Es könnte so einfach sein: Eine Stelle wird frei, der Arbeitgeber sucht innerhalb von ein paar Monaten die beste Kandidatin oder den besten Kandidaten, besetzt die Stelle neu und der Betrieb geht weiter – so stellt man sich das vor. Doch im Justizwesen in Baden-Württemberg geht offenbar vieles nicht so einfach, zumindest wenn man die Vorgänge um die Neubesetzung des Direktorenpostens am Amtsgericht Singen betrachtet.
Seit Januar 2024, als der bisherige Amtsgerichtsdirektor Johannes Daun den Posten in Richtung Hochrhein verließ, ist das Amt vakant. Und zum 1. Februar dieses Jahres hat auch seine frühere Stellvertreterin Anke Baumeister, die zuvor Dauns Stellvertreterin war und nach dessen Weggang die Aufgaben der Direktorin kommissarisch übernahm, die Stelle gewechselt. Sie ist seitdem Direktorin des Überlinger Amtsgerichts und nur noch mit einem Teil ihrer Arbeitszeit nach Singen abgeordnet, um die Aufgaben der Direktorin wahrzunehmen – weiterhin kommissarisch.
Der Betrieb geht weiter – trotzdem fehlt ein Direktor
Die Aufsicht über die Amtsgerichte im Landgerichtsbezirk Konstanz führt zwar der Landgerichtspräsident. So hat es Christoph Reichert, Präsident des Konstanzer Landgerichts und damit auch für die Aufsicht über Singen zuständig, schon vor einiger Zeit bei einem Gespräch im Singener Amtsgericht zu einem anderen Thema erklärt. Damit unterstehen die Richter an einem Amtsgericht dem Landgerichtspräsidenten. Der Betrieb am Amtsgericht geht also auch ohne eigenen Direktor weiter.
Dennoch obliegt die eigentliche Leitung eines Amtsgerichts dem Amtsgerichtsdirektor. Man kann sich leicht ausmalen, dass ohne einen festen Direktor beispielsweise auf Verwaltungsleiterin oder -leiter eines Amtsgerichts mehr Aufgaben zukommen. Und die Vakanz in Singen kommt auch deswegen zu einem ungünstigen Zeitpunkt, weil das Singener Amtsgericht eigentlich durch einen Neubau auf dem weitläufigen Grundstück in der Erzbergerstraße vergrößert werden sollte, um den zweiten Standort in der Julius-Bührer-Straße aufgeben zu können.
Vor diesem Hintergrund spielt sich nun ein Streit um den Singener Direktorenposten ab, der sich allmählich zu einem Justizkrimi auswächst. Aktuelle Informationen des baden-württembergischen Verwaltungsgerichtshofs (VGH) in Mannheim zeigen: Es gibt nicht nur ein Konkurrentenstreitverfahren um das Amt, wie es das Landesjustizministerium bislang bestätigte, sondern gleich zwei. Dies schreibt Andrea Kloster, Richterin am VGH und dessen Pressesprecherin, auf Anfrage. Aus den veröffentlichten Entscheidungen des VGH, auf die Kloster verweist, geht hervor, dass es drei Bewerber für die Stelle gibt.
Verwaltungsgericht entscheidet zugunsten der unterlegenen Bewerber
Logischerweise konnte nur einer davon ausgewählt werden – und die anderen beiden gingen gegen die Entscheidung des Dienstherren, des Landes Baden-Württemberg, vor. Konkurrentenschutzverfahren heißt das im Beamtenwesen und bedeutet, dass unterlegene Bewerber, die die Entscheidung nicht akzeptieren wollen, per Eilverfahren die Ernennung des vorgesehenen Bewerbers verhindern. Denn: Ist die Ernennungsurkunde einmal unterzeichnet, lässt sich kaum noch etwas gegen diesen Verwaltungsakt unternehmen.
Das Verwaltungsgericht Freiburg hat schon vor einiger Zeit zugunsten der beiden unterlegenen Bewerber entschieden und dem Land untersagt, die Singener Stelle wie geplant zu besetzen. Doch warum hat sich nun der VGH in Mannheim mit der Personalie im fernen Singen beschäftigt? Der VGH ist die nächsthöhere Instanz in der Verwaltungsgerichtsbarkeit des Landes. Das Land Baden-Württemberg wollte die Entscheidung der Freiburger Richter nicht akzeptieren und hat Beschwerde beim VGH eingelegt.
Die Entscheidung der Mannheimer Richter fasst Sprecherin Kloster so zusammen: Die dagegen gerichteten Beschwerden des Antragsgegners – also des Landes Baden-Württemberg – „haben wir mit Beschlüssen vom 20.02.2025 zurückgewiesen.“ Das Land dürfe die Stelle erst neu besetzen, wenn über die Bewerbungen der beiden unterlegenen Kandidaten neu entschieden worden sei. Das kann man durchaus als Klatsche für das Land interpretieren.
Denn schon die Richter in Freiburg schreiben in ihrer veröffentlichten Entscheidung zu einem der beiden Verfahren: „Die von dem Antragsgegner (dem Land Baden-Württemberg, Anm. d. Red.) im Auswahlvermerk vorgenommene vergleichende Betrachtung der Anlassbeurteilungen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.“ An anderer Stelle heißt es: „So ist etwa nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund die positiven Zuschreibungen der Antragstellerin (der unterlegenen Bewerberin, Anm. d. Red.) hinter den Zuschreibungen des Beigeladenen (des ausgewählten Bewerbers, Anm. d. Red.) zurückstehen sollen.“
Eine Frau und zwei Männer sind im Streit um die Stelle
Aus den veröffentlichten Entscheidungen der Richter in Freiburg und Mannheim geht auch hervor, dass drei Personen miteinander um die Stelle des Singener Amtsgerichtsdirektors im Clinch liegen – eine Frau und zwei Männer. Bekannt ist dadurch außerdem, dass diese drei Bewerber aus unterschiedlichen Justizbehörden kommen, nämlich von Gerichten und aus der Staatsanwaltschaft, und dass sie von unterschiedlichen Personen beurteilt wurden – das allerdings mit jeweils derselben Note, nämlich „übertrifft“.
Und genau an dieser Stelle liegt das Problem in den Augen der Freiburger Verwaltungsrichter. Denn der Vorsprung des einen Bewerbers gegenüber der Bewerberin aufgrund von „Einzelmerkmalen der Anlassbeurteilung“ habe sich als „nicht tragfähig“ erwiesen. Das Land müsse nun prüfen, ob andere leistungsbezogene Kriterien herangezogen werden müssen, um unter den drei Bewerbern den richtigen zu finden – etwa „ein strukturiertes Auswahlgespräch oder die jeweilige Beurteilungshistorie“. Und der VGH in Mannheim hat das Land nun dazu verdonnert, dieser Rechtsauffassung auch zu folgen.
Das zuständige Landesjustizministerium hüllt sich in der Sache übrigens in Schweigen. In richterlicher Unabhängigkeit getroffene Entscheidungen dürfe man nicht bewerten, schreibt Pressesprecher Aniello Ambrosio auf Anfrage. Aktuell prüfe das Ministerium auf Grundlage der VGH-Entscheidung das Vorgehen. Und: Ein Zeithorizont für die Besetzung der Stelle könne „aktuell noch nicht genannt werden“.