Nicola Westphal

„Man kann sich das fast gar nicht vorstellen. Das Bild, das sich uns bot, es war fast wie in Syrien, nur dass die Raketen und die schweren Waffen fehlten. Denn diesmal hatte nicht ein Krieg, sondern eine Naturgewalt gewütet, aber die Opfer sind Menschen, deren Existenz zerstört wurde. Viele von ihnen stehen jetzt vor dem Nichts.“. Das erzählt Barakat Oubaid sichtlich bewegt. Der 34jährige Mann wirkt erschöpft, gerade kommt er aus Ahrweiler, wo er 24 Tage lang ohne Pause als ehrenamtlicher Helfer für die Opfer der Flutkatastrophe im Einsatz war.

Jetzt war es Zeit, seine Familie zu sehen, vor allem seine einjährige Tochter. Zum Interview mit dem SÜDDKURIER erscheint er gemeinsam mit seinem 29-jährigen Cousin Maher Obaid. Beiden Männern sind die Trauer und die Strapazen über das, was sie als Helfer erlebt haben, ins Gesicht geschrieben. „Was wir vor Ort erlebten, hat uns tief bewegt, im Herzen berührt“, so Maher Obaid: „Menschen, die hilflos waren, gerade Ältere, die ohne Familie sind, sich nicht zu helfen wussten. Viele haben geweint.“

Der Gruppe „Syrische Freiwillige in Deutschland“ sind inzwischen fast 4000 Mitglieder beigetreten

Im Juli, als die Überschwemmungen ganze Straßenzüge in NRW und Rheinland-Pfalz vernichteten, war den beiden jungen Männern sofort klar: Wir müssen helfen. Bereits am Tag zwei der Katastrophe traf Barakat mit einem syrischen Freund, Anas Alakkad, in Sinzig ein, einem Ort im Kreis Ahrweiler. Maher Obaid kam später dazu, machte mehrere Einsätze mit, zog allerdings hauptsächlich im Hintergrund die Fäden und akquirierte weitere Helfer. Barakat und Maher, aus der syrischen Stadt Deir Alzor stammend und Ende 2012 wegen des Krieges nach Deutschland geflohen, wussten, was zu tun ist. „In Syrien hatten wir oft mit bloßen Händen nach Verschütteten gegraben und mit Schaufeln Schutt und Steine beseitigt.“, berichten sie.

Barakat Oubaid und Anas Alakkad gründeten zudem auf Facebook die Gruppe „Syrische Freiwillige in Deutschland“, um weitere Landsleute als Helfer zu mobilisieren. Mittlerweile sind fast 4000 Mitglieder der Gruppe beigetreten, mehr als 200 von ihnen haben in den Hochwassergebieten – unter anderem auch im nordrhein-westfälischen Hagen beim Wiederaufbau geholfen. „Wir haben Keller freigeschaufelt und von Schlamm und Schlick befreit, sogar die Keller, in denen Heizöl und gesundheitsgefährdende Stoffe ausgelaufen sind, bei denen die Feuerwehr sagte, es sei zu gefährlich sie zu betreten“, erzählen die in Singen lebenden Männer. „Aber wie sollten die Menschen in Häusern leben, in denen das Wasser bis zum Erdgeschoss steht? Also haben wir Masken aufgesetzt, und los ging‘s mit der Arbeit.“

Barakat Oubaid (l.) und sein Cousin Maher Oubaid bei Ihrem Einsatz in Sinzig. Bereits am Tag zwei der Katastrophe traf Barakat mit einem ...
Barakat Oubaid (l.) und sein Cousin Maher Oubaid bei Ihrem Einsatz in Sinzig. Bereits am Tag zwei der Katastrophe traf Barakat mit einem Freund hier ein. | Bild: Feras Abdulrahman

Weltweit wurde über die Tätigkeit der Syrer in den Medien berichtet. Über die Nachrichtenagentur Reuters gab es Reportagen, die unter anderem in der britischen Zeitung The Telegraph oder in den Nachrichten des arabischen Senders Al Jazeera erschienen. Die Singener koordinierten die Hilfe vor Ort und erzählen, dass es manchmal schon ausreichte, durch den Ort zu gehen und zu schauen, wer in welcher Form Unterstützung benötigt. Dabei setzten sie auf kurze Wege, trommelten kurzerhand Syrer aus ihrem Netzwerk zusammen, arbeiteten dann Hand in Hand – oft auch gemeinsam mit Feuerwehr, Bundeswehr und Polizei. Immer wieder fungierten sie dann auch als Übersetzer.

Barakat hatte an der Uni Damaskus Islam-Wissenschaften studiert und war Gasthörer an der Uni Tübingen. Mittlerweile bereitet er sich online auf ein Studium an der Uni Heidelberg vor. Maher, der in seiner Heimat Tiermedizin studierte, hat derweil im Konstanzer Sea-Life eine Ausbildung als Tierpfleger absolviert. Beide leben seit dem Jahr 2012 in Deutschland und sprechen sehr gut Deutsch.

Menschen am Straßenrand spendeten Beifall

Neben den vielen tragischen Momenten haben die beiden Männer auch sehr viel Schönes erlebt. Die Dankbarkeit der Menschen sei grenzenlos, erzählen sie. Bei einem Gottesdienst, der für die Opfer der Katastrophe abgehalten wurde, hatte der Bürgermeister von Sinzig allen Helfern gedankt. „Als wir die Kirche verließen, standen Menschen am Straßenrand und spendeten uns Beifall“, erinnert sich Barakat.

Die beiden werden sich wieder Richtung Ahrweiler aufmachen. Gefragt nach ihrer Motivation für den ehrenamtlichen Einsatz antworten die Männer einstimmig: „Als wir damals vor dem Krieg aus Syrien fliehen mussten, wurden wir in Deutschland aufgenommen. Daher ist es für uns eine Herzensangelegenheit, dass wir nun Deutschen helfen. Wir möchten damit nicht nur unsere Dankbarkeit ausdrücken, sondern auch einen Beitrag zur Integration leisten.“