Auch eine etablierte Führung kann Premieren mit sich bringen. So bekamen die Teilnehmer der Tour durch historische Keller der Stockacher Oberstadt von Historiker Thomas Warndorf nicht nur noch zusätzlich einen Einblick in die Geschichte der Stockacher Wirtshäuser, sondern waren auch die ersten, die Sekt im Keller des Narrengerichts trinken durften.
Der erste von drei Kellern in der Führung war unter einem Haus am Marktplatz. Dort war einst eine von elf Brauereien und zum Hägerweg hin ist die historische, mittelalterliche Stockacher Stadtmauer die Außenwand. Diese zeigt ein Stadtwappen aus dem Jahr 1615. „Damals wären wir hier im 15 Meter Tiefen Stadtgraben gestanden“, erzählte Warndorf bei der Besichtigung der Mauer im Garten.

Mehreren Ebenen unter der Erde
Der Keller dieses Brau- und Gasthauses besitzt zwei Ebenen. Brauereikeller seien immer mehrstöckig gewesen, um die unterschiedlichen Temperaturen für die Lagerung zu nutzen: Je tiefer, desto kühler. Warndorf erzählte anhand von Beispielen von typischen Dingen, wie Haken an der Decke, um Lebensmittel vor Mäusen zu schützen, oder Nischen für Laternen in den Wänden, um Brandgefahr zu vermeiden, da früher Stroh auf dem Boden lag.

Er zeigte an den Wänden verschiedene Bauepochen und erklärte wie Fensterkamine die Feuchtigkeit aus dem Keller hielten, weil warme Luft aufstieg. Früher seien manche Keller verbunden gewesen, doch nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Franzosen die Durchgänge verschließen lassen, erzählte Warndorf. Die Geschichte, dass alle Keller miteinander verbunden seien, stimme aber nicht.
Stockach als wichtige Verkehrsverbindung
Der Experte für die Stadtgeschichte gab auch einen kleinen Abriss über die Entwicklung von Stockach. Die Stadt, die im Mittelalter und der Neuzeit, nur die heutige Oberstadt umfasste, sei ein wichtiger, internationaler Verkehrsknotenpunkt gewesen.
Vor Jahrhunderten mussten alle über die Kirchhalde durch das dortige Stadttor in die Hauptstraße und durch das andere Stadttor hinaus, wo heute Papierfritz und Bäckerei Binder sind. Rundherum existierten keine Straßen.
Außerdem erzählte er auf dem Weg vom Marktplatz zum Alten Forstamt von den verschiedenen Wirtschaften, die es früher in der Hauptstraße gab. Dabei erzählte er auch die Geschichte vom Adler-Wirt, der zugleich Posthalter war, und mit dem benachbarten Kronen-Wirt im Streit lag. Da sei in alten Ratprotokollen nachzulesen, so Warndorf.
Straßenniveau war früher tiefer
Der Keller des Kulturzentrums Altes Forstamt war das zweite Ziel des Ausflugs in die Stockacher Unterwelt. Warndorf erklärte zunächst außen, dass die Straße früher viel niedriger gewesen sei. Eines der Kellerfenster zur Hauptstraße hin, sei ursprünglich kein Fenster, sondern eine Tür gewesen. „Das Straßenniveau ist heute zwei Meter höher als im Jahr 1900.“

Das heutige Kulturzentrum war in seiner Entstehungszeit das nellenburgische Amtshaus und später das vorderösterreiche Kameralamt, als Stockach zu Vorderösterreich gehört. „Das ist das, was heute das Finanzamt ist“, erklärte Warndorf.

Die Kellerräume zeigen ursprüngliches Gemäuer, typische Fensterkamine, aber auch nachträglich verstärkte Decken späterer Jahrhunderte sowie Luftschutzkeller-Mauern und Ziegelwände, die in den 1930ern eingezogen wurden. „Dieser Keller ist der einzige in Stockach, der bei einem Luftangriff ein einigermaßen verlässlicher Luftschutzkeller gewesen wäre“,so Warndorf.

Rätselhafte Wand im Forstamt
Es gibt dort zudem ein Rätsel, das noch niemand lösen konnte: Eine Kellerwand besteht eigentlich aus mehreren und ist so extrem dick. Eine Theorie sei, dass ein Teil davon vielleicht eine ältere, noch unentdeckten Stadtmauer sein könnte. Soetwas gebe es in anderen Städten. „Für einen Amtskeller wäre eine solche Mauer auf jeden Fall nicht notwendig gewesen“, sagte Warndorf.
Ein anderer Raum hat zudem eine Wand, von der vermutet wird, dass es einmal eine Außenwand war – es sei aber nicht klar, wohin diese gehört habe.

Brunnen und Tunnel ohne Ausgang
Außerdem hat dieser Keller noch zwei sehr ungewöhnliche Dinge: Einen Brunnen sowie einen Tunnel in eine Sackgasse. „Es gibt eine eingefasste Quelle im Fels, die inzwischen aber trocken und nicht mehr nutzbar ist“, so Warndorf.

Der schmale Tunnel befindet sich beim Kellerabgang in rund zwei Metern Höhe und mit einer Mini-Tür gesichert. Man könne nur kriechen und der Tunnel habe keinen Ausgang. Es sei nicht klar, warum er angelegt worden sei, erzählte Warndorf.
Ziegel nach Stockacher Maß
Er fasste auch kurz die Geschichte der Stockacher Ziegelherstellung zusammen. Wie andere Städte hatte Stockach ein eigenes Ziegelmaß. So konnte festgestellt werden, ob jemand Ziegel von außerhalb benutzt hatte: Falls ja, konnte es eine Strafe geben oder das Gebäude musste sogar abgerissen werden. „Die Stockacher Ziegel waren für ihre gute Qualität bekannt.“

Beweise für die Bauqualität
Der dritte und letzte Keller der Führung gehört dem Narrengericht und war ursprünglich ein Viehstall. Warndorf erzählte die Anekdote eines Wasserschadens im Nebenhaus, der vor ein paar Jahren alles unter Wasser gesetzt habe. Doch es sei abgesickert und dem Gemäuer habe das nichts ausgemacht. Ein moderner Keller hätte Schimmel entwickelt.
Dies sei einer von mehreren Beweisen für die hohe Bauqualität früherer Jahrhunderte. „Man hat etwas gebaut und dann stand das“, fasste Warndorf zusammen.

Alleinstellungsmerkmal
Die Keller der Stockacher Oberstadt sind viele Jahrhunderte alt. Als die Stadt 1704 brannte, wurden zwar die Häuser teilweise oder ganz zerstört – doch die Keller blieben unversehrt. Auf ihnen entstanden dann die heute bekannten Häuser. Thomas Warndorf macht seit 19 Jahren regelmäßig Führungen in Keller, deren Besitzer diese dafür öffnen. Diese Veranstaltungen seien eine Art Alleinstellungsmerkmal der Stadt. Die erste war im Jahr 2000, weil Stockach etwas bieten wollte, das andere Städte nicht haben. Im Lauf der Jahre haben sich die Keller geändert, in denen die Führung stattfinden darf. Warndorf erzählt auch von Kellern in der Hauptstraße, die sehr spannend seien, aber aus verschiedenen Gründen niemand hinein darf. (löf)