In Stockach herrscht in doppelter Hinsicht eine Ausnahmesituation. Direkt am Freitagmorgen begann die Vollsperrung der Radolfzeller Straße für die Vorarbeiten der Asphaltierung der Deckschicht mit einem Hightech-Belag. Die Heinrich-Fahr-Straße blieb bis zum Mittag noch halbseitig offen. Stockach ist hier Teil eines Pilotprojekts des Regierungspräsidiums Freiburg und der Strabag AG. Die Vollsperrung, die noch bis Sonntag dauert, hatte aber zur Folge, dass es vor allem in den Stoßzeiten Staus auf den Umleitungsstrecken in der Stadt gab.

Diplom Ingenieur Martin Muschalla (rechts) erklärt Bürgermeister Rainer Stolz alles über den Clean Air-Asphalt und wie das Asphaltieren ...
Diplom Ingenieur Martin Muschalla (rechts) erklärt Bürgermeister Rainer Stolz alles über den Clean Air-Asphalt und wie das Asphaltieren funktioniert. Im Hintergrund liefert ein Lastwagen den Asphalt an den Beschicker. Der Laster muss rückwärts heranfahren. | Bild: Löffler, Ramona

Stockach ist nach Stuttgart die zweite Stadt in Baden-Württemberg, in der dieser schadstoffmindernde Clair-Asphalt zum Einsatz kommt. Clair ist die Abkürzung für Clean Air (saubere Luft). Diese Deckschicht mit einem neu entwickelten, grauen Abstreumaterial soll dazu beitragen, die Luftbelastung durch Stickoxide zu verringern und den Lärm zu mindern.

Hier wird das spezielle Granulat auf den heißen Asphalt getreut.
Hier wird das spezielle Granulat auf den heißen Asphalt getreut. | Bild: Löffler, Ramona

„Der Belag ist Ergebnis von 3,5 Jahren Forschungsarbeit“, erklärte Diplom-Ingenieur Martin Muschalla am Freitag auf der Baustelle. Zunächst komme normaler Asphalt über den Fertiger auf die Straße und eine speziell entwickelte Vorrichtung an der Straßenbaumaschine lässt das Granulat auf die heiße Fläche rieseln.

Der Stau in Stockach wegen der Vollsperrung der B313 aus der Luft. von oben durch die Industriestraße staut es sich zur Einmündung ...
Der Stau in Stockach wegen der Vollsperrung der B313 aus der Luft. von oben durch die Industriestraße staut es sich zur Einmündung Goethestraße. Rechts am Bildrand kommt der Stau aus der Nellenburgstraße und verläuft über den Schiesser-Knoten zur Goethestraße hin. Das Foto entstand am Freitag, 13. September. | Bild: Gerhard Plessing

Muschalla nannte dies eine Veredelung mit dem Streumaterial. Eine Walze verfestigt dann alles wie bei einer ganz normalen Deckschicht.

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Es gebe nur zwei Unterschiede, wie Muschalla auf SÜDKURIER-Nachfrage erläuterte: Es werde bei diesem Verfahren weniger Wasser gebraucht, was gut für die Qualität der Deckschicht sei. Außerdem heize der Belag bei hohen Temperaturen nicht so stark auf, denn das graue Granulat mache die Straße heller – eine schwarze Straße erhitze sich mehr.

Was es mit dem Material auf sich hat

Das photokatalytische Streumaterial hat eine Körnung von einem bis drei Millimeter. Laut einer Pressemitteilung des Regierungspräsidiums Freiburg (RP) enthält es Titandioxid, das giftige Stickoxide abbaut und diese in unschädliche Stoffe umwandelt: „So soll der neue Fahrbahnbelag einen Beitrag zur Minderung der Stickstoffdioxidbelastung der Luft leisten.“ Die Strabag AG und ihre Verbundpartner vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) haben den neuartigen Asphalt im Projekt Nachhaltiger Hightech-Asphalt (Nahitas) entwickelt.

Ein Fertiger (hinten) bringt Asphalt und das spezielle Abtreumaterial, das zur Reinheit der Luft beiträgt und den Lärm reduziert, auf. ...
Ein Fertiger (hinten) bringt Asphalt und das spezielle Abtreumaterial, das zur Reinheit der Luft beiträgt und den Lärm reduziert, auf. Vorne links ist die Walze zu sehen, die den Belag verdichtet. | Bild: Löffler, Ramona

In der Radolfzeller Straße kommt dieses Material auf einer Länge von etwa 400 Metern auf die Fahrbahn. In der Heinrich-Fahr-Straße sind es 300 Meter, erklärte Yvonne Guduscheit, Leiterin der Neubauleitung Singen des RP. Es werden laut der Pressemitteilung elf Tonnen des Abstreumaterials auf 8200 Quadratmetern verwendet.

Warum Stockach ausgewählt wurde

Stockach wurde Teil des Pilotprojekts, da Pilotstrecken gesucht worden seien, erklärte Yvonne Guduscheit. Das Land wolle modernen Straßenbau betreiben. Als nach möglichen Straßen mit bestimmten Kriterien angefragt worden sei, „haben wir uns gemeldet und sind ausgewählt worden“, sagte sie. Es seien Abschnitte gefragt gewesen, bei denen zum Beispiel zeitnah eine Sanierung anstand, eine Ortsdurchfahrt ist und wo viel Verkehr herrscht.

Muschalla lobte, dass das RP als innovativer Auftraggeber für solche Projekte offen sei. Der Belag bedeute zwar Mehrkosten, doch „das tragen wir gerne, wenn die Anwohner entlastet werden“, so Yvonne Guduscheit.

Künftig weniger Lärm

Bürgermeister Rainer Stolz freut sich, dass Stockach beim Pilotprojekt dabei ist. Bei der Baustellenbegehung erkundigte er sich, wie lange dieser Belag nun hält. „Solange die Asphaltschicht hier ist“, sagte Muschalla. Zur Lärmminderung des Belags erläuterte der Ingenieur, dass in Stuttgart am Neckartor der Lärmpegel so verringert worden sei, dass der umgerechnete Dezibel-Wert sich so auswirke, als ob dort 20 bis 35 Prozent weniger Verkehrsaufkommen wäre. „Die Anwohner werden es direkt spüren“, sagte er. Es soll hier später auch eine Lärmmessung geben.

Massenweise Fahrzeuge rollen zum Beispiel hier in der Straße Stadtwall, die seit Freitagmorgen Umleitungsstrecke ist. Immer wieder ...
Massenweise Fahrzeuge rollen zum Beispiel hier in der Straße Stadtwall, die seit Freitagmorgen Umleitungsstrecke ist. Immer wieder stockt und staut sich der Verkehr. | Bild: Löffler, Ramona

Lange Staus in der Stadt

Bei den Verkehrsteilnehmern herrscht momentan aber Frust statt Freude: Der Freitagmorgen begann noch relativ entspannt. Im Berufsverkehr stockte es erst, dann lief es weitgehend flüssig, wobei eine Zeit lang ein Auto im Halteverbot in der Industriestraße als zusätzliches Hindernis dazu kam.

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Ab der Mittagszeit gab es zunehmend mehr Rückstaus oder größere Staus auf allen Umleitungsstrecken. Dies lag an verschiedenen Faktoren, wie Stoßzeiten, geschlossene Bahnschranken, Verkehr aus mehreren Richtungen im Kreisel oder weil Fahrzeuge nach links abbiegen wollten, aber Gegenverkehr kam.

Warum die Vollsperrung wichtig ist

Obwohl die Vollsperrung die Verkehrsteilnehmer viele Nerven und Zeit kostet, spart sie letztere beim Straßenbau. Muschalla erläuterte, dass bei einer Vollsperrung alles schneller gemacht werden könne und die Qualität des Straßenbelags besser werde. Bei halbseitigen Sperrungen dauere alles durch Umlegungen an den Baustellen und bei den Umleitungen länger.