25 Jahre lang gibt es Tafelläden im Landkreis Konstanz. Ist das wirklich ein Grund zum Feiern? Immerhin sind Tafelläden dazu da, gespendete Lebensmittel preisgünstig an Menschen mit wenig Geld abzugeben. Die acht Vorstandsmitglieder des Vereins Singener Tafel, die mit dem Singener Ladenleiter Clemens Gnädinger zum Pressegespräch erschienen waren, setzten jedenfalls eher ernste Mienen auf. Und auf die Frage, ob es nicht deprimierend sei, dass die Tafeln nach so vielen Jahren offensichtlich immer noch gebraucht werden, hört man durchaus zustimmendes Raunen aus der Runde.
Andererseits kann die Tafel auch auf Erfolge verweisen. Der Vorsitzende Udo Engelhardt erklärte bei dem Termin beispielsweise, dass sich ohne die Singener Tafel und ihren Mittagstisch Menschen aus einem Kontext der Armut wohl kaum kennenlernen würden. Der Mittagstisch sei ohnehin einzigartig für eine Tafel in Baden-Württemberg. Er verlagere sich, wenn die Vesperkirche in der Lutherkirche alljährlich im Januar geöffnet hat, praktisch flächendeckend in die Vesperkirche – an der sich der Verein Singener Tafel auch selbst beteiligt. Das Tafel-Restaurant bleibe in dieser Zeit geschlossen, sagt Engelhardt.
Und: Die Tafeln würden Armut auch sichtbar machen, etwa wenn sich vor den Geschäften in der Stadt lange Schlangen von Menschen mit wenig Geld bilden, die auf Lebensmittel zu günstigen Preisen angewiesen sind.
Singen war früher dran als andere
Unabhängig davon, wie man die Notwendigkeit einer Einrichtung wie der Tafel nun bewertet, kann der Verein mit seinen inzwischen fünf Läden in Singen, Engen, Radolfzell, Stockach und Konstanz sowie einem zentralen Lager in Rielasingen-Worblingen nun auf das erste Vierteljahrhundert seiner Geschichte zurückblicken. Mit der Gründung des Vereins Singener Tafel am 25. Januar 1999 sei man noch vor Freiburg oder Villingen-Schwenningen am Start gewesen, erklärte Engelhardt.
Die allererste Tafel Deutschlands sei 1993 in Berlin gegründet worden, sagte Schatzmeister Willy Wagenblast bei dem Termin. Stuttgart sei 1995 hinzugekommen, so Engelhardt. Insofern war die Singener Initiative ziemlich früh dran, später kamen im Landkreis Tafelläden in Konstanz (2005), Stockach (2007), Engen (2009) und Radolfzell (2009) dazu. Und während der Corona-Pandemie hat die Tafel eine zweite Ausgabestelle in der Singener Südstadt eingerichtet.
Durch Lager kann man auch große Mengen annehmen
Außerdem haben die Tafeln im Landkreis Konstanz ein gemeinsames Lager, das seit 2018 in der Hittisheimer Straße in Rielasingen-Worblingen ist. Durch das Lager könne man auch Großmengen von Unternehmen aus der Region abnehmen, etwa von Maggi in Singen oder Hügli in Radolfzell, erklärt dessen Leiterin Christine König-Ghazouani. Auch zur Reichenauer Gemüsegenossenschaft habe man gute Beziehungen, sagt Engelhardt.
König-Ghazouani nannte das Beispiel von Schönheitsfehlern bei Gemüse in Konserven, das abgesehen von einem Farbschleier aber perfekt genießbar sei. Die Hersteller würden diese Ware nicht in den Handel bringen, aber beispielsweise an die Tafeln spenden. Und auf die Lagerhaltung in Rielasingen-Worblingen würden etwa 30 Tafeln in der Umgebung zurückgreifen, erklärte Udo Engelhardt noch, es sei eines von sechs zentralen Tafel-Lagern in Baden-Württemberg.
Künftig unter neuem Namen aktiv?
Schon früh sei den Machern der Singener Tafel klar gewesen, dass sie ein Miteinander erreichen wollen, wenn sich weitere Tafeln gründen sollten, sagt Udo Engelhardt. Und auch die Vorstandsmitglieder kommen aus dem gesamten Landkreis. Deswegen soll die nächste Mitgliederversammlung im April oder Mai auch über eine Änderung des Namens zu „Tafeln im Landkreis Konstanz“ abstimmen, so Engelhardt.
Durch die Zusammenarbeit konnten sich die einzelnen Einrichtungen auch gegenseitig unterstützen, etwa bei der Suche nach geeigneten Räumen. Anita Hoffmann, Leiterin des Konstanzer Geschäfts und stellvertretende Vorsitzende des Vereins, betonte beispielsweise, wie sehr die Konstanzer Tafel von den in Singen gemachten Erfahrungen profitiert habe.
Soziale Themen kommen bei den Tafeln an
Zu aktuellen Diskussionsthemen haben die Tafel-Vorstände auch ihre Meinungen. Zuletzt habe man damit zu kämpfen gehabt, dass die Zahl der Kunden gestiegen sei, während die Menge gespendeter Lebensmittel eher zurückgehe. In mehreren Tafelläden dürfen die Kunden daher nicht mehr an allen Öffnungstagen einkaufen.
Immer wieder müsse man erklären, warum Kunden nicht einfach beliebig viel einkaufen dürfen, sagt Margot Kammerlander vom Stockacher Tafelladen. Schließlich soll die Ware für alle Kunden reichen. Auch wenn die Rationierung durchaus zu Unmut führen könne, wie Axel Schädler, Leiter des Engener Tafelladens, berichtet. Gerade seit Beginn des Ukraine-Kriegs seien viele neue Kunden hinzugekommen, die andere verdrängt haben, wie Udo Engelhardt unumwunden zugibt. Ein Ausschluss bestimmter Nationalitäten komme für die Singener Tafel trotzdem nicht infrage.
Unmut könne es auch geben, wenn Kunden aus Ländern ohne Tafel glauben, sie hätten es mit einer staatlichen Stelle zu tun, die zu funktionieren habe, sagt König-Ghazouani. Und Udo Engelhardt resümiert: „Die Tafeln sind zum Synonym für Armutsbekämpfung geworden. Das sind wir aber nicht und können es auch nicht leisten.“ Nur etwa zehn Prozent der Bürgergeld-Empfänger kämen zur Tafel, die anderen kämen anders aus.
„Wir wollen nicht Sozialpolizei spielen“
Vom Gerede einer sozialen Hängematte hält Engelhardt ebenfalls wenig: „Wer sich zwei Stunden anstellt zum Einkaufen, dem geht es in der Regel nicht gut.“ Ein paar wenige Menschen dürfte es geben, die der Tafel nicht alle Einkünfte offenlegen, „aber wir wollen nicht Sozialpolizei spielen“. Nur wenige Kunden seien nicht ehrlich, sagt der Vorsitzende. Aber er gibt auch zu: „Die können Unruhe stiften.“
Die Zusammenarbeit mit den kommunalen Verwaltungen beschreibt Engelhardt als gut. In anderen Orten gebe es teilweise Tendenzen, Tafelläden an den Stadtrand zu verbannen – „weil wir Armut auch sichtbar machen, wenn sich Schlangen vor den Läden bilden“. Das sei im Kreis Konstanz aber nicht so – ob nun der Singener Oberbürgermeister Bernd Häusler für die Tafel koche oder in Engen der Tafelausweis auch gleichzeitig der Sozialpass der Gemeinde sei. Und nach 25 Jahren ist sicher nicht Schluss: Die Tafeln gehen davon aus, dass sie noch viele Jahre im Kreis Konstanz bleiben werden.