Wohin soll der Weg für die Stadt Stockach in den kommenden ein bis zwei Jahrzehnten gehen? Das ist eine Frage, mit der sich Gemeinderat und Stadtverwaltung intensiv beschäftigen. Am Montagabend waren die Stockacher Bürger ganz direkt gefragt, denn im Rahmen eines Workshops in der Jahnhalle konnten sie Ziele für die zukünftige Entwicklung ihrer Stadt formulieren.
Diese Wünsche und Anregungen sollen in ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept einfließen, welches die Stadt gemeinsam mit der STEG Stadtentwicklung GmbH aus Stuttgart im Laufe des Jahres aufstellen will. Wie Stadtplaner Tilman Sperle von der STEG erklärte, soll das Konzept bis Oktober fertig sein. „Auch wenn das für eine Stadt von der Größe Stockachs ein sportliches Ziel ist“, sagte er.
Stadt will Fördermittel für Sanierungsgebiet
Doch wozu braucht es überhaupt ein solches Konzept und warum muss es so schnell fertig werden? Für das kommende Jahr will sich die Stadt Stockach beim Land um Fördermittel für ein neues Sanierungsgebiet bewerben: Oberstadt und Zoznegger Straße sollen in den folgenden Jahren eine Frischzellenkur erhalten. Wie Tilman Sperle erklärte, soll der Förderantrag für das neue Sanierungsgebiet noch in diesem Herbst gestellt werden.
Um sich für ein solches Sanierungsprogramm bewerben zu können, müssen Städte und Gemeinden allerdings ein Integriertes Stadtentwicklungskonzept vorlegen können, in dem festgelegt ist, wie sich die gesamte Stadt in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiterentwickeln möchte.
„Dieses Integrierte Stadtentwicklungskonzept soll die Handschrift der Bürgerinnen und Bürger tragen“, betonte Bürgermeister Rainer Stolz in seinem Eröffnungswort zum Bürgerworkshop. Dabei gehe es von sozialen über Verkehrsthemen bis hin zu planerischen Fragen.
Viele Plätze blieben an diesem Abend leer
Rund 50 Teilnehmer hatten in der Jahnhalle Platz genommen. Das waren offenbar weniger, als sich die Veranstalter Stadt und STEG gewünscht hätten, denn viele Stühle waren leer geblieben. Die Anwesenden beschäftigten sich jedoch rege und lieferten zahlreiche Anregungen.
Die Herausforderungen, denen sich die Stadt stellen muss, kommen nicht nur von innen, sondern auch von außen. So zählte Sperle etwa den Klimawandel, die wirtschaftliche Gesamtsituation und die Digitalisierung auf. Auch müsse sich die Stadt auf eine älter werdende Bevölkerung und einen größeren Flächenverbrauch einstellen. Laut Berechnungen des Statistischen Landesamts könnte dieser bis 2034 rund 10 Hektar betragen.
Bürger tauschen sich über sechs Hauptthemen aus
All diese Themen waren beim Bürgerworkshop zusammengefasst in die sechs Kategorien: Bauen, Wohnen und Innenentwicklung; Versorgung und soziale Infrastruktur; Energie, Umwelt und Klimaschutz; Mobilität und Verkehr; Freizeit, Kultur und Tourismus sowie Wirtschaft und Arbeit. Zu jedem Thema gab es eine eigene Pinnwand, an der die Teilnehmer Wünsche und Kritik auf grünen und roten Zetteln anheften konnten.
1. Mobilität und Verkehr: Mehr ÖPNV, weniger Autos
Eines der Themen, das sich auf fast allen Pinnwänden wiederfinden ließ, war das Thema Verkehr. So wurde bemängelt, dass der Öffentliche Personennahverkehr ausbaufähig sei. Das gelte insbesondere auch für die Wege in die anderen Kommunen der Verwaltungsgemeinschaft. Es kam der Vorschlag auf, die Oberstadt autofrei umzugestalten. Auch eine Geschwindigkeitsreduzierung in den Ortsdurchfahrten und mehr Fahrradstellplätze in der Stadt wurden gewünscht. Lob gab es hier etwa für die App Pendla, die das Bilden von Fahrgemeinschaften für den Weg zur Arbeit ermöglicht.
2. Versorgung und soziale Infrastruktur: Ärzte machen Sorgen
Lob gab es auch beim Punkt Versorgung und soziale Infrastruktur für das Einzelhandelsangebot, wenngleich die Leerstände in der Stadt auf manch einem roten Kärtchen landeten. Auch für den Schulstandort Stockach gab es Lob. Sorgen macht den Teilnehmern die ärztliche Versorgung, insbesondere was Kinderärzte angeht. Auch fehlende Kindergartenplätze wurden bemängelt. Ein Teilnehmer wünschte sich die Ansiedlung eines Baumarkts und einen Stadtbus.
3. Energie, Umwelt und Klimaschutz: Zu viel Flächenfraß
Im Hinblick auf Energie, Umwelt und Klimaschutz gab es Lob für das Förderprogramm „Natur nah dran“ und dafür, dass sich die Stadt mit den kommunalen Gebäuden schon auf einem guten Weg befinde. Bemängelt wurde, dass es kein Konzept gebe, wie der Flächenfraß auf Null reduziert werden kann. Ein Teilnehmer mahnte an, dass Umgehungsstraßen die Natur um Stockach großflächig zerstören würden. Fassadenbegrünung, Entsiegelung von Flächen, mehr Blühstreifen zur Förderung von Biodiversität, all das stand bei diesem Punkt unter anderem auf der Wunschliste der Teilnehmer.
4. Bauen, Wohnen und Innenentwicklung: Bezahlbarer Wohnraum
Beim Thema Bauen, Wohnen und Innenentwicklung ganz groß waren der Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum auch für Familien, einer guten Entwicklung für die Oberstadt und Konzepten für Mehrgenerationenwohnen. Auf der Schwächen-Seite fand sich auch die Frage, was dagegen getan werden kann, dass Eigentumswohnungen jahrelang leer stehen. Gelobt wurde die angestoßene Innenentwicklung und Nachverdichtung.
5. Freizeit, Kultur und Tourismus: Wenig Angebote für Jugendliche
Im Bereich Freizeit, Kultur und Tourismus heftete ein Teilnehmer den Wunsch an, Volksfeste nachhaltig zu gestalten. Es wurden fehlende Hotelkapazitäten und zu wenige Angebote für Jugendliche bemängelt. Lob gab es für das große Kulturangebot für alle Altersgruppen und für die Planungen zum Projekt Aachpark.
6. Wirtschaft und Arbeit: Gutes Gewerbe, wenig Gastronomie
Beim Thema Wirtschaft und Arbeit wurde von einem Teilnehmer hervorgehoben, dass Stockach ein guter Industriestandort sei und über ein gutes Gewerbe und Arbeitsplatzangebot verfüge. Auf der Wunschliste fanden sich Kommentare wie mehr Gastronomie, umweltfreundlichere Gestaltung von Gewerbeflächen und gleich mehrfach wieder ein gut ausgebauter ÖPNV. Auch wurde angemahnt, Gewerbeflächen nicht überdimensioniert oder auf Vorrat anzulegen.

Das Fazit fällt gemischt aus
Bürgermeister Rainer Stolz zeigte sich zufrieden mit den Anregungen der Teilnehmer und erkannte darin viele Themen wieder, die den Gemeinderat und die Verwaltung ohnehin umtreiben. „Dieser Prozess wird uns noch sehr lange beschäftigen, aber wir haben ein großes Potenzial“, betonte er.
Durchaus kritisch betrachtete Hans Steißlinger die Veranstaltung. Er ist Vorsitzender des Bundes für Umwelt- und Naturschutz (BUND) Bodman-Ludwigshafen-Stockach. Seiner Meinung nach hätte am Anfang die Frage stehen müssen, wie Entwicklung überhaupt definiert wird. „Wir dürfen Entwicklung nicht mehr im Zusammenhang mit Flächenverbrauch sehen. Was wir brauchen, ist eine andere Art der Entwicklung, etwa im Bereich der Kunst und Kultur.“
Die im Rahmen der Veranstaltung gesammelten Wünsche und Anregungen sollen nun in die weitere Erarbeitung des Integrierten Stadtentwicklungskonzepts einfließen. Ein Ergebnis könnte im Herbst vorliegen.