Heftigen Vorwürfen sehen sich die Behörden angesichts eines aktuellen Falls ausgesetzt, nachdem ein Obdachloser starb. Ein Notarzt konnte vergangenen Dienstag nur noch den Tod des 56-jährigen Wohnsitzlosen feststellen, nachdem er in einer Gewahrsamszelle des Singener Polizeireviers seinen Rausch ausgeschlafen hatte und wieder entlassen werden sollte.

„Wie die Obduktion der Rechtsmedizin ergab, hatte der Mann eine lebensbedrohliche Lungenerkrankung, die bereits so weit fortgeschritten war, dass auch durch eine ärztliche Behandlung der plötzliche Tod des 56-Jährigen nicht aufzuhalten gewesen wäre“, teilte Staatsanwalt Andreas Mathy in einer Pressemitteilung mit. Tags zuvor ist der Mann im Singener Krankenhaus auf seine Gewahrsamsfähigkeit untersucht worden. Dort wurde laut Polizei keine Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung festgestellt.

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Nach Kritik am Klinikum erklärt der Chefarzt, wie sie arbeiten

In den sozialen Medien führte diese Nachricht zu kontroversen Diskussionen. Der SÜDKURIER hat nachgefragt, wie so etwas passieren kann und welche Maßnahmen ablaufen, wenn die Polizei die Gewahrsamsfähigkeit Aufgegriffener feststellen lässt. „Dies geschieht ausschließlich durch einen Facharzt und nach vorheriger gründlicher ärztlicher Untersuchung“, betont Volker Steinecke als Chefarzt der Zentralen Notaufnahme im Singener Krankenhaus. Grundlage seien die allgemeinen ärztlichen Verfahren bei Diagnostik und Therapie von Notfallpatienten.

Klinikum übernimmt Rolle eines Amts- oder Polizeiarztes

„Die Dokumentation der Untersuchungsergebnisse und deren Einschätzung erfolgt auf den von den Strafverfolgungsbehörden vorgelegten zentralen Vordrucken, welche gleichzeitig den gesetzlich geforderten Umfang der Untersuchungen vorgeben“, erklärt Steinecke. Prinzipiell sei die Feststellung der Gehwahrsamsfähigkeit Aufgabe eines Amtsarztes oder Polizeiarztes. Da es dies hier nicht gebe, übernehme das Krankenhaus solche Aufgaben.

Manchmal verschlechtert sich der Zustand akut

Wie es passieren kann, dass bei einem Patienten noch am Montag keine Notwendigkeit einer ärztlichen Behandlung festgestellt wurde und am Dienstag eine lebensbedrohliche Lungenerkrankung zum Tod führt, erklärt Andrea Jagode als Pressesprecherin des Gesundheitsverbundes im Landkreis Konstanz. „Patienten mit fortgeschrittenen chronischen Erkrankungen haben nicht zu jeder Zeit einen akuten Behandlungsbedarf, dieser kann sich akut im Laufe von Stunden ergeben; manchmal auch so akut und schwerwiegend, dass dann von einem schicksalhaftem Verlauf ausgegangen werden muss“, so Jagode.

Der Obdachlose starb nicht an einer Lungenentzündung

Deutlich müsse aber klargestellt werden, dass es bei einer lebensbedrohlichen Lungenerkrankung – wie dies im Obduktionsbericht festgestellt wurde – keineswegs um eine Lungenentzündung handeln kann. „Davon ist im Obduktionsbericht nicht die Rede“, so Jagode.

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