Julian Moser. Neugierig ist er nun, denn im vergangenen Jahr hat er diese Rebsorte gepflanzt und „jetzt bin ich gespannt, was rauskommt“, sagt er lächelnd. „Die Sorte ist noch nicht so populär. Da ist es nicht so leicht, den richtigen Weg zu finden; man muss sich herantasten und ausprobieren. Und erst, wenn der Wein abgefüllt ist, sieht man, ob man alles richtig gemacht hat.“
Mut zum Risiko ist also auch erforderlich. Aber den hat Julian Moser allein schon aufgrund seiner Begeisterung am Ausprobieren. „Experimentieren ist doch viel interessanter als immer nur Schema F“, meint er schulterzuckend, als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt, bewusst Risiken einzugehen.
Doch nicht nur mit Weinen experimentiert Julian Moser gern. Er hat auch das Brennrecht und eine Brennerei bekommen, so dass er jetzt das „Material von einer Dingelsdorfer Streuobstwiese“ veredelt. Hierbei wird deutlich, wie sehr er die Natur wertschätzt, denn er sagt mit Überzeugungskraft: „Streuobstwiesen sind ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen und prägen unsere Kulturlandschaft.“
Eben diese Streuobstwiesen seien in der jüngeren Vergangenheit vernachlässigt worden, weshalb er mittels Aktivierung der Wertschöpfungskette seinen Beitrag zum Erhalt dieser Wiesen leisten möchte. Julian Moser hat noch viel vor. Auch wenn er sagt, er wolle alles langsam Schritt für Schritt angehen, spricht er schon davon, alkoholfreie Produkte herstellen zu wollen und davon, möglichst noch in dieser Saison einen kleinen Verkaufsstand bei seinem Betrieb auf der Reichenau zu realisieren.