Mit Beistand von dieser Seite hätten Haushaltspolitiker und Stadtverwaltung in Singen wohl kaum gerechnet – wobei das Wort Beistand mit sehr großer Vorsicht zu genießen ist. Gemeint ist ein YouTube-Video unter dem Titel „Gewerbesteuer-Katastrophe in Singen (Die Ampel wirkt!)“, das am Sonntag, 4. Februar, online erschienen ist und laut dem Online-Portal bereits mehr als 100.000 Mal angeschaut wurde. Veröffentlicht wurde es auf dem Kanal Vermietertagebuch, der Sprecher wird in einer Einblendung als Alexander Raue, Costa Rica-Auswanderer, bezeichnet. Seine Videos verbreitet er auch über Telegram, Instagram und X, vormals Twitter. Auf seiner Internetseite schreibt er, dass er ein Portfolio von 74 Immobilien habe und 2021 mit seiner Familie nach Costa Rica in Mittelamerika ausgewandert sei.

Die Schwierigkeiten der Stadt Singen rund um eine millionenschwere Gewerbesteuer-Rückforderung nutzt er in dem Video für Ampel-Schelte. Dabei wird auch der SÜDKURIER-Bericht zum Thema zitiert. Anders als in dem Video behauptet, hat allerdings bislang kein Politiker von einer Gewerbesteuer-Katastrophe gesprochen – zumindest nicht gegenüber unserer Redaktion. Es handelte sich dabei um ein Wort im Titel des SÜDKURIER-Berichts, der noch dazu mit einem Fragezeichen versehen war.

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Dass ein Unternehmen in Singen nun angekündigt hat, Gewerbesteuer von mehr als 43 Millionen Euro zurückzufordern beziehungsweise gar nicht erst zu zahlen, schiebt das Video der Ampel-Koalition in Berlin in die Schuhe. Ob bei dem Unternehmen tatsächlich Gewinne eingebrochen sind, und das auch noch aufgrund der Ampel-Politik, ist allerdings reine Spekulation – schließlich ist nicht öffentlich bekannt, um welches Unternehmen es sich handelt.

Dass Gewerbesteuer sinkt, heißt nicht unbedingt, dass es einem Unternehmen schlecht geht

Die Höhe der Gewerbesteuer, die ein Unternehmen zahlt, hängt zwar vom Gewerbeertrag ab, der grundsätzlich vom Gewinn abhängt. Wenn ein Unternehmen Gewerbesteuer zurückfordert, muss das aber nicht unbedingt bedeuten, dass es diesem Unternehmen schlecht geht. Beispielsweise senken Investitionen oder Abschreibungen den Gewinn. Beides hängt nicht mit der Ampel-Politik zusammen. Und internationale Konzerne, von denen mehrere in Singen ansässig sind, haben durchaus weitere Möglichkeiten, Steuerlasten zu senken, die nicht mit der Ampel-Politik zusammenhängen. Die Aufteilung von Gewerbesteuer auf mehrere Betriebsstätten hängt auch von der Mitarbeiterzahl ab.

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In dem Video wird außerdem darauf hingewiesen, dass die Stadt besonders viel Geld in den Finanzausgleich einzahlen müsse und weniger Zuweisungen von Bund und Land bekomme – ebenfalls in Anlehnung an den SÜDKURIER-Bericht. Auch das stimmt, hängt aber ebenfalls nicht mit der Politik der Ampelkoalition zusammen. Die Regeln des kommunalen Finanzausgleichs sind schon seit vielen Jahren gleich: Zwei Jahre nach einem starken Steuerjahr sinken Zuweisungen in den und steigen Abgaben aus dem kommunalen Haushalt. Auf diese Mechanik ist jeder kommunale Finanzplaner eingestellt.

Ob der Beistand aus Übersee dabei hilft, den Einbruch bei der Gewerbesteuer zu bewältigen? An der Lösung von Problemen sind augenscheinlich weder der Autor des Videos noch seine Abonnenten interessiert. In den Kommentaren unter dem Video wird die populistische Schelte nicht hinterfragt, sondern munter weitergetrieben. Seine Internet-Zielgruppe hat der Kanal offenbar erreicht.