Stella, Evra und Kleopatra begrüßen die Besucher schon an der Einfahrt des Bolderhofes von Doris und Heinz Morgenegg. Die drei Kühe stehen am Straßenrand und treten, wenn überhaupt, gemächlich vor dem Auto zur Seite. Die Drei sind gerne auf dem Hofgelände unterwegs und dürfen sich frei bewegen, berichtet Landwirt Heinz Morgenegg. Nur wenn sie ihren Einsatz beim Kuhtrekking haben, werden sie am Strickhalfter zum Stall geführt. Beim Kuhtrekking reiten die Besucher auf Kühen. Das Angebot ist seinen Angaben nach so einzigartig, dass Gäste aus der ganzen Welt den Hof bei Hemishofen in der Schweiz besuchen: „Zu uns kommen einige Kuhverrückte.“
Kühe gibt es als Nutztiere viele auf Bauernhöfen, doch auf ihnen reiten? Agraringenieur Heinz Morgenegg ist auf diese naheliegende und doch ungewöhnliche Idee gekommen. Seine Söhne und Töchter, mittlerweile erwachsen, seien, als sie noch klein waren, einmal Kamelreiten gewesen, berichtet er. Die Wartezeit sei lang, der Ritt kurz gewesen. Da sei die Idee entstanden, es doch einmal mit den eigenen Kühen zu probieren.

Nach einem ersten gelungenen Aufsitz-Versuch wurden einige Paarhufer Schritt für Schritt ans Reiten gewöhnt. „Unsere Tiere sind Menschen und den Lärm von den Maschinen auf dem Hof gewohnt“, erklärt der Bio-Bauer. Die Tiere seien sehr menschenbezogen und: „Man muss sich mit ihnen beschäftigen“, erklärt der Landwirt das Geheimnis hinter dem Kuhreiten.
Seit zehn Jahren bieten er und seine Frau das Kuhreiten täglich an, neben Angeboten für Schulklassen, Übernachtungsmöglichkeiten, Käserei, Gastronomie, einem Hofladen, Bio-Lieferservice und der Haltung von Milchkühen, 300 Wasserbüffeln, Hühnern und dem Ackerbau.
Sally und Stephen Dalton sind aus London angereist, um in ihrem Urlaub das Kuhreiten auszuprobieren. Seine Frau habe im Internet von dem Angebot gelesen. „Ich genieße das Zusammensein mit Kühen“, erklärt Stephen Dalton. Ihnen ist das Erlebnis etwas wert: 135 Franken kostet der Eineinhalb-Stunden-Ritt pro Person inklusive anschließendem Vesper (Plättli) mit Bio-Produkten vom Hof.

Reiter nehmen Kontakt zu den Kühen auf
Heinz Morgenegg erklärt vor dem Start, wie Kuhtrekking funktioniert. Zuerst sollen die Reiter Kontakt zu den Tieren aufnehmen, sie kennenlernen und streicheln und mit ihnen sprechen. „Kühe sind große Tiere mit einem großen Herz“, sagt der Landwirt. Danach führen die Gäste Stella, Kleopatra und Evra ein Stück die Straße entlang: Mit den Kommandos „Chum“ und „Haalt“ und einem kurzen, kräftigen Ruck am Halfter kann man sie zum Gehen und Stehen bewegen.

Dann heißt es Aufsitzen, ein kleines Treppchen am Wegesrand hilft dabei. Ein Longiergurt dient als Haltegriff, die Strickzügel hängen locker herunter und eine gepolsterte Decke mit einer Satteldecke darüber ersetzt den Sattel. Es geht am Wegesrand entlang Richtung Rhein und wer sich einmal an die Kuh und ihren gemütlichen Schaukelgang gewöhnt hat, genießt den Ausblick vom Kuhrücken auf die Landschaft. Etliche Radfahrer kommen vorbei, bestaunen den Anblick der Kuhreiter und fragen: „Darf ich ein Foto machen?“

Ein Stück reitet die Gruppe auf der Höhe am Rhein entlang und dann eine kleine Böschung runter Richtung Wasser. „Lasst sie einfach gehen“, sagt Heinz Morgenegg, der die Reiter zu Fuß begleitet und auch mal einen Klaps auf den Hintern der Kuh gibt, wenn eine zu langsam wird. Stella, Kleopatra und Evra trotten bis zu den Knien ins Wasser und trinken. Nebenan versucht eine Reiterin, ihr Pferd ins Wasser zu bringen, das immer wieder nervös vor dem Nass zurückscheut.

Nervöses Pferd, entspannte Kühe
Die Kühe bleiben entspannt: Evra schaut zwar auf das, was um sie herum geschieht, aber es gibt für sie keinen Grund zur Aufregung. Zwischendurch lässt sie immer mal wieder ein tiefes Brummen hören, das zur Tiefenentspannung beiträgt. Am Hof angekommen, wird abgesessen und mit etwas wackeligen Beinen vom Reiten nehmen die Gäste draußen in der Hof-Gaststätte Platz.
„Es war fantastisch“, erklärt Sally Dalton nach dem Kuhritt. „Ich war anfangs ein bisschen nervös“, gibt sie zu, doch das habe sich dann gegeben. Ihr Mann Stephen erklärt, seinen Ritt so richtig genossen zu haben. Die Entschleunigung auf dem Kuhrücken und der Umgang mit den Tieren habe ihm gefallen – gerade in solch unruhigen Zeiten.