Die Fleischtomate beim Reichenauer Bioland-Gärtner Manuel Uricher schmeckt Cem Özdemir sehr gut. „Allein dafür hat sich der Besuch hier gelohnt“, sagt der Bundesminister für Landwirtschaft und Ernährung genussvoll kauend. Ob in seinem Gewächshaus viel über Automatisierung laufe? Das will Özdemir von dem jungen Gärtner wissen. Kaum, sagt Uricher. „Ich muss jede Tomate anschauen. Maschinell geht das nicht.“
Und ob der Absatz des Biogemüses stabil sei, fragt der Minister – und weiß die Antwort wohl schon, weil viele Leute preisbewusst einkaufen, wie er selbst anmerkt. Der Reichenauer Biogärtner bestätigt auch, dass es aktuell nicht so gut laufe. Özdemir sagt, er hoffe, dass der Krieg bald ende, die Inflation ebenso.

Mit Cem Özdemir hat erstmals ein Bundesminister für Landwirtschaft die Reichenauer Gemüse-Genossenschaft besucht – auf Einladung der Grünen-Landtagsabgeordneten Nese Erikli. „Wir schauen uns hier ein Aushängeschild für nachhaltige und regionale Landwirtschaft an“, sagt sie.
Sie kaufe hier selbst gern das „fantastische Gemüse“. Und: „Mir ist wichtig, dass der Minister die Themen vom südlichsten Zipfel Deutschlands mit nach Berlin nimmt. Das sind andere als in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen“, betont Erikli.
Doch die Probleme der Reichenauer Gärtner und ihrer Genossenschaft liegen vor allem an den hohen Standards in Deutschland und der Ungleichbehandlung innerhalb der EU, wie Geschäftsführer Johannes Bliestle ausführt. Weil die Strukturen auf der Reichenau einfach zu klein seien im Wettbewerb, habe man schon vor rund 15 Jahren eine neue Strategie gestartet. Zum einen hin zum Bioanbau, der mittlerweile 35 Prozent der jährlich rund 14.000 Tonnen des Reichenauer Gemüses ausmacht und 50 Prozent des Umsatzes.
Damit liege Reichenau-Gemüse schon über den Zielen von Bund und Land. Neben hochwertiger Qualität setzen die Landwirte auf Spezialitäten wie Ingwer, Zitronengras oder Bio-Süßkartoffeln ebenso wie moderne große Gewächshäuser in den Gärtnersiedlungen im Hegau, mit deren Produkten die Genossenschaft mittlerweile 65 Prozent des Gesamtumsatzes generiere.
Doch das Problem seien einfach die unterschiedlichen Erzeugungskosten in der EU. Das fange beim Mindestlohn an. „Man will den Leuten gern das Geld gönnen, aber das Problem ist der Wettbewerb“, sagt Bliestle. Hinzu kämen höhere Energiekosten sowie schärfere Bestimmungen bei Pflanzenschutz und Umweltmaßnahmen. Und die deutsche Ware liege dann eben teurer neben der europäischen in derselben Auslage im Supermarkt.
Die deutschen Verbraucher seien zwar bereit, für heimische Ware zehn bis 15 Prozent mehr zu bezahlen, aber nicht 30 bis 40 Prozent, schiebt Bliestle hinterher. „Die großen Verlierer sind die Erzeuger“, sagt er, „das führt zu Betriebsaufgaben.“ So sei auch die Reichenauer Genossenschaft von einst rund 100 Betrieben vor 20 Jahren auf heute 49 geschrumpft.

Cem Özdemir zeigt Verständnis für die Probleme der Gärtner, aber auch Unverständnis für das Verhalten von Kunden und die EU-Politik. Der Mindestlohn sei natürlich eine „zweischneidige Geschichte“, sagt der Landwirtschaftsminister. Zum einen sei es für Landwirte ja schwierig, überhaupt Saisonarbeitskräfte zu finden. Aber das Preisniveau erkenne er als Problem.
Die deutsche Politik habe sich daran gewöhnt, dass Lebensmittel vor allem billig sein müssten. Das sei ein bisschen das Problem, war Özdemir der Auffassung, und: „Ich finde das falsch. Gute Qualität hat halt ihren Preis.“ Dafür wolle er werben. Er habe sich andererseits dafür eingesetzt, für Obst und Gemüse die Mehrwertsteuer zu senken – als Beitrag zum Absatz und für Gerechtigkeit.
Aber da mache Finanzminister Christian Lindner nicht mit. Das sei in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Immerhin habe die Bundesregierung mit Strom- und Gaspreisbremse für Entlastung gesorgt, sagt Özdemir, er wolle sich in der EU für einen fairen Wettbewerb einsetzen. Doch dieser werde von „schwarzer“ Politik dominiert, also von CDU und EVP.
Cem Özdemir und sein Referatsleiter für Gartenbau, Thomas Schmidt, haben sich auf der Reichenau einiges notiert. Geschäftsführer Bliestle erklärt im Nachgang, er habe keine Versprechungen erwartet. Es sei schön, dass ein Bundesminister da gewesen sei. Und Kontakte nach oben könnten immer mal nützlich sein.