Trotz Aufforderung: Mitnehmen kann er den riesigen Korb voller praller roter Tomaten nicht, den ihm der Reichenauer Bio-Gemüsebauer Manuel Uricher da in seinem Betrieb hingestellt hat. Aber probieren geht immer, schließlich gehört das mit zum Anforderungsprofil eines Bundeslandwirtschafts- und Ernährungsministers.

Also schiebt sich Cem Özdemir eine große Tomatenscheibe in den Mund, macht „hmmmmm“, nimmt das Messer in die Hand, schneidet die Ochsenherz-Tomate in Scheiben und kredenz es auf einem Holzbrettchen den umstehenden Gästen. „Probieret Se, die schmeckt richtig gut. Tolles Aroma“, lobt Özdemir. Manuel Uricher und sein Vater Gerhard vernehmen es mit zufriedenem Lächeln.

Tomaten satt: Probieren gehört für einen Agrarminister dazu. Bio-Gemüsebauer Manuel Uricher (links) freut es.
Tomaten satt: Probieren gehört für einen Agrarminister dazu. Bio-Gemüsebauer Manuel Uricher (links) freut es. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Samstagnachmittag, Reichenau, prominenter Besuch bei den Urichers und den Reichenauer Gemüseerzeugern. „Ein Bundeslandwirtschaftsminister war noch nie bei uns, und seine Vorgängerin hat sich schon gar nicht blicken lassen“, sagt Johannes Bliestle, Geschäftsführer der Reichenau-Gemüse EG. Nese Erikli, Konstanzer Landtagsabgeordnete der Grünen, hat seit eineinhalb Jahren beim einzigen baden-württembergischen Bundesminister für einen Besuch in ihrem Wahlkreis getrommelt, das Programm organisiert rund um die wichtigsten Anliegen von Landwirtschaft und Naturschutz in der Region, „das hat sie sehr nachdrücklich gemacht“, bemerkt Özdemir lobend.

Erikli, die ihm nicht von der Seite weicht, freut sich sichtlich über den Besuch im „schönsten Wahlkreis Baden-Württembergs“. „Das ist so wichtig für die Region“ sagt sie, „die Themen, die den Menschen hier unter den Nägeln brennen, werden in Berlin oft gar nicht wahrgenommen.“

Im Verkaufspavillon der Reichenauer Gemüseerzeuger präsentieren die Konstanzer Landtagsabgeordnete Nese Erikli (Grüne), Jasmin Blum vom ...
Im Verkaufspavillon der Reichenauer Gemüseerzeuger präsentieren die Konstanzer Landtagsabgeordnete Nese Erikli (Grüne), Jasmin Blum vom Pavillion, Geschäftsführer Johannes Bliestle, Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özedmir (Grüne), Rosmarie Blum vom Pavillon und der stellvertretende Geschäftsführer Christian Müller (von links) Melonen von der Reichenau. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Jetzt ist er also da, der anatolische Schwabe, der erste Grüne in dem so traditionell schwarzen Bundesministerium, ausgerechnet ein Vegetarier, der es nicht nur den Bio-Bauern, sondern auch den Lobbyverbänden und Funktionären der mächtigen Bauernverbände, den Massentierzüchtern und den konventionellen Landwirten recht machen muss. Özdemir, 57 Jahre alt, kommt im blauen Sommeranzug mit offenem weißen Hemd und ganz kleiner Entourage.

Erst geht es zum Besuch auf die Reichenau bei den Gemüsebauern, in Kühl- und Lagerräume, die bis unter die Decke gefüllt sind mit der ganzen Pracht, die die Insel so hergibt. Es geht in den Verkaufspavillon, dann auf den Biohof der Urichers. Später steht ein Besuch auf der Mainau an, kurzes Vesper mit der fürstlichen Familie, anschließend ein Abendspaziergang durch den Schlossgarten mit rund 30 Bürgerinnen und Bürgern, Vertretern von Umwelt-, Landschafts- und Umweltschutzverbänden, Fragen und Austausch sind erwünscht.

Auch Uli Burchardt, der Konstanzer OB, ist gekommen. Am Sonntagmorgen geht es weiter auf der Höri.

Ganz schön krumm: Özdemir inspiziert eine Gurke von der Reichenau. Rechts Erzeuger-Geschäftsführer Johannes Bliestle.
Ganz schön krumm: Özdemir inspiziert eine Gurke von der Reichenau. Rechts Erzeuger-Geschäftsführer Johannes Bliestle. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Am Samstag aber hört sich der Grünen-Politiker erst einmal die beeindruckenden Kennzahlen der Reichenauer Gemüsebauer an – und deren Sorgen und Nöte. Preisdruck, Mindestlöhne, Wettbewerb, Europäische Verordnungen, vor allem die SUR, die Verordnung zur nachhlatigen Verwendung von Pflanzenschuzmitteln – all das setzt den Obst- und Gemüsebauern wirtschaftlich zu. „Ein Gemüsebauer, der aufgibt, der ist weg“, sagt Bliestle.

Und das, obwohl jeder Einzelne dringend gebraucht wird bei den geringen Selbstversorgungsraten in Deutschland bei Obst und Gemüse. Versprechen kann Özdemir nichts, aber er hört aufmerksam zu, schimpft ein bisschen auf die CDU, die nach seiner Sicht auf EU-Ebene verhindert, was sie im Bund in der Opposition fordert, das gehört zur politischen Folklore.

Özdemir sagt: „Ich bin der Minister von allen, der Biobauer und der konventionellen Landwirte. Ich bilde die ganze Bandbreite ab und lege Wert darauf, die unterschiedlichen Perspektiven zu sehen. Nicht nur Schwarz und Weiß, sondern auch die Grautöne“, sagt Özdemir. Das kommt zumindest mal nicht schlecht an. Er fragt nach, bietet den kurzen Draht zu den Experten in seinem Ministerium an „Dazu sind wir ja auch da, Ihnen zu dienen“, sagt Özdemir. Die Vorstandsriege der Gemüse EG vernimmt es wohlwollend, aber zurückhaltend.

Tritt Özdemir 2026 in Baden-Württemberg an?

Noch weiß man nicht genau, was das für einer ist, der Minister. Und was er erreichen kann und will im Amt – oder ob das für ihn nur eine Durchlaufstation ist auf dem Weg in ein ganz anderes Amt. Eins in Baden-Württemberg etwa, im Jahr 2026, wenn die Grünen einen neuen Spitzenkandidaten für die Landtagswahl suchen und Winfried Kretschmann nicht mehr antreten wird.

Will er das? Özdemir weicht einem „Ja“ oder „Nein“ stets aus, plädiert mit Feuereifer für seinen aktuellen Job, auf sein Tierhaltungskennzeichnungsgesetz, das die Ställe so revolutionieren soll wie damals die Eierkennzeichnung die Hühnerhaltung. Er will nicht durch Spekulationen zu einer „lame duck“, zu einer lahmen Ente im Bund werden. Und doch begleitet ihn die Frage bis zu einer Entscheidung wohl auch künftig überall, wo er im Südwesten auftaucht: Kann er Kretschmann? Wäre er einer fürs Land?

Johannes Bliestle will sich da nicht äußern. Bliestle ist auch Bundesvorsitzender der Obst- und Gemüseerzeugerorganisationen, er hat Özdemir schon kurz im Februar auf der Fruit Logistica in Berlin kurz kennengelernt, kann aber nicht wirklich etwas sagen. „Ich habe den Eindruck, er versucht, keine Fehler zu machen. Aber er hat schon ein gutes politisches Gespür und ist verbunden mit dem Land“, sagt er.

Johannes Bliestle
Johannes Bliestle | Bild: Bäuerlein Ulrike

„Ich schätze an Kretschmann, dass er auch mal Kante zeigt. Der ist zwar ein Grüner, aber vor allem zeigt er gesunden Menschenverstand. Das macht ihn für die Menschen glaubwürdig, das ist das A und O“, sagt Bliestle, „wenn man hier Ministerpräsident werden will, muss man Nehmerqualitäten zeigen und darf sich nicht dem Parteibuch ergeben.“ Ob Özdemir das mitbringt? „Auf jeden Fall ist das Landwirtschaftsministerium ein guter Prüfstein. Das ist sicher schwierig. Wer das übersteht, hat auch das Zeug zum Ministerpräsidenten“, glaubt Bliestle.

Beim abendlichen Rundgang auf der Mainau stellt sich Özdemir Fragen von Bürgerinnen und Bürgern und Verbandsvertretern.
Beim abendlichen Rundgang auf der Mainau stellt sich Özdemir Fragen von Bürgerinnen und Bürgern und Verbandsvertretern. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Das ist auch am Abend beim Spaziergang durch den Schlossgarten auf der Mainau mit rund 30 Bürgerinnen und Bürger, viele aus dem Grünen-Umfeld aus Natur- und Landschaftsschutzverbänden ein vielgebrauchtes Wort, wenn man fragt, wie er denn so wirkt: „Bodenständig“, heißt es da, „offen und interessiert“. Immer wieder wird auch eine kritische Frage gestellt, Özdemir weicht nicht aus, verweist aber auf die Zwänge und Kämpfe und die nötigen Kompromisslinien für einen grünen Bundesagrarminister zwischen 16 von länderinteressengeleiteten Kollegen aus den Bundesländern, einer Dreier-Bundesregierung und einer CDU-geführten EU-Kommission.

Der Konstanzer OB Uli Burchardt gibt Cem Özdemir am Samstagabend auf der Mainau eine kleine Gebietseinweisung.
Der Konstanzer OB Uli Burchardt gibt Cem Özdemir am Samstagabend auf der Mainau eine kleine Gebietseinweisung. | Bild: Bäuerlein, Ulrike

Aber Özdemir genießt den Spaziergang und das Ambiente sichtlich, er mag den Kontakt mit den Menschen. „Als kleiner Bub war ich schon mal hier, dann vor ein paar Jahren, als meine Kinder noch ganz klein waren“, schwärmt er beim Sonnenuntergang auf der Mainau. Und dass er ganz bestimmt wiederkommt, auch wenn er mal nicht mehr Landwirtschaftsminister ist. Wird er etwa doch was sagen zu einem neuen Amt? „Vielleicht dann als Touristenführer auf der Mainau“, sagt der 57-Jährige und hat die Lacher auf seiner Seite.

Am späten Abend kann sich dann auch Johannes Bliestle doch noch zu einem Urteil durchringen. „Er kam sehr sympathisch und nahbar rüber“, bilanziert er Özdemirs Auftritt. „Bei den Leuten ist er gut angekommen. Das Parteibuch merkt man ihm gar nicht an.“