„Es muss sich etwas ändern.“ Das sagt die Verteidigerin ebenso wie der Vorsitzende Richter Joachim Dospil. Dieser hält einem 41-jährigen Mann aus Singen mit 40 Vorstrafen vor Augen: Wenn er so weiter mache, werde er enden wie zwei seiner Brüder. Beide starben viel zu früh an Drogen. Trotz der stattlichen Anzahl von 20 Straftaten, die eine Einbruchsserie und Verfolgungsfahrten umfassen, bekommt der 41-Jährige vom Landgericht Konstanz die letzte Chance, mit einer Therapie seine Sucht nach Kokain und anderen Drogen zu bekämpfen.
„Wenn man ein bisschen gutwillig ist, dann liegt diese Voraussetzung vor“, sagt der Vorsitzende Richter Joachim Dospil. Er meint die Einweisung des Angeklagten in eine Entziehungsanstalt. In der Vergangenheit brachte das keinen Erfolg. Der Vorsitzende Richter hofft aber, dass der Angeklagte inzwischen reifer geworden ist. Dospil hält wenig davon, den Mann, der schon 15 Jahre seines Lebens hinter Gittern saß, durch eine scharfe Haftstrafe erneut lange ins Gefängnis zu bringen.
Nochmal Gefängnis sei nicht die Lösung
Das Urteil lautet, zusammen mit einer anderen Strafe: Vier Jahre und sechs Monate Haft, aber auch Einweisung in eine Entziehungsanstalt. Laut Urteil soll der Mann ein Jahr lang tatsächlich hinter Gittern verbringen. Doch die meisten dieser zwölf Monate sind schon abgesessen, unter anderem durch die Untersuchungshaft. Es bleiben also nur wenigen Monate. Danach bekommt der 41-Jährige die Chance, in einer Entziehungsanstalt seine Sucht zu bekämpfen.
Die Therapie dauert in der Regel zwei Jahre. Sollte er durchhalten und sein Aufenthalt in der Entziehungsanstalt einen guten Verlauf nehmen, muss er aller Voraussicht nach nicht mehr zurück in Haft. Das klingt nach Kuscheljustiz. Die psychiatrische Gutachterin weist aber darauf hin, dass der Süchtige einen sehr steinigen Weg gehen müsse. In Haft bekommt der Mann Ersatzstoffe für Suchtmittel. Nach Berechnungen der Gutachterin musste der 41-Jährige in der Zeit davor jeden Tag bis zu 1200 Euro aufbringen, um seine Sucht zu finanzieren.
Er tat dies mit einer Einbruchsserie in Unternehmen sowie Geschäften in Singen und Hilzingen. Er ging dabei rabiat vor und hinterließ zum Teil erheblichen Schaden: Er versuchte einen Tresor zu stehlen, nahm einen mit und hob Geld mit gestohlenen Bankkarten ab. Da sich Verbrechen nicht lohnen soll, ordnet die Strafkammer den Einzug von über 27.000 Euro an, also den Wert der Beute aus Einbrüchen und Diebstählen. Das heißt: Sollte der Verurteilte einmal zu Geld kommen, dann muss er dieses abgeben.
Die Kammer berücksichtigt, dass der Angeklagte die meisten Straftaten einräumt und seine Steuerungsfähigkeit als Süchtiger eingeschränkt war.
Auch andere Straftaten waren erheblich
Der Mann war ständig mit dem Auto unterwegs, ohne einen Führerschein zu besitzen, er raste und wurde dabei geblitzt. Außerdem lieferte er sich in Singen einmal mit der Polizei, einmal mit dem Zoll Verfolgungsjagden. Dabei stand er unter Drogen. Besonders drastisch war der Versuch, mit dem Auto nachts um 2.39 Uhr einer Zollkontrolle in Singen zu entkommen. Die Beamten jagten fast zehn Kilometer in Richtung Duchtlingen dem Auto hinterher, welches der Angeklagte steuerte. Als der Wagen endlich zu stehen kam und Beamte darauf zugingen, setzte der Angeklagte das Fahrzeug zurück.
Ein Beamter sagt als Zeuge vor dem Landgericht Konstanz: „Ich musste ausweichen“. Er habe Angst gehabt, überfahren oder eingeklemmt zu werden. Er habe dann auf einen Reifen des Autos geschossen. Danach setzte der Angeklagte den Wagen gegen einen Baum. Der Kommentar des Beklagten dazu bei der Gerichtsverhandlung: Es sei schade um das schöne Auto. Ein Wort der Entschuldigung an den Beamten, der glaubte, sein Leben retten zu müssen, findet er nicht.
Schon in der fünften Klasse zu aggressiv
Die psychiatrische Gutachterin kommt dennoch zu dem Schluss, dass der Angeklagte höchstwahrscheinlich keinen dissozialen Charakter habe, sich aber manchmal dissozial verhalte, weil er es so gelernt habe. Er wuchs in einem Singener Brennpunktviertel auf und erlebte in der fünften Klasse, wie ihn keine Schule mehr aufnehmen wollte, weil er aggressiv zu Lehrern und Schülern war. Mit zehn oder elf Jahren begann er Alkohol zu konsumieren, ab 22 Jahren wurde er abhängig von Drogen. Vor allem von einer besonderen Form von Kokain, welches er als Crack rauchte.
Immer unter Druck, neue Drogen zu beschaffen
Die Sucht habe über viele Jahre verhindert, dass er einer Arbeit nachgehen konnte, sagt die Gutachterin. Der Angeklagte war teilweise obdachlos und völlig abgemagert. Die Sucht habe sein Leben schwerwiegend beeinträchtigt. Die Steuerungsfähigkeit sei eingeschränkt gewesen, auch bei geplanten Taten. Denn sie seien unter dem Druck entstanden, Geld für neuen Stoff zu bekommen. Sie empfiehlt die Entziehungsanstalt. Diese hat den Vorteil, dass die Zeit danach genau geplant ist, etwa in einer betreuten Wohnung. Die Gutachterin hält es auch für sinnvoll, dem Angeklagten eine persönliche Betreuung beiseitezustellen.
Die juristische Überprüfung des Urteils ist möglich. Es können Rechtsmittel eingelegt werden.