Frau Bieg, wie würden Sie jemandem, der noch nie davon gehört hat, erklären, was die Erzählzeit ist?

Die Erzählzeit ohne Grenzen ist ein deutsch-schweizerisches Literaturfestival, bei dem alljährlich bekannte und noch nicht so bekannte Autorinnen und Autoren aus Deutschland, der Schweiz und Österreich in Singen, Schaffhausen und in vielen weiteren Gemeinden dies- und jenseits der Grenze ihre aktuellen Romane präsentieren. Das Festival wird von einem binationalen Team aus den beiden Partnerstädten kuratiert und organisiert – dieses grenzüberschreitende, dezentrale Konzept ist weit und breit einmalig.

Was ist bei der diesjährigen Erzählzeit anders als in den Jahren zuvor?

Mit Flurlingen (CH), Öhningen und Blumberg sind dieses Jahr gleich drei neue Gemeinden dabei. Und dieses Jahr teile ich mir die Programmleitung erstmals mit Oliver Thiele, dem Leiter der Stadtbibliothek Schaffhausen. Ansonsten hat sich das Konzept der Erzählzeit ohne Grenzen in den letzten Jahren einfach zu gut bewährt, um etwas daran zu ändern. Also, die Idee, Literatur nicht nur in den städtischen Zentren anzubieten, sondern sie zu den Menschen in unserer Region zu bringen, auch in die kleinen und kleinsten Orte. Das macht die Erzählzeit so besonders, und das bleibt auch bei der zehnten Ausgabe so.

War die Veranstaltung von Anfang an so groß? Oder ist man in den vergangenen zehn Jahren gewachsen?

Die Erzählzeit gibt es ja eigentlich schon viel länger als zehn Jahre. Mitbegründet und maßgeblich zu dem gemacht, was sie heute ist, hat sie die langjährige Leiterin der Stadtbibliothek Barbara Grieshaber. Die erste Erzählzeit fand 1990 statt. Ich habe kürzlich mal die alten Programmhefte herausgekramt: Acht Autoren haben damals an unterschiedlichen Orten im Singener Stadtgebiet gelesen. Im darauf folgenden Jahr waren es dann schon fast doppelt so viele. Barbara Grieshaber gelang es von Anfang an, auch die großen Namen nach Singen zu holen. Martin Walser, Herta Müller – die später den Literurnobelpreis erhalten sollte -, Robert Gernhardt oder Wilhelm Genazino waren schon bei den allerersten Erzählzeit-Ausgaben dabei. 2010 wagte man dann den Sprung über die Grenze und aus der Singener Erzählzeit wurde das grenzüberschreitende Literaturfestival Erzählzeit ohne Grenzen. Damals waren elf Autorinnen und Autoren am Start, die in 20 Schweizer und deutschen Gemeinden gelesen haben. Zum Vergleich: Heute sind es um die 35 Autoren und über 40 Gemeinden. Also ja: Die Erzählzeit ist ganz ordentlich gewachsen.

Und was war Ihr persönlicher Höhepunkt in dieser Zeit?

Es ist ja erst mein zweites Erzählzeit-Jahr, sodass ich eigentlich nur auf die letztjährige Erzählzeit ohne Grenzen zurückblicken kann. Besonders gerne erinnere ich mich an die Eröffnungsfeier in der Singener Stadthalle. Das war ein gelungener Abend und für mich natürlich auch deswegen ein Highlight, weil ich so erleichtert war, dass bei meinem Einstand alles einigermaßen reibungslos geklappt hat.

Das könnte Sie auch interessieren

Wie plant man so eine große grenzüberschreitende Veranstaltung? Was sind die besonderen Herausforderungen?

Man muss sich die Planung eines solchen dezentralen Events mit circa 60 Veranstaltungen innerhalb einer Woche wie ein gigantisches Puzzle vorstellen. Die Puzzleteile sind die teilnehmenden Gemeinden, die Verfügbarkeit der Autorinnen und Autoren mit ihren aktuellen Buchtiteln, die Gegebenheiten der verschiedenen Spielstätten, die Entfernungen zwischen den Leseorten. Das muss alles miteinander in Passung gebracht werden. Aber es hört ja nicht damit auf, dass man für jede teilnehmende Gemeinde möglichst zum Wunschtermin einen geeigneten Autor findet. Dann geht’s ja eigentlich erst richtig los: Mit den Verlagen verhandeln, Verträge machen, Bildrechte einholen, Texte für’s Programmheft schreiben und redigieren. Und ganz praktische Dinge müssen organisiert werden: Wo übernachtet der Autor? Wer bringt ihn vom Hotel zu den Leseorten in Deutschland und der Schweiz? Welche Buchhandlung übernimmt den Büchertisch? Wer sorgt für das Mikro und das Glas Wasser auf dem Tisch? All so was…. Ohne ein eingespieltes Team, gute Nerven und Excel wäre man da aufgeschmissen.

Auf welche Veranstaltung freuen Sie sich dieses Jahr denn besonders?

Für mich ist das alles ja noch relativ neu und ich freue mich einfach auf die Erzählzeit als Ganzes, als Ereignis. Auf diese besondere Atmosphäre bei den Veranstaltungen, auf die oft ganz wunderbare Stimmung, die die Organisatoren vor Ort in den Gemeinden mit viel Herzblut und Engagement bei den Lesungen entstehen lassen. Das gibt dem Festival diesen ganz eigenen Ton. Und ich finde, es ist wieder ein rundes Programm geworden, bei dem für jeden Geschmack etwas dabei sein dürfte. "All Time Classics" wie Felix Huby oder Peter Stamm. Aber auch junge Talente wie Julia Rothenburg oder Kenah Cusanit, deren Debütroman "Babel" mich sehr beeindruckt hat.

34 Autoren in 43 Städten: Das erwartet Zuschauer der zehnten Erzählzeit ohne Grenzen

Das grenzüberschreitende Literaturfestival Erzählzeit ohne Grenzen findet zwischen Samstag, 6. April, und Sonntag, 14. April, statt. 34 Autoren werden in diesem Jahr in 43 Städten bei ingesamt 59 Veranstaltungen aus ihren Büchern vorlesen.

  • Welche Autoren kommen? Die Werke von Charles Lewinsky, Alexa Henning von Lange, Heinz Helle und vielen mehr spannen einen weiten Bogen über das aktuelle deutschsprachige Literaturschaffen, versprechen die Veranstalter. Unter den Autoren gibt es große Namen, überraschende Debütantinnen und bekannte Wiederholungstäter aus Deutschland, der Schweiz und Österreich. Mit Irena Brežná, María Cecilia Barbetta und Gianna Molinari sind mehrere Literaturpreisträgerinnen neben renommierten Autoren wie Adolf Muschg, Lukas Hartmann und Felix Huby präsent. Aber auch Debüts finden im diesjährigen Programm ihren Platz: So stellen Kenah Cusanit, Jürg Halter, Donat Blum oder Lukas Linder ihre Erstlingsromane vor. Mit Dominic Oppliger ist ein Autor vertreten, der seine Texte in Schweizerdeutsch veröffentlicht.
  • Wie sieht der Zeitplan aus? Die Eröffnung des Literaturfestivals findet am Samstag, 6. April, um 19.30 Uhr mit der Schweizer Autorin Federica de Cesco im Stadttheater Schaffhausen statt. Bis auf das abschließende Sonntagsfrühstück am Sonntag, 14. April, um 10.30 Uhr in der Stadthalle Singen mit dem aktuellen Schweizer Buchpreisträger Peter Stamm, ist der Eintritt zu allen Veranstaltungen der Erzählzeit ohne Grenzen frei.
  • Welche Gemeinden sind dabei? In diesem Jahr nehmen folgende Gemeinden an dem deutsch-schweizerischen Literaturfestival teil: Aach, Beggingen, Beringen, Blumberg, Büsingen, Dachsen, Diessenhofen, Dörflingen, Engen, Flurlingen, Feuerthalen, Gailingen, Gottmadingen, Hallau, Hilzingen, Jestetten, Klettgau, Laufen-Uhwiesen, Löhningen, Lottstetten, Mühlhausen-Ehingen, Mühlingen, Neuhausen am Rheinfall, Neunkirch, Oberhallau, Öhningen, Rafz, Ramsen, Rheinau, Rielasingen-Worblingen, Rüdlingen, Schaffhausen, Schleitheim, Siblingen, Singen, Stein am Rhein, Steißlingen, Stühlingen, Tengen, Thayngen, Trüllikon, Volkertshausen und Wilchingen. Für die drei Gemeinden Blumberg, Flurlingen und Öhningen ist die zehnte Erzählzeit ohne Grenzen eine Premierenveranstaltung.