Der Schlag sitzt: Nach einem Urteil des Bundessozialgerichts vom Dienstag, 24. Oktober, fallen viele Ärzte für die Notfallversorgung weg. Die Notfallpraxen in Singen und in Konstanz reagieren darauf mit reduzierten Öffnungszeiten. Das bedeutet: Abends bleibt in Singen nur das Krankenhaus, in Konstanz hat die Notfallpraxis an Wochenenden und Feiertagen offen. Der Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) rechnet laut einer Pressemitteilung mit einem Ansturm auf die Notaufnahmen. Dabei sind die Wartezeiten dort schon jetzt ziemlich lang, wie immer wieder beklagt wird.
Die hausärztliche Notfallversorgung haben die niedergelassenen Ärzte im Kreis Konstanz großenteils in Notfallpraxen in Singen und Konstanz übernommen, die jeweils in Räumen der Krankenhäuser untergebracht sind – ohne dass sie selbst zum Krankenhaus gehören. Die Notfallpraxen sind dann geöffnet, wenn niedergelassene Ärzte in der Regel keine Sprechzeiten haben, nämlich abends und am Wochenende. Doch genau da gibt es für die nächsten Monate Einschränkungen.
Poolärzte nehmen nämlich vorerst nicht mehr an der Notfallversorgung durch die niedergelassenen Ärzte teil. Mit diesem als „Notbremse“ bezeichneten Plan reagiert die Kassenärztliche Vereinigung (KV) auf das Urteil, in dem es um die Sozialversicherungspflicht von Poolärzten geht. Unter Poolärzten verstehe man etwa Ärzte im Ruhestand, Krankenhausärzte, Bundeswehrärzte oder in Praxen angestellte Ärzte, die freiwillig Notdienste im ambulanten Bereich leisten, erklärt Kai Sonntag, Pressesprecher der KV Baden-Württemberg. Zum Notdienst verpflichtet seien nämlich nur Inhaber von Praxen, die sich aber unter Umständen von Poolärzten vertreten lassen können.

Nach dem Urteil aus Kassel kann es mit dieser Vorgehensweise aber nicht mehr weitergehen, so Sonntag. Die KV beendet vorerst den Einsatz von Poolärzten, die nun wiederum für die Notdienste fehlen. Das hat Folgen für die Patienten.
Das Urteil und seine Folgen

Zum Beispiel bei der Singener Notfallpraxis, die seit 2020 im ehemaligen Pförtnerhäuschen am Eingang des Klinikparks untergebracht ist. Sie hat ab Donnerstag, 26. Oktober, nur noch mittwochs von 17 bis 20 Uhr, freitags von 17 bis 22 Uhr sowie an Sams-, Sonn- und Feiertagen von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Dies geht aus der Übersicht der KV Baden-Württemberg hervor.
Das ist eine gewaltige Einschränkung im Vergleich zu den bisherigen Öffnungszeiten, die montags, dienstags und donnerstags von 19 bis 22 Uhr, mittwochs und freitags von 17 bis 22 Uhr und wochenends von 9 bis 22 Uhr waren.
Nicht besser ergeht es Patienten im Raum Konstanz. Die dortige Notfallpraxis hat ebenfalls ab 26. Oktober an Sams-, Sonn- und Feiertagen jeweils von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Laut einer Mitteilung des GLKN ist der chirurgische Dienst an diesen Tagen von 10 bis 12 Uhr und von 16 bis 18 Uhr da. Die Regelung gelte zunächst für drei Monate, so der GLKN.
Die Kindernotfallpraxis, die für den ganzen Landkreis in Singen angesiedelt sei, sei von den Kürzungen allerdings nicht betroffen, betont GLKN-Sprecherin Andrea Jagode auf Anfrage. Auch die Notfallpraxis der HNO-Ärzte, die auch für den Kreis Konstanz in Villingen-Schwenningen sei, schränke ihre Öffnungszeiten nicht ein.
Negatives Echo in der Region
In der Region kommt diese Entwicklung denkbar schlecht an. Der GLKN befürchtet, dass der Andrang bei den Zentralen Notaufnahmen (ZNA) nun noch größer wird. Schon jetzt würden viele Menschen in die ZNA gehen, obwohl ihre Anliegen eigentlich kein Fall fürs Krankenhaus, sondern für einen niedergelassenen Arzt sind – das wurde bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich. Die Gründe können vielfältig sein, beispielsweise lange Wartezeiten bei Praxen oder schlichte Unkenntnis.

Dass nun die Notfallpraxis ihre Öffnungszeiten stark einschränke, setze die Mitarbeiter der Notaufnahme noch mehr unter Druck, erwartet daher auch Singens Oberbürgermeister Bernd Häusler: „Es ist mehr als ärgerlich, dass die Notfallpraxis ihren Dienst einschränken muss.“ Auch die Verantwortlichen am Krankenhaus seien darüber maximal erschrocken und verärgert, lautet seine Einschätzung. Und: „Die ZNA kann keine Lösung für das Problem sein.“
Das unterstreicht auch GLKN-Sprecherin Jagode. Eine ZNA dürfe beispielsweise keine Kassenrezepte für Medikamente oder Krankschreibungen ausstellen. In der Pressemitteilung wird GLKN-Geschäftsführer Bernd Sieber dahingehend zitiert, dass die Notaufnahme nach einem Unfall oder bei schwerwiegenden Erkrankungen die richtige Anlaufstelle sei: „Diese Patienten werden mit hoher zeitlicher Priorität behandelt.“
Menschen mit weniger schweren Erkrankungen, „die eigentlich beim Hausarzt behandelt werden sollten“, müssen hingegen mit langen Wartezeiten rechnen, wird Sieber weiter zitiert.
„Das ist eine Katastrophe“ auch für Ärzte
Birgit Kloos, niedergelassene Allgemeinmedizinerin und Ansprechpartnerin für die Notfallpraxis in Singen, wird in ihrer Bewertung deutlicher: „Das ist eine Katastrophe.“ Denn grundsätzlich müssten jetzt auch alle Fachärzte wieder ihre Dienste selbst übernehmen. Das sei allerdings nicht einfach, denn auch der spezialisierteste Facharzt müsste sich dann so weiterbilden, dass das geht: „Das ist nicht einfach.“ Und die Hausärzte könnten die nun wegfallenden Dienste ebenfalls nicht übernehmen.

Die Verantwortung sieht Kloos beim Bundesarbeitsministerium. Dort habe die KV erfolglos versucht, eine Ausnahme von der Sozialversicherungspflicht für Poolärzte zu erreichen – wie sie im Rettungsdienst übrigens bestehe. KV-Sprecher Sonntag äußert sich dazu diplomatischer. Man sei mit der Politik natürlich schon bislang im Gespräch gewesen, sagt er. Entscheidend sei aber, wie die Politik nun reagiere, um rechtssichere Notdienste zu ermöglichen: „Man kann nur hoffen, dass die Bundespolitik sich schnell bewegt.“

Kritik muss sich aber auch die KV selbst anhören. So teilt der Singener Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz (SPD) mit: „Damit trägt die Ärzte-Organisation einen Sozialrechtsstreit auf dem Rücken der unbeteiligten Patientinnen und Patienten aus.“ Er weist darauf hin, dass die Versicherten hohe Krankenkassenbeiträge unter anderem für den Sicherstellungsauftrags des Notdienstes bezahlen. Die Einschränkung der Notfallpraxen als Notbremse zu bezeichnen, betrachtet Storz als „zynisch“.