Die Übergabe der Buchhandlungen überrascht: Wie kam es dazu?
Meine beiden erwachsenen Kinder machen beruflich etwas ganz anderes und haben deutlich signalisiert, dass sie nicht in das elterliche Geschäft eintreten werden. Ich habe mir dann überlegt, wer nachfolgen kann und wann der richtige Zeitpunkt ist, falls es den überhaupt gibt. Mein oberstes Ziel war, die Arbeitsplätze der rund 40 Mitarbeiter zu sichern. Ihre Arbeitsverträge werden übernommen.
Sie sind 55 Jahre alt und hätten noch ein paar Jahre weitermachen können. Warum ist jetzt der richtige Zeitpunkt?
Es gibt schlaue Bücher, die sagen, dass man als Inhaber schon ab 50 über die Nachfolge nachdenken sollte. Für mich war jetzt der Zeitpunkt, weil ich die Chance hatte, jemanden zu finden, der es übernimmt und auch dafür sorgt, dass die Mitarbeiter übernommen werden. Außerdem habe ich jetzt noch die Möglichkeit, etwas anderes zu machen. Es war nie mein Ideal, mit 75 oder 80 Jahren noch jeden Tag ins Büro zu gehen, weil man nicht loslassen kann.
Ist es Ihnen schwer gefallen, das Familienunternehmen loszulassen?
Leicht gefallen ist es mir nicht. Aber ich habe mich schon lange damit beschäftigt. Meine Eltern haben über Jahrzehnte sehr viel Energie und Herzblut in das Unternehmen gesteckt, aber inzwischen eine gesunde Distanz. Einerseits hatten sie das Vertrauen, dass ich das gut mache, und andererseits haben sie gesagt, dass das nun wahrscheinlich eine gute Entscheidung ist. Sie haben mir beide zugeraten, zu verkaufen.

Wie kam der Kontakt zur Buchhandlung Rupprecht?
Wir kannten uns zuvor nur vom Hörensagen, haben uns aber in den vergangenen Monaten kennengelernt. Dabei wurde immer klarer, dass die Buchhandlung Rupprecht sehr ähnlich arbeitet wie wir. Ein Beispiel ist das eigenverantwortliche Arbeiten, das wird bei beiden groß geschrieben. Wer bei uns für einen Bereich zuständig ist, soll auch entscheiden dürfen, was dafür eingekauft wird. Das ist ein Unterschied zu den großen Filialisten.
Was ändert sich ab 1. Juli für Kunden?
Nicht viel. Auch bei der Buchhandlung Rupprecht sind Veranstaltungen ein großes Anliegen. Wir saßen stundenlang zusammen und haben uns Anekdoten erzählt von Autoren, die bei uns gelesen haben. Das Kundenkartensystem wird es vermutlich aber nicht mehr geben. Wer noch Punkte hat, darf sie gerne einlösen.
Und für die Mitarbeiter?
An den Teams wird sich nichts ändern. Der einzige, der nachher nicht mehr da ist, bin ich. Aber es war bisher schon so, dass ich im Laden nicht andauernd sichtbar war, weil es viel im Hintergrund zu erledigen gab. Eine Filialleiterin der Buchhandlung Rupprecht wird ein Jahr lang in Singen sein, um den Übergang zu begleiten. Die größte Umstellung ist das Warenwirtschaftssystem.
Sind manche Dinge einfacher mit einem größeren Filialnetz?
Bei großen internationalen Promi-Autoren hat man als kleine Buchhandlung oft gar keine Chance, einen Termin zu ergattern. Einfacher werden könnte es künftig insofern, dass man eine kleine Tour für Autoren organisieren kann mit Lesungen in mehreren Orten.
Stehen Sie nach der Übergabe zum 1. Juli noch beratend zur Seite?
Offiziell ist der 30. Juni mein letzter Arbeitstag. Ich gehe schon davon aus, dass es danach noch die ein oder andere Frage gibt. Aber es ist nicht geregelt, dass ich weiterhin mitarbeite. Das wollte ich auch nicht. Als ich das Geschäft von meinen Eltern übernommen habe, habe ich auf einen klaren Schnitt gedrängt, und das schien mir auch jetzt der richtige Weg zu sein.
Wie hat sich der Buchhandel in den vergangenen Jahrzehnten verändert?
Als ich Ende der 80er-Jahre meine Ausbildung gemacht habe, war noch keine Spur von Internet. Der größte Unterschied zu heute war, dass der Buchhandel ein Monopolist der Information war. Alles Nachschlagen fand in riesigen Katalogen statt. Kunden hatten keine Möglichkeit, sich selbst zu informieren, geschweige denn online selbst zu bestellen. Anfangs wurde Amazon belächelt, heute ist es der größte Buchhändler Deutschlands.
Welche Herausforderung bedeutet das?
Online und stationär sind zwei Welten und der Einzelhandel hat über Jahre intensiv daran gearbeitet, diese Welten zusammenzubringen. Kunden können online bestellen und dann im Laden abholen oder sich ein Buch direkt portofrei schicken lassen. Die Konkurrenz hat sicher auch einiges beflügelt, weil man sich anstrengen musste. Man musste sich unterscheiden und das sichtbar machen mit Service, Beratung, Ladengestaltung und Aufenthaltsqualität. Wir sind ein Ort, an dem man gerne auch ein bisschen Zeit verbringen darf.
Ist es im Handel schwieriger geworden?
Vor zwei, drei Jahrzehnten konnte man sich eine weltweite Pandemie nicht vorstellen, Krieg in Europa schon gar nicht. Und auch Lieferengpässe und Papiermangel waren jenseits der Vorstellung. Leute haben allgemein unbeschwerter konsumiert. Ich finde heute wichtig zu erkennen, dass kein Geschäft für sich alleine fungiert. Alle Einzelhändler sitzen in einem Boot und sind abhängig von dem, was insgesamt angeboten wird. Es ist entscheidend, dass das Zusammenspiel in einer Stadt funktioniert. Dann haben alle die Chance, dass es auch für den Einzelnen funktioniert.
Sie waren ein Kritiker des Cano. Wie stehen Sie heute dazu?
Es ist noch nicht ausgemacht, wie sich das weiter entwickeln wird. Was wir noch vermissen ist, dass die Schweizer in großer Zahl nach Singen zurückkehren. Das konnte bisher auch das Cano nicht bewirken.
Wie geht es für Sie persönlich weiter?
Ich weiß es wirklich noch nicht. Erstmal werde ich mit meiner Familie in den Urlaub gehen und dann mal sehen, was sich ergibt. So eine bewusste Zeit zum Runterkommen und Neuorientieren war mir wichtig, das nehme ich mir. Aber ich werde nicht Privatier, sondern auf jeden Fall wieder etwas arbeiten. Ich weiß nur noch nicht, was das sein wird.