Wo normalerweise zahlreiche Menschen auf den Zug warten, war am Mittwoch niemand zu sehen. Lediglich zwei Züge stehen im Bahnhof Singen – verlassen. Denn der entgleiste Güterzug vom Dienstagnachmittag hat auch am Tag danach noch Folgen: Der Bahnverkehr ist weiter unterbrochen, da eine Oberleitung beschädigt wurde.
Wann der Zugverkehr wieder läuft, ist die drängendste Frage derzeit – und die Antwort ist ernüchternd. Laut einer Bahnsprecherin dauern die Arbeiten „bis auf Weiteres“ an. Der DB-Streckenagent wird konkreter: „Die Störung dauert voraussichtlich bis Montag, 9. Juni, zum Betriebsstart an.“ Ab dem frühen Mittwochabend können laut der Sprecherin einzelne Züge wieder fahren, was den Ersatzverkehr entlasten soll. Neu ist eine Regionalbahn im Stundentakt zwischen Tuttlingen und Singen, um die Anbindung gen Stuttgart zu verbessern. Die Sprecherin empfiehlt, allen Pendlern, vor der Fahrt die Verbindung zu prüfen und mehr Zeit einzuplanen.
Wie viele Reisende und Pendler betroffen sind, sei nicht bekannt. Da der Bahnhof Singen aber ein Drehkreuz im Süden Deutschlands ist, sind es sicher hunderte.

Welche Verbindungen wie betroffen sind
Die Bahnsprecherin verweist auf SÜDKURIER-Anfrage auf die App sowie die aktuellen Informationen auf der Internetseite. Dort steht, welche Verbindungen betroffen sind, etwa die lokalen Verbindungen Seehas und Rhyhas, sowie die Fernzüge von Gäubahn und Schwarzwaldbahn. Dort steht auch, wo es Ersatz gibt – und wo nicht.
Bei der Schwarzwaldbahn zwischen Konstanz und Karlsruhe kommt es beispielsweise zu einem Teilausfall zwischen Konstanz und Radolfzell, erst ab Engen fahren die Züge weiter nach Karlsruhe.

Seehas mit Einschränkungen, Rhyhas mit Verbesserung
Beim Seehas gibt es einen Ersatzverkehr zwischen Radolfzell und Engen, laut Daniel König verkehren dort zwei Busse. Er ist Pressesprecher der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), Abteilung Deutschland, und meldet eine Verbesserung für den Rhyhas zwischen Singen und Schaffhausen: Wo am Dienstag noch Ersatzbusse zwischen Singen und Thayngen nötig waren, konnte ein Teil der Strecke inzwischen freigegeben werden. Busse seien noch zwischen Singen und Gottmadingen nötig – und da nur ein Bus pendelt, müssen Fahrgäste mit Wartezeiten und Verzögerungen rechnen.
Die SBB könne nur versuchen, die Auswirkungen möglichst gering zu halten, bei allem anderen sei die DB gefragt. Doch diese werden erstmal massiv bleiben: „Die Störung wird voraussichtlich bis Montag bestehen bleiben“, so König.
Kapazitätsprobleme vor Seefestival und Pfingsten
Die Bahn habe den Vorschlag der SBB, die Züge von Konstanz bis Singen-Industriegebiet sowie von Singen-Landesgartenschau gen Engen verkehren zu lassen, abgelehnt. „Wir wären froh, wenn es auf einem der Abschnitte geklappt hätte“, so König. Nun müsse man weiter auf Ersatzverkehr mit Bussen setzen – und die seien derzeit schwer zu bekommen. Das liege an Personalmangel in der Branche, aber auch der touristischen Phase. „Wir sind froh, dass wir überhaupt Busse bekommen haben.“ Die SBB versuche weiterhin, mehr Busse aufzutreiben.
König spricht von einem Kapazitätsproblem: Züge sind nicht nur schneller als Busse, sondern können auch viel mehr Fahrgäste aufnehmen. Das ist gerade dieser Tage entscheidend: Am Wochenende ist Seefestival in Radolfzell, zu dem tausende Besucher erwartet werden, außerdem starten die Pfingstferien, zu denen traditionell zahlreiche Touristen an den Bodensee strömen – normalerweise auch mit Zügen.
„Oberleitung ist massiv beschädigt“
Tatsächlich scheint der Schaden an der Oberleitung, den der entgleiste Zug angerichtet hat, gravierender als bisher vermutet. Am Mittwochabend erklärt die Bahn: „Bei der Rangierentgleisung wurden die Oberleitung, Weichen und 60 Schwellen massiv beschädigt.“
Am Mittwoch sind mehrere Bahnmitarbeiter dabei, die Schäden zu beheben. Die meisten Waggons des entgleisten Zuges sind bereits abtransportiert worden, weitere stehen noch immer auf den Gleisen. Laut SÜDKURIER-Informationen habe das Technische Hilfswerk in der Nacht auf Mittwoch damit begonnen, den entgleisten Zug wieder zurück auf die Schienen zu hieven.
Arbeiten und Ermittlungen dauern laut der Bahnsprecherin an. Dies bestätigt auch Bettina Stahl, Pressesprecherin der Bundespolizeiinspektion Konstanz. „Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis wir den Ablauf des Unfalls rekonstruieren können.“
In erstes Linie gehe es jetzt darum, herauszufinden, ob ein technischer Defekt oder menschliches Versagen den Unfall verursacht habe – denn beides sei zum jetzigen Zeitpunkt nicht auszuschließen. Sollte sich hierbei ergeben, dass der Unfallgrund eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit gewesen sei, gehe der Fall an die Staatsanwaltschaft.
Bereits am Dienstagabend erklärte Stahl, was passiert ist: Ein Güterzug ist gegen 16 Uhr offenbar bei einer Rangierfahrt entgleist und hat dabei einen Strommast beschädigt. Deshalb sei im gesamten Bahnhof der Strom abgestellt worden. Wie Stahl gegen 19 Uhr erklärt, sei offenbar bei einem Gleiswechsel etwas schief gelaufen. Was der Zug geladen hat, war zu diesem Zeitpunkt unklar, allerdings handle es sich nicht um Gefahrgut.
Am Mittwoch gibt es dazu weitere Details: Laut Bettina Stahl seien die Wagons zum größten Teil leer gewesen, in einigen sei Metallschrott transportiert worden.
Von Tuttlingen ging es in der Nacht nicht weiter
Harsch fällt die Kritik von SÜDKURIER-Leser Hanno Langweg am Stillstand auf den Gleisen aus. Er berichtet von chaotischen Zuständen im Schienenersatzverkehr – etwa von Ersatzbussen, die nicht kamen oder so überfüllt waren, dass niemand mehr mitkonnte.
Oder von Taxigutscheinen, die von Bahn-Mitarbeitern ausgegeben und dann von Taxifahrern nicht angenommen wurden. „Wir brauchten fünf Taxen. In eineinhalb Stunden sind drei Taxen gefahren“, schreibt er dem SÜDKURIER in der Dienstagnacht um 0.38 Uhr. Die Bahnsprecherin erklärt, angesprochen auf Fälle wie diesen, dass betroffene Fahrgäste über die Fahrgastrechte Erstattungen erhalten können. Sie bitte im Namen des Unternehmens, die Unannehmlichkeiten zu entschuldigen.