Auf dem Gartentisch von Gisela Rösch liegt ein besonderes Buch. Zwischen den Buchdeckeln: handschriftliche Sprüche, Widmungen und persönliche Gedanken – von Ministerpräsident Winfried Kretschmann bis zum letzten Eintrag von Bundesminister Cem Özdemir. Für Rösch ist dieses Buch mehr als nur eine Sammlung von Autogrammen. Es ist ein Stück Zeitgeschichte – und zugleich ein Spiegel ihrer Arbeit als Vorsitzende des Kirchenfördervereins von St. Johann in Donaueschingen.

Seit über 20 Jahren bringt sie regelmäßig Prominente in die Donaueschinger Stadtkirche – nicht als Ehrengäste in der ersten Reihe, sondern hinauf auf die Kanzel. Anlass war einst die Renovierung der Kirche. Die Diözese unterstützt solche Projekte nur, wenn ein Kirchbauverein gegründet wird, der ein Drittel der Kosten selbst trägt. Ein weiteres Drittel steuert die Diözese bei, der Rest wird finanziert. Um Spenden zu sammeln, entstand mit Stadtpfarrer Hans-Peter Fischer die Idee: Kanzelreden.

Pfarrer Erich Loks (links) begrüßt den Kanzelredner Urs Maier (rechts). Die Vorarbeit hat Gisela Rösch (Mitte) geleistet
Pfarrer Erich Loks (links) begrüßt den Kanzelredner Urs Maier (rechts). Die Vorarbeit hat Gisela Rösch (Mitte) geleistet | Bild: Lutz Rademacher

Der Ablauf ist seither gleich: Bekannte Persönlichkeiten sprechen in der Stadtkirche, der Eintritt ist frei, am Ausgang werden Spenden gesammelt. Schon vor Gründung des Vereins begann man mit dem Verkauf von Wein, nach der Renovierung entstand ein Bildband – beides ebenfalls Einnahmequellen.

Von Erwin Teufel bis Otto von Habsburg

Die Premiere im Oktober 2003 setzte gleich einen hohen Maßstab: Der damalige Ministerpräsident Erwin Teufel sprach vor fast voll besetzter Kirche. 2004 folgte Claus Hipp mit dem Thema „Ethik im Wirtschaftsleben“. Seine Kernaussage zu Offenheit und Kreativität bei Bewerbungen ist Rösch bis heute im Gedächtnis geblieben: Bei Bewerbungen solle man den Bewerber mit Punkerfrisur und Ohrringen nicht außer Acht lassen, diese seien oft die kreativsten Menschen – so die Feststellung von Hipp.

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Ein besonderer Höhepunkt: Die Rede von Erzherzog Otto von Habsburg – so voll war die Kirche, dass Besucher auf den Stufen zum Altar Platz nahmen. Damals endete der Abend noch bei Stehempfängen im Pfarrhaus, mit Häppchen und Gesprächen bis spät in die Nacht.

Anekdoten und Momente hinter den Kulissen

Mit den Jahren sammelten sich Geschichten, von kurios bis herzlich.
2006 reiste der spätere Chef-Volkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, früh an – und kam nach einem spontanen Sonnenbad im Parkbad mit knallrotem Kopf zur Kanzel. „Er stand auf der Kanzel wie ein Feuermelder, mit knallrotem Kopf“, erinnert sich Gisela Rösch.

Eine andere Anekdote, die Rösch in petto hat: Die Unternehmerin Christiane Underberg überraschte mit Underberg-Schnaps-Kartons im Kofferraum, die sie auf dem Kirchplatz verteilte und den Anwesenden zeigte, wie man die kleinen Fläschchen stilgerecht trinkt. Tags zuvor war sie auf einer langen Hochzeitsfeier gewesen und hatte sich auf einer Wiese bei Bad Dürrheim erst einmal ausgeschlafen.

Bild 2: 30 Kanzelreden, unzählige Anekdoten: Gisela Rösch bringt Promis auf die Donaueschinger Kanzel

Richtig lustig ging es zu bei der Rede von Matthias Berg zu. Der Contergan-geschädigte Sportler, Hornist und Jurist nahm kein Blatt vor den Mund. „Es ist noch nie so viel gelacht worden“, erinnert sich Rösch.

Auch spontane Improvisation gab es: Sternekoch Alfons Schuhbeck erschien zunächst im Kochgewand, da er den Anlass nicht kannte. Es gab zwar unzählige Kontakte mit seinem Büro, bis er in Villingen bei einem Schaukochen war und den Termin mit der Kanzelrede verbinden konnte. Schuhbeck hatte es eilig, sodass er auf das Vorgespräch verzichtete. „Fatal war nur, dass man ihn nicht informiert hatte, worum es ging, sodass er im Kochgewand in der Sakristei landete“, so Rösch lachend, Doch er nahm den Fauxpas gelassen, zog sich wieder um und hielt eine improvisierte Rede über Gewürze und ihre Wirkung.

ARCHIV – 04.11.2021, Bayern, München: Sternekoch Alfons Schuhbeck zeigt vor der Show „Festival“ in der Küche des teatros seine ...
ARCHIV – 04.11.2021, Bayern, München: Sternekoch Alfons Schuhbeck zeigt vor der Show „Festival“ in der Küche des teatros seine Vorspeisenteller. (zu dpa: “Vom Herd in den Knast – Alfons Schuhbeck wird 75„) Foto: Ursula Düren/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: Ursula Düren

Von Spitzenpolitik bis Spitzensport

Viele hochkarätige Redner folgten: Winfried Kretschmann, Annegret Kramp-Karrenbauer, Vaude-Gründerin Antje von Dewitz, Roland Mack vom Europapark, Fußball-Schiedsrichter Urs Maier, Wolfgang Grupp von Trigema, Annette Schavan und Erzbischof Stefan Burger.

Wolfgang Grupp erfüllte sich sogar einen persönlichen Wunsch, einmal auf einer Kanzel zu stehen – und spendete dem Verein 1000 Euro. Die Anreise des millionenschweren Unternehmers erfolgte nach persönlicher Absprache mit dem Fürstenhaus per Hubschrauber mit Landeplatz im Fürstlichen Park.

Ein eigens kreiertes Geschenk aus Schokolade: Gisela Rösch mit Cem Özdemir
Ein eigens kreiertes Geschenk aus Schokolade: Gisela Rösch mit Cem Özdemir | Bild: Lutz Rademacher

Cem Özdemir, bislang letzter Kanzelredner im April 2025, bedeutete eine logistische Herausforderung: Sicherheitsschleusen, BKA-Voranmeldungen und minutiöse Planung. Nachmittags vor der Rede wurden die Kirche und auch das Pfarrhaus gründlich untersucht. Özdemir selbst blieb dennoch entspannt, besuchte vor und nach der Rede lokale Sehenswürdigkeiten – sehr zum Nervenkitzel seiner Personenschützer.

Blick nach vorn

Nach 30 Kanzelreden und 22 Jahren Erfahrung kennt Gisela Rösch die Abläufe, die Herausforderungen – und die Geschichten, die hinter den Kulissen entstehen.

Wer als Nächstes das Wort von der Kanzel ergreifen wird, erzählt sie exklusiv dem SÜDKURIER: Es ist die Psychotherapeutin Dr. Elisabeth Kauder. Am 30. November wird sie über das Thema „Mit den German Doctors unterwegs in den Armutsländern dieser Welt“ referieren. Seit 2011 ist sie Präsidentin dieser Organisation, leistet aber weiterhin auch praktische Arbeit vor Ort.