Sinkende Preise, ein mächtiger Einzelhandel und kaum Nachwuchs: Schon lange klagen Landwirte über ihre schwierige Situation. Doch in diesem Jahr kommen viele Faktoren zusammen, die tatsächlich das Aus für manche Obstbauern am Bodensee einleiten könnten. Das berichten zumindest zwei Erzeuger aus Bodman sowie Janina Bembenek, die für die genossenschaftliche Vertriebsgesellschaft Obst vom Bodensee (OvB) arbeitet, in der viele Landwirte organisiert sind.
„Im Biobereich sind die Kilopreise bei Äpfeln um 10 Cent gegenüber vergangenem Jahr gesunken. Im konventionellen Bereich geht er stellenweise ins Uferlose runter“, berichtet Bertram Ledergerber, Gesellschafter beim Bio-Betrieb Gut Bodman. Wenn man alle Produktionskosten abzieht, müssten viele Erzeuger aktuell daher draufzahlen. „Durchschnittlich sind die Erzeugerpreise national um acht Prozent gegenüber dem Vorjahr gesunken. Auf dem Markt herrscht ein Preiskampf. Bei vielen geht es gerade tatsächlich um die Existenz“, bestätigt Janina Bembenek.
Inflation und Apfelschwemme
Die Ursachen für die Lage sind vielfältig. Christoph Schmal, der in der Verwaltung beim Gut Bodman arbeitet, sagt: „Zwei dumme Sachen sind zusammengekommen.“ Auf der einen Seite seien durch die momentan hohe Inflation und den höheren Mindestlohn die Produktionskosten in kurzer Zeit extrem gestiegen. Zeitgleich werde der deutsche Markt mit Äpfeln überschwemmt, weshalb die Preise fallen, anstatt ebenfalls zu steigen. „Das bricht vielen jetzt das Genick“, sagt Schmal.
Die Gründe für die Apfelschwemme sind struktureller Natur, aber haben auch einen aktuellen Anlass. Grundsätzlich gebe es ohnehin eine Überproduktion an Äpfeln in Europa, sagt Ledergerber. Einerseits weil Plantagen von der EU subventioniert würden, andererseits weil selbst in schlechten Erntejahren die Grundversorgung gewährleistet sein müsse. Fällt die Ernte gut aus, wie im vergangenen Herbst, seien zu viele Äpfel auf dem Markt. Bereits fünf Prozent Überproduktion könnten die Preise um 50 Prozent einbrechen lassen, so Schmal.

Außerdem hat sich das Kaufverhalten wegen der Inflation geändert. Janina Bembenek berichtet, im Vergleich zum Vorjahr seien in Deutschland 14 Prozent weniger Äpfel gekauft worden. Gleichzeitig werden Lagerung und Kühlung wegen der hohen Energiekosten für die Erzeuger teurer. Die Folge: Die Landwirte bieten all ihre Äpfel sofort an, anstatt sie einzulagern. Die Preise sinken weiter, weil noch mehr Äpfel auf dem Markt sind.
Ausländische Billig-Produzenten drängen auf deutschen Markt
Hinzu kommen die Folgen des Kriegs in der Ukraine. „Wegen des Russland-Embargos drängen viele ausländischen Händler stattdessen auf den deutschen Markt“, sagt Janina Bembenek. Und ein fairer Wettbewerb sei mit denen nicht möglich. „Wenn wir mit Produzenten aus Griechenland oder Polen konkurrieren müssen, die einen Stundenlohn von 3,50 Euro zahlen und andere Vorgaben beim Pflanzenschutz haben, dann funktioniert das nicht“, sagt Bertram Ledergerber.
„Wenn man Anfang September bis jetzt anschaut, ist die Talsohle mit den niedrigsten Preisen zwar durchschritten. Doch gesamtbetrachtet ist die jetzige Saison für die Erzeuger katastrophal, da sie mit diesen Preisen nicht kostendeckend wirtschaften können“, ordnet Bembenek die Preise ein.
Erzeuger sind die größten Verlierer
Denn die Folgen der niedrigen Preise tragen in erster Linie die Bauern selbst. „Der Einzelhandel verliert kaum etwas, die haben feste Margen und nehmen ihr Stück vom Kuchen“, erklärt Christoph Schmal. Je nach Apfelsorte bräuchten die Erzeuger 65 bis 90 Cent pro Kilo, sagt Ledergerber. Dann würden am Ende ein oder zwei Cent Gewinn bleiben.
Einen Gewinn bräuchten die Obstbauern dringend. Denn, erklärt Ledergerber, „um einen Hektar Apfelbäume zu stellen, braucht es etwa 40.000 Euro Investition.“ Normalerweise würde man über den Zeitraum von 15 Jahren kontinuierlich den gesamten Bestand neu pflanzen. „Durch meine Tätigkeit in der Genossenschaft weiß ich aber, dass die Bestellungen für Pflanzmaterial und Bedarfsartikel wie zum Beispiel Hagelnetze derzeit stark einbrechen“, berichtet Ledergerber.
Die Folgen könnten am See dramatisch ausfallen. Denn wer zwei Jahre nichts erneuert, sei so gut wie raus aus dem Markt. Den Rückstand könne man nicht mehr aufholen. „Es wird keine schnellen Pleiten geben, sondern ein Sterben auf Raten“, prophezeit Schmal.
Um das zu verhindern, brauche es laut Ledergerber eine europaweite Angleichung der Standards und Löhne, wenn man Ware aus dem Ausland weiterhin frei konkurrieren lassen wolle. Zudem wünscht er sich weniger Verwaltungsaufwand, weil bisher fünf oder sechs verschiedene Stellen das Gleiche zertifizieren würden. Helfen könnten auch Zusammenschlüsse. Denn aktuell würden die großen Einzelhändler die vielen Erzeuger gegeneinander ausspielen, sich gegenseitig zu unterbieten, erklärt Ledergerber.
Janina Bembenek von der OvB fordert hingegen vor allem ein Umdenken der Verbraucher: „Der Konsument hat es in der Hand, was er kauft. Wenn wir herausragende regionale Produkte wollen, brauchen wir dafür auch eine höhere Wertschätzung und damit einhergehend faire Preise für Erzeuger. Wir müssen regionaler kaufen.“
Verschwinden die Obstbauern am Bodensee?
Bleibt alles beim Alten, würden den Schaden laut Bertram Ledergerber alle tragen: Produzenten, Politik – aber auch Verbraucher. „Es wird ein Höfesterben geben in Deutschland“, sagt er. Mittelfristig werde das Obst im Supermarkt ausschließlich aus Ländern mit geringeren Sozialstandards und billigeren Löhnen kommen.
Sein Kollege Christoph Schmal sagt: „Erst dann werden alle merken, dass das Obst aus dem Ausland meist nicht mit den sehr hohen inländischen Produktionsstandards mithalten kann. Die Politik wird aufwachen und in neue Anbaukapazitäten investieren.“ Das sei dann allerdings deutlich teurer, als jetzt die Standards anzugleichen. Und Ledergerber ergänzt: „Ein Scheunentor, das erst einmal zu ist, geht nicht mehr auf.“