Wie war das eigentlich damals, als ab den späten 1950er-Jahren Gastarbeiter nach Singen kamen? Zeitzeugen berichteten bei einer Veranstaltung im Rahmen des 125-jährigen Stadtjubiläums, wie sie in Deutschland ankamen und wie sie sich integriert haben. Dabei wurde wieder einmal deutlich, wie bunt die Hohentwielstadt ist, in der heute Menschen aus über 100 Nationen leben.

Vito Giudicepietro, Fatima Gomes und Simon Tachtalis erzählten als Zeitzeugen von ihrer Ankunft und wie sie in Singen heimisch wurden. Der Gesprächsabend unter dem Motto „Wir in Singen“ war eine gemeinsame Veranstaltung des Singener Stadtarchivs, der Stabsstelle Integration und des Vereins Integration in Singen (Insi). Der Abend wurde von Insi-Geschäftsstellenleiter Martin Zimmermann und Melina Tachtalis vom Kulturbüro der Stadt Singen moderiert.

Der Gesprächabend über das Ankommen in Singen wurde mit Bildern aus dem Stadtarchiv (hier ein Bild vom Boccia Spielen bei der ...
Der Gesprächabend über das Ankommen in Singen wurde mit Bildern aus dem Stadtarchiv (hier ein Bild vom Boccia Spielen bei der Theresienkapelle) umrahmt. Das Gespräch führten (von links) Melina Tachtalis und Martin Zimmermann mit Fatima Gomes, Vito Giudicepietro und Simon Tachtalis. | Bild: Susanne Gehrmann-Röhm

Schon 1970 war es schwer, Wohnung zu finden

Fatima Gomes kam mit ihren Eltern als Zweijährige 1968 aus Portugal nach Deutschland und hat fast ihr ganzes Leben in Singen gewohnt. „Meine Eltern haben zuerst in der Konstanzer Straße gewohnt. Als sie uns Kinder geholt haben, wohnten wir im Buchenweg, eine Straße, die auf dem heutigen Parkplatz der Alusingen lag.“

Die Eltern von Simon Tachtalis kamen durch das Anwerbeabkommen Mitte der 1960er-Jahre nach Deutschland. „Da meine Eltern leidenschaftliche Tänzer waren und gern im Café National waren, knüpften sie schnell Kontakte“, erzählt Simon Tachtalis, der 1970 in Singen zur Welt kam. Eine Wohnung zu finden, war für sie etwas schwierig, doch über einen Makler klappte es dann.

Zuwanderung hat eine lange Historie

Vito Giudicepietro kam mit knapp 15 Jahren am 1. September 1964 das erste Mal nach Singen, weil er seinen Bruder besuchen wollte. Damals habe es bei der Alusingen getrennte Schichten für Portugiesen und Italiener gegeben, was natürlich dem Deutschlernen gar nicht hilfreich war. Zu dieser Zeit habe man 14 Stunden täglich und sechs Tage die Woche gearbeitet. An den freien Sonntagen traf man sich zum Boccia-Spielen bei der Theresienkapelle oder im Scala-Kino zum Schauen eines italienischen Films, erinnert sich Giudicepietro.

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In den 1970er-Jahren wurden dann auch Vereine wie das Centro Portugues gegründet – bis heute der älteste ausländische Verein Singens. Die italienischen Mitbürger fanden in der Acrei zusammen. „Wir mussten damals alle zwei Jahre eine neue Aufenthaltserlaubnis beantragen. Das Ausfüllen der Formulare war für uns wegen der schlechten Deutschkenntnisse sehr schwierig“, erinnert sich Giudicepietro.

Viele dachten, sie sind nur kurz da

Fatima Gomes, die sich schon in ihrer eigenen Schulzeit voll integriert gefühlt hat, hat auch immer an die Älteren appelliert, Deutsch zu lernen. Doch die erste Generation habe sich damit sehr schwer getan. „Meine Eltern haben sich schon schwer getan mit der deutschen Sprache“, berichtet auch Simon Tachtalis. Integration beginne bei einem selbst, indem man auf andere zugehe, lautet seine Devise.

Dass Sprache der Schlüssel zur Integration ist, wurde bei den persönlichen Geschichten immer wieder deutlich. „Integration hat für viele Griechen bedeutet: Wo treffe ich andere Griechen?“ ergänzt der 58-jährige Stavros Tachtalis. Der Bruder von Simon Tachtalis erinnert sich an die Perspektive vieler Gastarbeiter der ersten Generation. Sie hätten damals gedacht, sie bleiben zehn bis 20 Jahre und gehen dann zurück. Doch das sei meist nicht geschehen, so Stavros Tachtalis.

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Sprachbarrieren hat auch Renate Weißhaar schon in der Schulzeit erlebt. „Als ich in den 1960er-Jahren in die Schillerschule ging, saß auf einmal ein italienisches Mädchen neben mir. Sie konnte kein Wort Deutsch“, so Weißhaar.

Schon vor 400 Jahren kamen Menschen für Arbeit

Zu Beginn des Gesprächs gab Simon Götz, Historiker im Stadtarchiv, einen Abriss über die eher unbekannte Vorgeschichte, denn der Zuzug von Gastarbeitern habe nicht erst in den 1950er-Jahren begonnen. Schon um 1900 lebten Italiener, Österreicher und Schweizer in Singen. Die Migranten, die Berufe wie Natursteinbauer oder Maurer hatten, halfen damals zum Beispiel beim Eisenbahnbau und beim Bau der Fitting-Fabrik von Georg Fischer, dem heutigen Unternehmen Fondium. Es seien zu dieser Zeit aber auch Italienerinnen in den Textilbetrieben beschäftigt gewesen.

Um 1915 hätten viele Italiener Deutschland wegen italienfeindlicher Stimmung wieder verlassen. „Die Ursprünge reichen aber noch ungefähr 400 Jahre zurück, als es schon Arbeitsmigranten aus Tirol gab“, so Simon Götz‘ Rechercheergebnisse.

Stadt sucht Dokumente der Migration

Nach den Anwerbeabkommen in den 1960er-Jahren waren besonders viele Migranten aus Spanien und Portugal nach Singen gekommen. „Es gab einen Singener, der in Lissabon arbeitete, und im Jahr 1965 durch ein fabrikinternes Abkommen 30 Portugiesen an die Alusingen vermittelte“, sagte Simon Götz, der seinen Kurzvortrag mit historischen Aufnahmen des Stadtarchivs umrahmte.

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Er ist für das Singener Stadtarchiv aktiv, um eine Überlieferungslücke im Bereich des nicht-amtlichen Schriftgutes schließen zu können und deshalb auf der Suche nach Kontakten zu migrantischen Vereinen oder auch Privatpersonen, die ihre Dokumente, Fotos, Briefe und ähnliches dem Stadtarchiv zur Aufbewahrung für kommende Generationen übergeben wollen.

Kontakt: Stadtarchivleiterin Britta Panzer, Telefon 07731 85253, oder E-Mail an archiv@singen.de. Weitere Informationen im Internet unter www.stadtarchiv-singen.de