Das Baugebiet Tiefenreute/Bühl im Singener Süden kommt. Das hat der Gemeinderat in seiner jüngsten Sitzung mit großer Mehrheit und einigem Publikumsinteresse beschlossen. Damit ist der Weg frei dafür, dass in den nächsten Jahren auf etwa 60 Hektar neues Bauland entsteht. Der Zeitplan, den die Planer der Steg Stadtentwicklung GmbH dem Gremium präsentierten, reicht bis ins Jahr 2030. Dann soll nach jetzigen Prognosen der letzte Bauabschnitt fertig erschlossen sein. Vorgesehen sind größtenteils Gewerbe- und Wohnflächen.
Beim Grunderwerb für das Gelände habe es zuletzt weitere Entwicklungen gegeben, wie Projektleiterin Elisa Dauben dem Gremium berichtete. Nun seien 87 Prozent der Fläche in städtischem Besitz. Bei einem Pressegespräch vor der Sitzung hat Horst Barth, Abteilungsleiter Verwaltung und Liegenschaften bei der Stadtverwaltung, erklärt, dass seit der Vorberatung im Bauausschuss des Gemeinderats zwei weitere Eigentümer in Verhandlungen mit der Stadt eingetreten seien. Von den 88 Privateigentümern, die ursprünglich Grundstücke in dem Gebiet hatten, seien nun noch vier übrig, die nicht beim Verkauf mitwirken, erklärte Frank Friesecke, Geschäftsfeldleiter Stadterneuerung bei der Steg. 95 Prozent Mitwirkung beim Grundstückskauf – das sei ein sehr guter Wert, so Friesecke. Im Gebiet Hafner in Konstanz, in dem ein neuer Stadtteil entstehen soll, seien von 300 Privateigentümern 80 übrig geblieben, die nicht mitwirken wollen.
Kooperationsmodelle führen zum Erfolg
Allerdings habe es dort auch nicht dieselben Kooperationsmodelle gegeben wie in Singen. Stadtsprecher Stefan Mohr ergänzt: „Mit den Kooperationsmodellen haben wir gepunktet.“ Die Eigentümer haben darin je nach Mitwirkungsbereitschaft einen Aufschlag auf den gutachterlich festgestellten Verkehrswert bekommen. Dieser liegt bei 22 Euro pro Quadratmeter Gewerbefläche und 45 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche. Der Aufschlag beim Verkauf ohne Rückgabeoption habe bei 8 Euro beziehungsweise 10 Euro pro Quadratmeter gelegen, so Barth im Pressegespräch. Diesen Aufschlag hätten auch die Eigentümer bekommen, die sich schon früher zum Verkauf entschlossen haben.
Voraussetzungen und Finanzen

Ob es zu Enteignungen von verkaufsunwilligen Privateigentümern kommt, ist weiterhin offen. Die Stadt bleibe weiterhin kaufbereit, hießt es beim Pressetermin und in der Sitzungsvorlage. Und selbst in einem laufenden Enteignungsverfahren seien die Parteien zur Einigung angehalten, sagte Tobias Lieber von der Freiburger Anwaltskanzlei Fridrich, Bannasch und Partner, der den Prozess juristisch begleitet. Auch dann könnte es also noch zu einem regulären Verkauf kommen. Zwei der Flurstücke, die für das neue Baugebiet nötig werden, gehörten der Kirche, sagte Friesecke zudem beim Pressegespräch. Das sei lange nicht die Mehrheit, aber zwei recht große Flurstücke.
Politische Debatte beginnt mit einem Knall
Die politische Debatte im Gemeinderat begann indes gleich mit einem Knall. Jakob Denzel, der auch schon als Aktivist der Gruppe Fridays for Future in Singen aufgetreten ist, sagte den Gemeinderäten in der Bürgerfragestunde die Meinung. Man steuere auf vier Grad Erderwärmung bis 2100 zu, rief er ins Mikrofon, lebenswertes Leben wäre dann nicht mehr möglich. Ob die Gemeinderäte eigentlich wahnsinnig seien, ein so großes neues Baugebiet durchzusetzen ohne innezuhalten? Bei einem Zwischenruf in der Debatte handelte er sich noch einen Ordnungsruf von Oberbürgermeister Bernd Häusler ein. Er gehöre zu der zukünftigen Generation, die von solchen Plänen betroffen sei, sagte Denzel später auf Nachfrage – und dass er als Privatperson in der Ratssitzung gewesen sei.
In der Diskussion hinterließ Denzels Ansprache Spuren. Eberhard Röhm (Grüne), der die Aussprache eröffnete, pflichtete Denzel bei, dass vier Grad Erderwärmung eine Katastrophe wären: „Aber zwischen schwarz und weiß kann man es auch gut machen“ – zum Beispiel durch ein klimaneutrales Baugebiet. Es sei nun zwar Flächenversiegelung im großen Maßstab geplant. Aber in Singen würden eben auch Wohnungen und Gewerbeflächen fehlen, so Röhm. Er appellierte, sparsam mit Flächen umzugehen. Und: „Es wäre kontraproduktiv, hier ein Baugebiet zu machen, das nicht klimaneutral ist.“ Seine Fraktionskollegin Karin Leyhe-Schröpfer sah die Sache anders. In Zeiten von Artensterben und Klimawandel könne sie nicht zustimmen. Allein zwei mögliche Parkhäuser würden alle Dimensionen übersteigen.
Mehrere Gemeinderäte argumentierten indes, dass Stillstand auch nicht gehe. Walafried Schrott (SPD) sagte, man müsse auch den Menschen in Singen eine Perspektive bieten. Die Interessen in Einklang zu bringen, werde schwierig. Doch wer den Prozess dauerhaft begleiten wolle, sei herzlich eingeladen, sagte er an Denzels Adresse. Auch Volkmar Schmitt-Förster (Freie Wähler), von Beruf Architekt, argumentierte, dass man die Folgen minimieren könne, wenn man sensibel mit Flächen umgehe. Markus Weber argumentierte für die Neue Linie, dass man auch vorausschauend sein und der Stadt Spielräume bieten müsse. Und Benedikt Oexle (SPD) regte an, auch Anreize für die Entsiegelung von Flächen zu bieten. Am Ende gab es 25 Ja-Stimmen für die Satzung der städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme Tiefenreute/Bühl, bei einer Ablehnung von Leyhe-Schröpfer und einer Enthaltung.