Warum gehen Singener nicht wählen? Das hat der SÜDKURIER im Hinblick auf die Oberbürgermeisterwahl am 11. Juli bei einer Umfrage rund um den Friedrich-Ebert-Platz herauszufinden versucht. Denn mehr als die Hälfte der Wahlberechtigten in Singen ging bei der Landtagswahl und bei der Wahl zum Oberbürgermeister 2013 nicht zur Wahl. Es gibt Wahlbezirke, da war die Beteiligung besonders niedrig. Im Bezirk Rielasinger Straße im Singener Süden lag die Beteiligung bei der Landtagswahl bei unter 20 Prozent. Bei der Umfrage zeigt sich ein gemischtes Bild: Einige der Befragten wollen wählen gehen, einige wussten gar nicht, dass die OB-Wahl stattfindet und wer die Kandidaten sind. Einige, wenige erklärten sich bereit, zu sagen, warum sie nicht wählen gehen.
Junge Männer wünschen sich mehr Treffpunkte
David Lein, 18 Jahre, und Brian Koschel, 17 Jahre, sind mit ihrer Klasse am Friedrich-Ebert-Platz und wohnen in der Südstadt. Sie wollen ihre Meinung zum Thema Wählen gehen sagen, aber nicht fotografiert werden. David Lein macht keinen Hehl daraus, dass er nicht wählen geht. „Es interessiert mich nicht“, sagt der junge Mann. Auf Nachfrage erklärt er dann, dass, selbst wenn man etwas vorschlagen oder verändern wolle, es doch nicht umgesetzt werde. Als Beispiel spricht er an, dass es kaum Plätze für ältere Jugendliche in Singen gebe. Er würde sich zum Beispiel mehr Basketballplätze wünschen. Früher habe er sich im Südpol mit Freunden treffen können, doch das sei eher etwas für Jüngere. Für Leute in seinem Alter gebe es in Singen kaum Angebote. Gleichzeitig gibt er aber auch zu, dass er deshalb kein Interesse habe, wählen zu gehen, weil es ihm im Prinzip gut gehe. Brian Koschel kann sich vorstellen, seine Stimme abzugeben, nachdem er gehört hat, dass man bei der OB-Wahl ab 16 Jahren wählen darf. Er denke noch darüber nach. Er wünscht sich eine Ausweitung des Skateparks und findet, dass die Tuningszene in Singen durchaus einen Platz haben könnte. Er wisse nicht, was man gegen die Szene habe. „Die können sich an Regeln halten und sich treffen, ohne die Anwohner zu stören“, ist seine Meinung.

Johanna Jeremias wartet im Malvenweg auf ihren sechsjährigen Sohn, der mit dem Bus aus dem Kindergarten kommt. Sie geht aus religiösen Gründen nicht zur Wahl. „Ich bin bei den Zeugen Jehovas und wir sind politisch neutral. Wir haben uns für Christus entschieden“, begründet Johanna Jeremias ihren Standpunkt. Sie kommt aus Rumänien, lebt seit elf Jahren in Deutschland und seit sechs Jahren in Singen. Mit ihrem Wohnort Singen ist sie sehr zufrieden: Kindergarten, Schule und das Gesundheitssystem, all‘ das funktioniere sehr gut. Sie wisse dies zu besonders zu schätzen, weil ihr Sohn das Down-Syndrom hat. Er werde zum kommenden Schuljahr in der Haldenwang-Schule eingeschult und auf diesen Schulstart freuen sich beide. Auch, dass es eine Einrichtung wie die Haldenwang-Schule gibt, findet sie gut.
Politik spielt im Alltag keine Rolle
Lina Carnevale steht auf einem Balkon in der Rielasinger Straße. „Mit Politik kenne ich mich nicht aus“, sagt sie und das sei auch der Grund, warum sie bisher nicht wählen gegangen ist. Auch frage sie sich, was sie mit ihrer Stimme ändern könne. Bisher habe Politik in ihrem Alltag keine Rolle gespielt: Sie gehe arbeiten und kümmere sich um ihre Mutter, das sei ihr Leben. Ihre Eltern sind aus Süditalien nach Deutschland gekommen. Es könne aber sein, dass sie diesmal zur Wahl geht: Ihr Freund sagte, er wolle wählen gehen und sie mitnehmen.
Bernd Häusler versucht, Wähler auf vielen Wegen zu erreichen
Und was tun die beiden Kandidaten für die OB-Wahl, um Nichtwähler zu erreichen? Der Amtsinhaber und Kandidat Bernd Häusler erklärt, dass es sehr bedauerlich sei, dass es Menschen gebe, die nicht wissen, dass OB-Wahl sei. Er listet seine Anstrengungen auf, die Wahlberechtigten durch Veranstaltungen, Plakate, Internet, Medien und soziale Medien zu erreichen. Seit der Abgabe seiner Bewerbung am 1. Mai werde kontinuierlich berichtet. Am 27. Mai habe er seine Auftaktveranstaltung im Mac Museum gehabt, und dabei sein Programm, seine Homepage und seine Plakate vorgestellt, die seit 29. Mai in der ganzen Stadt hängen. Jeden Tag würde über die sozialen Medien über Wahlthemen und Wahlveranstaltungen berichtet. „Ich habe eine Veranstaltung in der Südstadt, in der Begegnungsstätte Siedlerheim abgehalten. Auch dort waren etwa 35 Menschen anwesend“, schreibt Bernd Häusler auf Nachfrage. Insgesamt habe er elf Wahlveranstaltungen durchgeführt oder daran teilgenommen. Alle Veranstaltungen seien gut besucht gewesen, teilweise mit bis zu 50 Bürgern. Am 16. Juni habe jeder Haushalt sein Wahlprospekt erhalten. „Mehr als auf die Wahl und mein Programm über alle möglichen Kanäle, Internet und die sozialen Medien, mit Veranstaltungsangeboten und Wahlplakaten, hinzuweisen, ist faktisch – auch unter Einhaltung der Corona-Regeln – nicht mehr möglich“, erklärt er. Er hoffe dennoch auf eine gute Wahlbeteiligung.
Helmut Happe: Weiß nicht, wie er Nichtwähler mobilisieren soll
Sein Konkurrent Helmut Happe weist darauf hin, dass das Problem Nichtwähler in Deutschland ein grundsätzliches sei. Teilweise möge das daran liegen, dass viele Menschen wohl der Meinung seien, Wahlen würden nichts ändern und „die da oben machen ja doch, was sie wollen“. Er persönlich finde zwar auch, dass ein Kreuz auf einem Wahlzettel bei Weitem nicht ausreiche und man den Menschen auch während einer laufenden Amtszeit mehr Möglichkeiten zur Mitbestimmung geben müsse. „Aber dann gänzlich auf sein Wahlrecht zu verzichten, scheint mir der falsche Weg“, schreibt er: „Ähnlich wie beim Lotto spielen – sechs Richtige: Chance 1:13 Millionen… Aber wer gar nicht spielt hat null Chancen!“ Er habe nichts unternommen, um die Nichtwähler zu mobilisieren. „Ich wüsste auch nicht was“, erklärt Happe.