Der öffentliche Konflikt rund um zwei Singener Neurochirurgen geht inzwischen ins dritte Jahr und die strafrechtliche Aufarbeitung dessen, was im Jahr 2021 passiert ist, in die zweite juristische Instanz. Denn nach einer ersten öffentlichen Hauptverhandlung vor dem Singener Amtsgericht haben alle vier streitenden Parteien Rechtsmittel eingelegt. Die Berufungsverhandlung startete kürzlich vor dem Landgericht in Konstanz unter Leitung des Vorsitzenden Richters Joachim Dospil.

Zur Erinnerung: Verhandelt werden Ereignisse, die im Hintergrund für den Abgang des Neurochirurgen Bahram Hashemi als Kooperationspartner des Singener Krankenhauses standen. Der niedergelassene Arzt hatte im Juli 2021 für viele überraschend seine Praxis geschlossen, die in Räumen des Krankenhauses lag. Über die Region hinaus ging ein wichtiger Teil der medizinischen Versorgung verloren, denn Hashemi machte als Kooperationspartner auch stationäre Eingriffe am Singener Krankenhaus.

Ein neurochirurgischer 24-Stunden-Notdienst ist zudem wichtig für die Anerkennung des Singener Krankenhauses als Traumazentrum. Die Lücke musste mühsam geschlossen werden. Und letztlich kam eine Spirale von Ereignissen in Gang, die dazu führte, dass das Singener Krankenhaus seine Neurochirurgie komplett neu organisierte.

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Das Krankenhaus hatte 2021 die Zusammenarbeit mit Hashemi gekündigt, weil das Vertrauensverhältnis zerrüttet war. Vor Gericht geht es nun um letztlich unhaltbare Vorwürfe gegen den niedergelassenen Neurochirurgen Aram Bani, der damals ebenfalls mit dem Krankenhaus kooperierte, und gegen einen weiteren Arzt, der am Singener Krankenhaus in verantwortungsvoller Position beschäftigt ist. Beide treten im Verfahren als Nebenkläger auf.

Angeklagt ist neben Hashemi eine junge Frau, die zum Tatzeitpunkt 20 Jahre alt war und laut dem Urteil des Singener Gerichts wider besseres Wissen Vergewaltigungsvorwürfe gegen die beiden Nebenkläger erhoben hat – Vorwürfe, die Existenzen hätten zerstören können. Dafür wurde sie vom Singener Amtsgericht zu einer Verwarnung mit Geldauflage von 3000 Euro in monatlichen Raten zu 250 Euro verurteilt.

Hashemi selbst kassierte in erster Instanz eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 500 Euro wegen Beleidigung und Erhebens falscher Vorwürfe gegen Bani. Vom Vorwurf, die Mitangeklagte zu ihren haltlosen Vorwürfen gegen die beiden Nebenkläger angestiftet zu haben, hat ihn das Amtsgericht freigesprochen, weil dieser nicht eindeutig zu beweisen gewesen sei. Vielmehr habe die Mitangeklagte, die in der Berufungsverhandlung nicht mehr selbst dabei war, sondern sich von ihrem Verteidiger Björn Bilidt vertreten ließ, ihrem damaligen Geliebten Hashemi einen Gefallen tun wollen, lautete damals der Tenor.

War es doch Anstiftung zur Falschaussage?

Der Prozess vor dem Landgericht drehte sich nun hauptsächlich um die Frage, ob die Mitangeklagte nicht doch von Hashemi angestiftet wurde. Die beiden Nebenkläger berichteten von Streitigkeiten mit Hashemi über das medizinische Vorgehen. Gleichzeitig hätten sie die Mitangeklagte, die zeitweise Azubi im Krankenhaus und danach in Hashemis Praxis war, überhaupt nicht persönlich gekannt. Kurz gesagt: Anders als durch Anstiftung können sie sich die plötzlichen Vorwürfe nicht erklären.

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Besonders heftig entwickelte sich der Konflikt zwischen Hashemi und Bani, die von 2007 bis 2011 noch eine gemeinsame Praxis betrieben hatten. Auch nach der Trennung der Praxen haben beide die neurochirurgische Rufbereitschaft für das Krankenhaus gemeinsam organisiert. Im Zeugenstand sagte Bani nun allerdings, dass Hashemi sich davon immer wieder abgemeldet habe oder gar nicht erreichbar gewesen sei. Bani sei dann eingesprungen.

Hashemi äußerte sich als Angeklagter ausführlich und hielt dagegen, dass der andere Arzt nicht dazu verpflichtet gewesen sei, dann den Dienst zu übernehmen. Auch als er noch allein die 24-Stunden-Rufbereitschaft abgedeckt habe, habe er an seinen freien Wochenenden die Neurochirurgie abgemeldet.

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Dass das Krankenhaus die Bereitschaft auch abmelden könne, bestätigte Bernd Sieber, Geschäftsführer des Gesundheitsverbunds Landkreis Konstanz (GLKN), nun als Zeuge vor dem Landgericht. Zuletzt habe man sich abgemeldet, weil beide Computertomografen ausgefallen seien. Dann könne man nicht verantworten, Patienten aufzunehmen. Sollte sich ein Arzt wegen privater Termine abmelden, müsse aber eine Vertretung da sein.

Auch der Geschäftsführer berichtete von heftigen gegenseitigen Vorwürfen zwischen den beiden Neurochirurgen. Das sei soweit gegangen, dass Bani ganze Ordner mit Material über Hashemi an die Ärztekammer geschickt habe. Dies bestätigte Bani in seiner Zeugenaussage. Er habe sich zur Anzeige bei der Ärztekammer entschlossen, nachdem er sich Anfang 2021 durch eine Bemerkung seines Konkurrenten bedroht gefühlt habe, hatte Bani schon vor dem Singener Amtsgericht gesagt.

Schon lange gab es gegenseitige Vorwürfe

In der Berufungsverhandlung wurde auch etwas klarer, welcher Vorwurf in der Anzeige an die Ärztekammer steckte. Es sei darin etwa darum gegangen, dass sein Mandant Operationen zur Gewinnmaximierung mache und Bargeld von Patienten nehme, sagte Hashemis Verteidiger Sylvester Kraemer. Der Kammeranwalt habe diese Vorwürfe damals allerdings als nachweislich falsch oder Spekulation eingestuft, so Kraemer weiter.

Angesichts der fortwährenden Angriffe habe es bei seinem Mandanten im Streit um einen neurochirurgischen Notdienst im Januar 2021 „den Deckel gelupft“, so Kraemer. So erklärte er, dass sein Mandant am Ende eine E-Mail an Bani und mehrere Führungskräfte im Klinikum formulierte, die das Amtsgericht als Beleidigung einstufte.

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Bani hielt vor Gericht dagegen, dass er am Ende Recht behalten habe. Ein Neurochirurg des Bundeswehrkrankenhauses in Ulm hat tatsächlich in einem Gutachten vom November 2020, das der Redaktion vorliegt, ebenfalls den Vorwurf des Diagnosetunings erhoben, was höhere Abrechnungen ermöglich habe. Und das Krankenhaus hat inzwischen überhöht abgerechnete Beträge an die Krankenkassen zurückgezahlt, wie Sieber nun auch vor Gericht erklärte. Über den weiteren Fortgang des Verfahrens bei der Ärztekammer sei er allerdings nicht informiert worden.

Sieber schilderte auch die Folgen der Vorgänge für das ganze Krankenhaus. Nach den erfundenen Vergewaltigungsvorwürfen und weiteren sexbezogenen Gerüchten sei es plötzlich im ganzen Krankenhaus um Sex gegangen: „Überall sollte etwas stattgefunden haben. Das war schon belastend.“

Die Berufungsverhandlung wird am Freitag, 21. Juni, um 9 Uhr vor dem Konstanzer Landgericht fortgesetzt. Für alle Beteiligten gilt die Unschuldsvermutung.