Denkt man an Singen als Arbeiterstadt, so verbindet man damit in erster Linie die drei Großunternehmen Alu, Fitting und insbesondere die Maggi. Dass der Standort der Maggi in Singen vor rund 20 Jahren aber an einem seidenen Faden hing, daran erinnerte die Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) in einer Publikumsdiskussion. Denn eine Tarifverhandlung lief ganz anders als gedacht und zwischenzeitig waren die Jobs von 900 Menschen in Gefahr.

„Die Tarifrunde begann, wie Tarifverhandlungen eben beginnen“, erinnert sich Freddy Gruber, damaliger stellvertretender Betriebsratsvorsitzender. Die Gewerkschaft kündigte im Mai 2004 den Tarifvertrag und forderte eine Lohnerhöhung von vier Prozent. Die Muttergesellschaft der Maggi, der Nestlé-Konzern, schrieb solide schwarze Zahlen und die Produktivität des Standorts Singen war sehr hoch.

Man ging vom üblichen Verlauf solcher Tarifverhandlungen aus, an deren Ende man sich in der Mitte zwischen den Vorstellungen der Arbeitgeber und der Gewerkschaft einigt, so Gruber.

Sie erinnerten an einen geschichtsträchtigen Sommer (von links): Freddy Gruber, Klaus Mühlherr, Jürgen Hinzer, Franz Segbers und ...
Sie erinnerten an einen geschichtsträchtigen Sommer (von links): Freddy Gruber, Klaus Mühlherr, Jürgen Hinzer, Franz Segbers und Burkhard Siebert. | Bild: Hubertus Bippus

Mehr Arbeit oder Produktionsverlagerung

Im Juni hätten damals die ersten Gespräche ohne Einigung stattgefunden. Im Juli verlangte der damalige Maggi-Arbeitsdirektor Friedrich Schmidt gar Personalkosteneinsparung in Singen in Höhe von 3,2 Millionen Euro, eine Nullrunde bei den Löhnen sowie eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit ohne Lohnausgleich von 37 auf 38 Stunden. Andernfalls, so drohte Schmidt, werde die Produktion an andere, deutlich billigere Werke in Europa verlegt.

Damit war der Standort der Maggi in Singen, wo seit 1887 Suppenwürfel und Würze produziert werden, tatsächlich in Gefahr. Dennoch, so Ralf Sterk als damaliger Vorsitzender des Betriebsrats, hätten die Medien und die Öffentlichkeit zunächst nicht so richtig Notiz von diesem drastischen Szenario genommen.

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99,5 Prozent entschieden sich für einen Streik

Als in einer dritten Verhandlungsrunde im September die Geschäftsleitung lediglich ihr Ultimatum wiederholte, erklärte die Gewerkschaft die Verhandlungen für gescheitert. Bei der folgenden Urabstimmung sprachen sich 99,5 Prozent der gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten für einen Streik zum Erhalt ihrer Arbeitsplätze aus – und der Streik begann an einem Freitag im September 2004 pünktlich um 4 Uhr morgens.

„Da damals 80 Prozent der Mitarbeiter gewerkschaftlich organisiert waren, hatten wir natürlich einen breiten Rückhalt in der Belegschaft“, erinnert sich Freddy Gruber.

Das Maggi-Werk in Singen am Hohentwiel produziert neben der bekannten Würze beispielsweise auch Ravioli am Standort zwischen Süd- und ...
Das Maggi-Werk in Singen am Hohentwiel produziert neben der bekannten Würze beispielsweise auch Ravioli am Standort zwischen Süd- und Innenstadt. | Bild: Biehler, Matthias

Er hat neben dem früheren Betriebsseelsorger Franz Segbers und dem in der damaligen Auseinandersetzung keine unwesentliche Rolle spielenden Jürgen Hinzer an der Podiumsdiskussion teilgenommen. Moderiert wurde die Diskussion von Burkhard Siebert, Geschäftsführer der NGG für die Region Schwarzwald-Hochrhein.

Es ging um die Jobs von 900 Menschen

Dennoch war der nervliche Druck auf Sterk und Gruber, die beide noch sehr frisch in ihren Ämtern waren, sehr hoch. „Das Bewusstsein, dass 900 Kolleginnen und Kollegen mit ihren Familien auf der Straße stehen, wenn der Konzern seine Drohung wahrmacht, hat uns manch unruhige Nacht beschert“, so Sterk – und das faktisch wegen der Frage um eine Arbeitsstunde mehr oder weniger in der Woche. Dennoch seien sie auch überzeugt gewesen, dass es ein Dammbruch für alle anderen Werke von Nestlé gewesen wäre, hätten sie in dieser Frage nachgegeben.

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Zur Unterstützung musste Jürgen Hinzer, damals Vorsitzender der NGG Rhein-Main und durch über 160 Arbeitskämpfe erprobt, nach Singen reisen. Mit seiner charismatischen Rede sei es gelungen, den Zusammenhalt der Beschäftigten zu beschwören. Am Hauser-Brunnen kam es zu einer Diskussion zwischen den Konfliktparteien. Und Kontakte zu den Medien wurden genutzt, um die Öffentlichkeit zu mobilisieren.

Franz Segbers (von links) auf dem Podium mit Freddy Gruber, Burkhard Sieber und Jürgen Hinzer.
Franz Segbers (von links) auf dem Podium mit Freddy Gruber, Burkhard Sieber und Jürgen Hinzer. | Bild: Hubertus Bippus

Der Druck der Öffentlichkeit und die Entschlossenheit der Beschäftigten hätten nach einem neuntägigen Streik schließlich zu einem Einlenken der Konzernleitung geführt. Die Wochenarbeitszeit blieb bei 38 Stunden, die Löhne wurden um zwei Prozent erhöht. Minimale Zugeständnisse mussten die Mitarbeiter bei der Jahressonderzahlung sowie der Länge der bezahlten Schichtpausen hinnehmen. Die Maggi in Singen blieb erhalten.