Das Bäckerehepaar Siebrecht lebte für seine Betrieb und seine Kunden. „Sieben Tage die Woche“, sagt Gabi Siebrecht. Die Bäckerei im Ortskern ist für viele Steißlinger eine Institution. Seit 56 Jahren gibt es sie. Sie wurde von den Eltern von Gabriele Siebrecht, Margarethe und Hugo Reifenschweiler, 1965 gegründet. Zum Samstag schließt der Betrieb. Das Hauptgeschäft in der Schulstraße wird nach einer Umbauphase im Juli von der Bäckerei Künz aus Singen als Filiale weitergeführt. Die Siebrechts gehen in den Ruhestand, eine Betriebsnachfolge war nicht gegeben.
Seit 1977 im Betrieb
Im August 1988 übernahmen Gabriele und Herbert Siebrecht den Handwerksbetrieb und haben immer Wert darauf gelegt, dass das Bäckerhandwerk gepflegt und alles selbst hergestellt wird. Acht Jahre später kam die Filiale in der Singener Straße dazu. Gabriele Siebrecht begann 1977 ihre Ausbildung im elterlichen Betrieb. Ihr Mann Herbert schulte ihr zuliebe mit 27 Jahren um: vom KfZ-Elektriker zum Bäcker. Die Ausbildung machte er bei der Bäckerei Künz in Singen und legte bei der Handwerkskammer in Konstanz die Meisterprüfung ab. Philipp Künz, der Sohn von Günter Künz, lernte wiederum bei den Siebrechts. Er hat die Bäckerei Künz 2020 von seinem Vater übernommen und übernimmt nun die Bäckerei in Steißlingen. „So schließt sich der Kreis“, sagt Gabi Siebrecht. Es sei ihnen wichtig gewesen, dass ein Betrieb nach Steißlingen komme, der seine Back- und Konditoreiwaren handwerklich selbst herstellt und so die Nahversorgung in der Ortsmitte auch in Zukunft sichere, so die Bäckersfrau.
Geschäft kommt vor dem Privatleben
Es sei für sie immer klar gewesen, dass das Geschäft vor der Familie komme. Bäcker zu sein, dass bedeutete für Herbert Siebrecht jeden Tag um ein Uhr nachts oder noch früher aufzustehen und in die Backstube zu gehen. Dementsprechend war immer frühes Zubettgehen angesagt und ein unterbrochener Schlaf gehörte zu seinem Leben. Die Siebrechts waren immer für ihre Kunden da: „Wir haben eigentlich nie richtig Urlaub gemacht und hatten höchstens mal ein verlängertes Wochenende.“ Erst in den letzten drei, vier Jahren machten sie Betriebsferien. Gabi Siebrecht wusste von ihren Eltern, was auf sie in der Bäckerei zukommt: „An Weihnachten sind meine Eltern um 20 Uhr ins Bett gegangen, weil sie müde waren.“ Sie freut sich im Ruhestand, Zeit für die kleinen Dinge des Lebens zu haben, die für viele selbstverständlich sind: „Morgens gemeinsam zu frühstücken oder am Morgen früh an den Steißlinger See zum Schwimmen zu gehen, Freunde zu treffen und abends auch mal länger sitzen bleiben zu können oder mal ein Konzert zu besuchen“, zählt sie auf.
Bürokratie hat zugenommen
In ihrem 44-jährigen Berufsleben in der Bäckerei habe sich viel verändert. Vor allem die Bürokratie habe zugenommen und damit die Zeit, die die Siebrechts im Büro verbracht haben. „Das fängt bei der Kassenabrechnung an und hört mit der Dokumentation der Hygiene auf“, nennt Siebrecht zwei Beispiele. Auch das Angebot in der Bäckerei habe sich verändert: Das Sortiment ist den Kundenwünschen entsprechend immer größer geworden und auf fast jeden Wunsch wurde eingegangen. „Als ich angefangen habe, war es etwas Besonderes, wenn man Butterbrezeln angeboten hat, heute ist eine Vielzahl von Snacks selbstverständlich“, berichtet Gabi Siebrecht. Früher wurden nur samstags Brezeln gebacken und als ihr Vater jeden Tag Brezeln buk, sei das eine kleine Sensation gewesen.
Bäckerhandwerk pflegen
Wichtig war den Siebrechts immer, alle Produkte selbst herzustellen und Backwaren passend zur Saison anzubieten. „Erdbeerkuchen gab es nur, wenn bei uns Erdbeersaison war“, so Siebrecht. Den Festen im Jahreslauf entsprechend gab es Osterlämmle, Kloosemaane oder Neujahrsringe. Kinder des Kindergartens oder der Schule durften in die Backstube schauen und die Bäckerei war bei der Gewerbeausstellung oder beim Weihnachtsmarkt dabei. Die Bäckerei auch am Sonntag zu öffnen, sei unumgänglich gewesen. „Wir konnten dadurch neue Kunden gewinnen, die unter der Woche außerhalb von Steißlingen arbeiten und einkaufen“, berichtet die Inhaberin.
Junge Leute wollen mehr Freizeit
Über die Jahre sei es immer schwieriger geworden, Mitarbeiter zu finden. „Bei den jungen Leuten kommt die Familie und Freunde an erster Stelle und an zweiter das Geschäft“, hat sie beobachtet. Auch das frühe Aufstehen halte viele davon ab, ins Bäckerhandwerk einzusteigen. „Dabei ist es ein schöner Beruf. Man sieht, was man geschafft hat, es riecht fein in der Backstube und man hat nach der Lehre viele Möglichkeiten“, beschreibt Siebrecht. 20 Lehrlinge wurden in der Bäckerei ausgebildet, zehn Mitarbeiter, viele davon seit vielen Jahren, arbeiten im Betrieb. Sie werden, wenn sie wollen, alle von der Bäckerei Künz übernommen.
Familien über Generationen begleitet
Gabi Siebrecht hat viele Kunden über Jahrzehnte und Generationen immer herzlich und hilfsbereit bedient: Manche Familien habe sie von der Oma bis zum Urenkel begleitet. Deshalb sei bei diesem Abschied auch Wehmut dabei. Sie überlegt aber, nach einer Pause wieder stundenweise in der Bäckerei mitzuarbeiten. Ihr Dank gilt den treuen Kunden, die ihnen großes Vertrauen und Wertschätzung entgegengebracht hätten. „Das ist das Wichtigste!“, sagt sie.