Herr Pfarrer Heydenreich, Sie sind pilgern gegangen. Warum?

Die Evangelische Kirche hat mir das Pilgern als besondere Maßnahme zur Salutogenese genehmigt. Also zum Gesundbleiben. Manche meiner Pfarrerkolleginnen machen ein Sabbatsemester. Ich habe das Pilgern den theologischen Diskussionen und Lehrsälen vorgezogen.

Und warum im Hegau?

Ich wollte zunächst den Lutherweg von Eisenach nach Worms pilgern. Wegen der Corona-Maßnahmen war dies nicht möglich. Also kam mir die Idee, innerhalb des evangelischen Kirchenbezirkes Konstanz von Gemeindehaus zu Gemeindehaus zu pilgern.

Wie sieht so ein Pilgertag aus?

Morgens schäle ich mich aus meinem Schlafsack im Gemeindehaus. Dann geht‘s zum Bäcker oder ich esse noch Reste vom Vortag. Zu einem Anrührkaffee lese ich dann in der Bibel. Ich singe und bete. Dann laufe ich los. Unterwegs bete ich – zum Beispiel für die rund 80 Anliegen, die mir verschiedene Menschen mitgegeben haben. Mittags gibt es ein Vesper. Manchmal esse ich auch mit Menschen, die ich auf dem Weg treffe. Zwischendrin filme ich ein kurzes Video für Instagram. Abends setze ich mich nochmal hin und lasse mir den Tag nochmal durch den Kopf gehen. Wenn es dämmert, liege ich in den Schlafsack.

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Gibt es eine Erkenntnis, die Sie von der Pilgerwanderung mitnehmen und als Rat an andere Menschen weitergeben?

Wenn der Weg zu Ende scheint, geh ihn weiter. Wenn du hinten ankommst, wird sich vielleicht ein Trampelpfad öffnen, den du weitergehen kannst.

Dieser Mai war ziemlich verregnet. Wie ging es Ihnen mit dem vielen Regen?

An einem Tag war es ganz schrecklich. Zwischen Konstanz und Radolfzell war ich den ganzen Tag im Regen unterwegs. Aber ansonsten ging es erstaunlich gut. Irgendwann habe ich beschlossen, mich nicht zu ärgern, wenn ich zum zehnten Mal meinen Regenponcho anziehen muss – sondern mich zu freuen, wenn ich ihn wieder ausziehen kann. Es macht nur unglücklich, wenn ich mich über den Regen ärgere. Lieber freue ich mich über die Sonne.

Regenschirm, Regenponcho und darunter der Rucksack: Der Pfarrer hat für seine Pilgertour eine regenreiche Zeit erwischt.
Regenschirm, Regenponcho und darunter der Rucksack: Der Pfarrer hat für seine Pilgertour eine regenreiche Zeit erwischt. | Bild: Dietmar Heydenreich

Welche Landschaften auf ihrer Pilgerschaft waren besonders eindrücklich?

Da gibt es viele. Der Weg von Büsingen am Rhein hoch nach Kattenhorn, der Alte Postweg in Watterdingen – oder am Bodensee entlang. Ich war überrascht, wie viele kleine Seen es in der Region gibt und wie viele Aussichtspunkte. Ich habe viele mir unbekannte Wege entdeckt.

Sie nehmen sich auf Ihrer Tour viel Zeit fürs Gebet. Für was beten Sie denn den ganzen Tag?

Es geht um persönliche Anliegen von Menschen: Die Arbeitsstelle, Krankheiten oder Konflikte. Aber auch allgemeine Anliegen wie die Krankenhausseelsorge oder Veränderungen im Kirchenbezirk Konstanz. Viele Anliegen stammen von Pfarrerkollegen. Manche Christen haben mir ein Anliegen auf den Weg mitgegeben. Und manche Anliegen haben sich durch Begegnungen auf dem Weg ergeben. Zum Beispiel habe ich vor Tengen einen Mann gesehen, der an seinem kaputten Auto geschraubt hat. Ich habe gebetet, dass er das Auto wieder hinbekommt.

Bekommen die Menschen das mit?

Vieles geschieht im Stillen. Manchmal biete ich aber auch Menschen aktiv ein Pilgergebet an. An einem Abend habe ich mit drei Leuten nacheinander gebetet – mit einem Wegwart, einem Ehepaar und der Besucherin einer Kirche.

Was war Ihre persönliche Motivation, sich auf den Weg zu machen?

Meine persönliche Beziehung zu Jesus Christus wurde wie bei einem alten Ehepaar. Die Routine stimmt, man ist zufrieden – aber das verliebte Gespräch zwischendrin ist selten geworden.

War die Pilgertour in diesem Sinne erfolgreich?

Auf jeden Fall.

Gehen Sie wieder mal pilgern?

Ein Pilgergrundsatz heißt eigentlich „Geh allein“. Ich habe mir aber überlegt, vielleicht mal eine Aktion anzubieten, die heißt „Geh (nicht ganz) allein“. Das heißt: Eine Tagesetappe, die man gemeinsam beginnt mit einem geistlichen Impuls. Und dann geht jeder für sich allein den Pilgerweg.

Welchen Tipp geben Sie Leuten, die auch pilgern wollen?

Gehen Sie einfach los. Denken Sie nicht zu viel drüber nach. Machen Sie es konkret.

Angekommen! Im evangelischen Gemeindehaus Tengen. Aber nur für eine Nacht, dann geht es weiter.
Angekommen! Im evangelischen Gemeindehaus Tengen. Aber nur für eine Nacht, dann geht es weiter. | Bild: Uli Zeller