Seit der Neurochirurg Bahram Hashemi im Juli 2021 seine Praxis in den Räumen des Singener Krankenhauses geschlossen hat, gibt es Gerüchte und Spekulationen – und eine umfangreiche juristische Aufarbeitung. Das Landgericht Konstanz stellte kürzlich in einem Zivilverfahren fest: Zumindest bei einer Patientin hat der Arzt Operationen durchgeführt, die medizinisch gar nicht oder nicht im durchgeführten Umfang angezeigt waren.

Methode entspricht nicht dem Facharztstandard

Außerdem sei bei einer der Operationen die Vorgehensweise „experimentell“ gewesen und habe nicht dem Facharztstandard entsprochen, heißt es in der etwa neunseitigen Begründung zu dem Urteil, das der Redaktion in einer Fassung mit geweißten Passagen vorliegt. Zudem sei demnach eine der Operationen „ohne wirksame Einwilligung der Klägerin erfolgt“. Das ist nach der bisherigen Vorgeschichte eine überraschende Entwicklung.

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Arzt und Gesundheitsverbund Landkreis Konstanz (GLKN) wurden nun als Gesamtschuldner zur Zahlung von 60.000 Euro Schmerzensgeld und zum Ersatz materieller Schäden in Höhe von etwa 2500 Euro verurteilt, teilt Mirja Poenig, Richterin am Landgericht und dessen Pressesprecherin, auf Anfrage mit. Außerdem müssen die Beklagten bei der Patientin auch künftige materielle Schäden aus den fraglichen Behandlungen übernehmen.

Der GLKN gehörte zu den beklagten Parteien, weil Hashemi im Singener Krankenhaus auf Honorarbasis seine Operationen durchführte – auch wenn er als niedergelassener Arzt dort nicht angestellt war. Der Arzt selbst äußert sich schon seit Längerem nicht mehr öffentlich und war telefonisch zuletzt nicht erreichbar. Der Anwalt, der ihn in der Sache vertritt, ließ eine Anfrage bislang unbeantwortet.

Urteil weist über Gutachten des Gesundheitsverbunds hinaus

Das Urteil des Landgerichts geht klar über das hinaus, was ein im September 2020 vom GLKN beauftragter Gutachter festgestellt hat. Dieser kam nach der Auswertung zahlreicher Patientenakten zu dem Schluss, dass in Hashemis Praxis unerlaubtes Upcoding betrieben worden sei.

Der Gutachter hat laut seinem Schriftstück, das der Redaktion vorliegt, keinen Zweifel, dass es zu einer „systematischen absichtlichen Fehlkodierung“ und zu einer „bewussten Fälschung von Operationsberichten zur Gewinnmaximierung“ gekommen sei. Gemeint ist damit: Patienten wurden auf dem Papier kränker gemacht, als sie waren, um für Eingriffe höhere Beträge abrechnen zu können – im Prinzip ein möglicher Betrug an Krankenkassen, die die Eingriffe bezahlt haben. Das Krankenhaus habe die Kooperation mit Hashemi allerdings beendet, weil dieser letztlich unhaltbare Vorwürfe gegen andere Ärzte erhoben habe, so GLKN-Geschäftsführer Bernd Sieber schon früher.

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Ein Hinweis auf Patientenwohlgefährdung findet sich in diesem Gutachten jedoch nicht. GLKN-Chef Sieber hatte bei einer früheren Gelegenheit gesagt, dass nach dem derzeitigen Stand seiner Kenntnisse keine Patienten zu Schaden gekommen seien. Das Urteil des Landgerichts spricht nun jedoch eine andere Sprache.

Und nach Auskunft von Bernhard Bense, Rechtsbeistand der klagenden Patientin in dem Zivilverfahren, ist das Schmerzensgeld von der Versicherung des Arztes auch bereits bezahlt worden. Bense betont, dass die Zivilkammer die Vorgänge rund um den Neurochirurgen völlig anders bewertet habe als die Staatsanwaltschaft Konstanz. Diese hatte im Februar Ermittlungen gegen den Neurochirurgen eingestellt, die aufgrund des GLKN-Gutachtens in Gang gekommen waren.

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Gegenstand der Zivilverhandlung vor dem Konstanzer Landgericht waren nun mehrere Operationen in den Jahren 2016 und 2017. Die Patientin aus dem Kreis Konstanz hatte, wie in der Verhandlung öffentlich wurde, schon öfter Rückenprobleme. Im Herbst 2016 habe sie sich damit zum ersten Mal an die Praxis Hashemi gewandt. Der Arzt habe nach der Diagnose zunächst unter anderem ein Bandscheibenfach ausgeräumt und einen sogenannten Cage eingepflanzt, ein Implantat, das, vereinfacht gesagt, den Platz der Bandscheibe einnimmt. Dabei war aber, wie das Gericht nun festgestellt hat, die Verschraubung unterblieben, die eigentlich notwendig gewesen wäre.

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Off-Label-Verwendung war ein entscheidender Faktor für das Urteil

Diese sogenannte Off-Label-Verwendung, also der Einsatz eines Medizinprodukts jenseits dessen, was in den Anweisungen des Herstellers beschrieben ist, bezeichnete der Gutachter des Gerichts als experimentell. Diese Vorgehensweise sei praktisch nirgendwo in der Literatur dokumentiert. Außerdem sei die Patientin nicht über die geplante Off-Label-Verwendung aufgeklärt worden.

Das Gericht bewertet den Eingriff in seinem Urteil daher als „sowohl fehlerhaft als auch rechtswidrig“. Weitere Eingriffe wurden nötig, die der Gutachter des Gerichts allerdings als in diesem Umfang nicht gerechtfertigt bezeichnete. Am Ende wurde an einem anderen Krankenhaus der Schaden so gut wie möglich revidiert. Die Patientin selbst, eine Frau Mitte 30, sagte im Gerichtssaal, sie nehme weiter Morphium gegen die Schmerzen und habe Pflegegrad drei.

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Während der mündlichen Verhandlung war Hashemi anzumerken, dass er die Kritik an seiner Arbeitsweise nicht nachvollziehen kann. Wenn er das Wort hatte, forderte er regelmäßig den Gutachter des Gerichts durch Nachfragen heraus, berief sich auf seine Erfahrung als Behandler und Operateur und verteidigte seine Vorgehensweise.

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Was bedeutet das Urteil nun für das Singener Krankenhaus und den GLKN? Nach der aktuellen Auskunft von Geschäftsführer Bernd Sieber hat die Versicherung des Arztes die Zahlung an die Patientin komplett übernommen: „Beim GLKN ist kein Versicherungsfall entstanden und auch kein wirtschaftlicher Schaden.“ Ausschlaggebender Punkt dafür sei wohl gewesen, dass die vom Gericht als nicht ausreichend gewertete Aufklärung der Patientin in den Praxisräumen stattgefunden habe, nicht auf der Station.

Ein weiterer Faktor: Die Versicherung des Arztes geht laut Siebers Informationen nicht in Berufung. Weitere Fallakten werde das Krankenhaus aufgrund des Urteils jedenfalls nur dann wieder öffnen, wenn Fälle beklagt werden. Dass eine fehlerhafte Indikation gestellt wurde, klinge zunächst einmal nicht gut, sagt Sieber – auch wenn unterschiedliche Einschätzungen gerade im Fach Neurochirurgie nicht ungewöhnlich seien. Auf eine medizinische Bewertung des Vorgangs – Stichwort Patientenwohl – will sich Sieber aber nicht einlassen: Er sei zu sehr Kaufmann und zu wenig Arzt, um das zu beurteilen. Nach den derzeit vorliegenden Informationen ist das Urteil rechtskräftig.