Christian Endres muss ganz schön schnaufen, bevor er fix und fertig angezogen ist. Ganz alleine schafft er es am Ende nicht. Hanselevadder Joachim Kania muss ihm schlussendlich unter die Arme greifen. Denn das Häs von Christian Endres wiegt mehrere Kilogramm. Dann sind auch schon Schellen zu hören, die das Herannahen von Lisa Knittel ankündigen. Mit einem freundlichen Lächeln hüpft sie um die Ecke. „Damit man mich schon vom Weitem hört“, sagt sie und springt noch einmal in die Luft, um ihre Schellen am Häs nochmals – wie zur Bestätigung – erklingen zu lassen.

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Dann stehen die beiden in voller Montur vor der Zunftschüür der Poppele. Die beiden eint eines: Sie sind Narren aus Leib und Seele. Lisa Knittel ist seit 2016 ein Schellenhansele, Christian Endres eigentlich seit er denken kann ein Hooriger Bär. Vor allem die handgeschnitzte und handbemalte Maske hat es den beiden angetan. Sie tragen das Häs der jeweiligen Figuren der Singener Poppele-Zunft mit Stolz.

Von klein an ein Hooriger Bär

Der Hoorige Bär ist wohl die eindrucksvollste Figur in der Singener Fasnet. Auch wenn Hanselevadder Joachim Kania dem scherzhaft aufs Schärfste widerspricht und alles versucht, eine Lanze für die Hansele zu brechen: Die 30 Kilogramm, die das Häs wiegt, sprechen eine eindeutige Sprache. Christian Endres trägt sein Häs mit Stolz. Jahr für Jahr fertigt er den Großteil davon nämlich in mühseliger Handarbeit selbst. „Wir ernten das Stroh Halm für Halm und binden es zu Bündeln. Nach dem Trocknen wird es auf Länge geschnitten und auf Bänder genäht. Diese kommen mit Klettband dann auf unser Häs“, sagt er. Früher wurden die Bänder von den Rebwieber direkt auf die Anzüge genäht.

Die Hoorigen Bären der Singener Poppele in Aktion beim Fasnet-Mäntig-Umzug 2019 in Gottmadingen.
Die Hoorigen Bären der Singener Poppele in Aktion beim Fasnet-Mäntig-Umzug 2019 in Gottmadingen. | Bild: Tesche, Sabine

Wie viele Häser er in seinem Leben schon gefertigt hat, kann er nicht mehr genau sagen. „Mindestes 30 Stück“, schätzt er. Dabei ist eines bemerkenswert: Kein Hooriger Bär gleicht dem anderen, sie alle sind echte Unikate. Der junge Familienvater ist schon seit seiner Kindheit ein Narr. Bei den Poppele ist er seit 2000. „Ich wurde da eigentlich reingeboren. Mein Vater ist ein Hooriger Bär und meine Mutter ein Rebwieb“, sagt er.

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Mit fünf Jahren habe ihm seine Mutter seinen ersten Mini-Hoorigen-Bär geschneidert. Danach stand für ihn fest: „Ich will ein Hooriger Bär werden.“ Und warum? „Weil es für mich eine der schönsten Figuren der ganzen Fasnet ist.“ 14 Hoorige Bären gibt es bei den Poppele. Ganze drei tragen den Namen Endres. Denn neben Christian tragen auch sein Vater Rudi und sein Bruder Michael das Stroh-Häs.

Keine Klimmstängel an der Fasnet

Eines ist für die Hoorigen Bären absolut tabu, wenn sie im Häs stecken: das Rauchen. Und auch sonst unterscheiden sie sich von anderen Hästrägern. „Springen und Hüpfen ist bei uns nicht drin, wir laufen eher langsam und breitbeinig“, scherzt Christian Endres.

Wenn 389 Schellen klingeln

Lisa Knittel ist erst als Jugendliche zu den Poppele gestoßen. Mit 17 Jahren ist sie in die Zunft eingetreten. Erst als Rebwieb, doch seit ein paar Jahren schlüpft sie jede Fasnet in das Häs der Schellenhansele. „Ich wollte unbedingt eine Maske tragen“, sagt sie. Dass dabei noch 389 Glöckchen ihr Häs zieren, stört sie nicht. Im Gegenteil. Neben der Maske sind es die Schellen, die der verheirateten 30-Jährigen Freude bereiten: „Die sind nämlich nicht zu überhören. Ich liebe den Klang unserer Schellen.“

Beim großem Umzug 2019 in Singen dürfen sie natürlich nicht fehlen: Die Schellenhansele der Poppele-Zunft.
Beim großem Umzug 2019 in Singen dürfen sie natürlich nicht fehlen: Die Schellenhansele der Poppele-Zunft. | Bild: Tesche, Sabine

Lisa Knittel lebt die Fasnet. Zumindest in der närrischen Hochzeit rund um den Schmutzigen Dunschtig. Sie bezeichnet die Fasnet als unkompliziert, es spiele keine Rolle, woher man komme oder welchen Beruf man ausführe. Alle seien gleich. „Wenn wir eine Maske tragen, können wir aus unserem Alltag einmal ausbrechen. Lustige und verrückte Sachen machen“, sagt sie.

„Wir rufen Emotionen hervor“

Wie alle Poppele versuche sie aber auch andere mit ihrem Häs zu erfreuen. „Mit Maske traut man sich mehr.“, so Lisa Knittel weiter. Dazu zähle für sie auch, den Zuschauern bei einem Umzug eine schöne Zeit zu bescheren. „Und na klar, sie auch ab und an zu erschrecken“, scherzt sie. Alle Narren, egal ob Schellehansel, Hooriger Bär oder Rebwieb eint eines: „Wir rufen Emotionen hervor“, betont die 30-Jährige.

Narren hoffen auf 2023

Sowohl Lisa Knittel als auch Christian Endres sind sich sicher, dass die Fasnet 2022 nicht wie 2021 komplett abgesagt werden muss. „Sie wird anders werden, kleiner, aber es wird Fasnet geben“, sagt Lisa Knittel. Vielleicht gehe es zurück zur ursprünglichen Straßenfasnet. Christian Endres stört das nicht: „Mir hat mal jemand gesagt, dass der Weg des Narren die Straße ist.“

Auch die kleinsten Narren tragen ihre Häser mit Stolz. Im Bild sind die Rebwieber aus Singen beim Umzug 2019 zu sehen.
Auch die kleinsten Narren tragen ihre Häser mit Stolz. Im Bild sind die Rebwieber aus Singen beim Umzug 2019 zu sehen. | Bild: Tesche, Sabine

Zwar werde es auch dieses Jahr in Singen keine Umzüge geben, aber er ist sich sicher, dass 2023 wieder eine Fasnet stattfinden werde, wie man sie kenne. Auch Hanselevadder Joachim Kania pflichtet dem bei: „Es ist wichtig, dass 2023 wieder Fasnet möglich ist. Auch mit Blick auf die Nachwuchsarbeit in den Zünften.“ Denn Tradition lebe davon, dass sie von Generation zu Generation weitergeben werde. „Wenn die Fasnet wieder nicht stattfinden würde, ist das nur sehr schwer vermittelbar“, so Kania weiter.

Zu den Poppele-Figuren und zur SÜDKURIER-Serie

  • Der Hooriger Bär: Laut Poppele-Webseite taucht der Hoorige Bär zum ersten Mal im 19. Jahrhundert in Singen auf und ist aus einem einfachen Strohbären hervorgegangen. Jedes Jahr werden in der Poppele-Zunft Häser für 14 männliche Träger angefertigt, sagt Christian Endres. Seit 1955 trägt der Hoorige Bär eine Scheme (Maske), die von Fritz Moser (Villingen) und später von Hans Jehle (Sulz a.N.) geschnitzt wurde. Der Hoorige Bär führt einen knorrigen Stock mit sich und kann mit diesem und der grimmig dreinblickenden Scheme sicherlich als eine Verkörperung des wilden Mannes gesehen werden.
  • Das Schellehansel: Vor dem Zweiten Weltkrieg lief laut Poppele-Webseite das Schellenhansel regelmäßig bei der Fasnet in Singen mit. Danach folgte eine Pause, bis die Poppele-Zunft im Februar 1938 mit einer Gruppe Schellenhansel am Großen Narrentreffen in Überlingen am See teilnahm. Heute, über 60 Jahre später, erlebt der Schellenhansel sozusagen seine dritte Geburt. Aus der Gruppe der Rebwieber kam vermehrt der Wunsch, auch als weibliches Zunftmitglied maskiert an der Fasnet teilnehmen zu können. So kam ein Rebwieb auf die Idee, diese schöne, alte Narrenfigur wieder mit Leben zu erfüllen und zusätzlich mit einer Drahtgazemaske zu versehen. Die Gruppe der Schellenhansel ist ausschließlich den weiblichen Mitgliedern der Zunft vorbehalten.
  • Die Serie: Der SÜDKURIER widmet sich kurz vor Beginn der Fasnet-Saison 2022 Hästrägern und ihren Masken. In loser Reihenfolgen wird die Redaktion Menschen aber auch ihre Fasnet-Figuren vorstellen. Wer steckt da eigentlich im Häs? Was macht ihre Fasnet-Figur aus? Genau diesen Fragen werden die SÜDKURIER-Redakteure und -Mitarbeiter nachgehen.