Es ist eine lange Geschichte, auf die die Alt-Stockacherinnen zurückblicken: Mit dem diesjährigen Damenkaffee am Sonntag, 28. Januar, feiern sie ihren 90. Geburtstag. Der Wunsch von Stockacher Frauen, Teil der Narrenzunft zu werden, liegt jedoch bereits über 100 Jahre zurück. Bereits 1922 pochten sie im Narrenblättle auf ihr närrisches Recht auf Aufnahme in die Zunft, nachdem schon am 30. November 1918 mit dem Reichswahlgesetz die gesetzliche Grundlage für das aktive und passive Wahlrecht für Frauen geschaffen worden war. Bis zur Gründung der Alt-Stockacherinnen sollten jedoch weitere zwölf Jahre vergehen.
Frauen drohten mit Streik bei Nichtaufnahme
Dabei hatten die Frauen drastische Maßnahmen in Reimform angedroht: „Sonst streiken wir auf Närinnenehr und rächen an dem Passus uns schwer: Den Narrensamen zu ziehen und zu mehren, wenn ihr das Narrenrecht uns wollt wehren. Und selbst das Grobgünstige Narrengericht kann uns nicht zwingen zur Erfüllung der Pflicht, drum rechnen wir also mit eurer Vernunft, nehmt uns auf in die Narrenzunft!“
Die Antwort kam bereits am Aschermittwoch, wurde aber erst im Narrenblättle 1923 veröffentlicht: „Laßt sie nur streiken! Schon in wenig Tagen werden sie wieder selbst nach Arbeit fragen!“, hieß es darin.

So blieben die Frauen im Publikum und waren im Hintergrund aktiv. Einige schlichen sich in die Stockacher Narrenbücher – ein Privileg, das grundsätzlich bis heute nur Herren zusteht, da man für einen Eintrag Laufnarr sein musste.
Doch als man sah, dass beim Narrentreffen 1933 in der Stadt auch Frauengliederungen teilnahmen, wollte man auch hier fortschrittlich sein. 1934 wurden also die Alt-Stockacherinnen als erste weibliche Fasnachtsgruppe in Stockach durch den Narrenrichter August Rettich gegründet. Seine Ehefrau Augusta habe wohl großen Einfluss darauf genommen, vermutet die heutige Leiterin der Alt-Stockacherinnen, Lea Ossola.
Woher stammt das Häs der Alt-Stockacherinnen?
Beim Häs lehnten sich die Frauen an die alte vorderösterreichische Tracht an, wie es auch die zehn Jahre zuvor gegründeten Alt-Überlingerinnen taten und wie es auch in Meersburg, Reichenau und Villingen zu sehen war. Überall trug man die (Bodensee-)Radhauben als Kopfbedeckung.
1935 ist ein Alt-Stockacher Hochzeitszug dokumentiert. Damals liefen Herren in Knickerbrockern und Gehrock samt Zylinder mit. Jürgen Hohl aus Weingarten, der die Gestelle für die Radhauben anfertigt, resümierte einst dazu: „Die Alt-Stockacherinnen haben ihre Männer und Schürzen verloren.“

Ab 1948 koordinierte Lina Spiegelhalter die Gruppe, für die Leitung war jedoch ein Vertreter des Hohen Grobgünstigen Narrengerichts zuständig. 1960 wurde Rösle Fischer das Amt einer Gliederungsführerin übertragen. Sie leitete die Gruppe 16 Jahre lang, dann wurden die Alt-Stockacherinnen eine eigenständige Gliederung des Narrengerichts mit eigener Satzung und eigenem Vorstandsteam.

Lea Ossola macht klar: „Heute hat jede Gliederung des Narrengerichts acht bis elf Vorstandsmitglieder. Das ist ein riesiges Engagement im Vergleich zu anderen Narrenvereinen, bei denen alle Gruppierungen in einem Verein mit einem gemeinsamen Vorstandsteam zusammengefasst sind.“ Die Alt-Stockacherinnen sind ein reiner Narrenverein und nur an Fasnacht unterwegs.
Die Aufgaben der Gliederung
Zu den Aufgaben sagt Vera Ossola, ehemalige stellvertretende Leiterin, spontan: „Lächeln, winken und Sekt trinken“. Aber es gebe viele Dinge zu tun. „Wir teilen uns mit den Marketenderinnen die Aufgaben beim Empfang am Schmotzige, wir bedienen im Narrenstüble. Wir veranstalten den Damenkaffee, sie den Hemdglonkerball. Wir gehen zum Schnurren, laufen beim Kinderumzug mit, machen Ausflüge für Erwachsene und Kinder, eine Weihnachtsfeier und haben einen Stammtisch.“
Am Schweizer Feiertag verkaufen sie in der Sektlaube des Narrengerichts Erdbeerbowle und wirten in der Vesperstube und für den Winterzauber füllen sie Gewürzbeutel für Glühwein und Glühgin und sind auch an den Ständen dabei.
Leiterin Lea Ossola ergänzt: „Wir haben uns zum Ganzjahresverein entwickelt, auch wenn natürlich viele Aktionen in der Fasnachtszeit laufen. Die Tanzproben der Kinder und Jugendlichen für den Auftritt beim Damenkaffee starten zum Teil im Oktober. Das stärkt den Zusammenhalt.“
Auch über die Arbeit mit dem Narrensome gelingt es, die Kinder an den Verein zu binden. Viele Mädchen bleiben, wenn sie 18 Jahre alt sind. Erst dann werden sie vollständige Mitglieder mit allen Rechten und Pflichten. Die Verknüpfung von Jung und Alt funktioniere bei ihnen gut, es sei aber durchaus eine Herausforderung, allen gerecht zu werden, so Lea Ossola.
Anfänge des Damenkaffees
Der Damenkaffee wurde 1990 von Christa Vollmer und den weiteren Mitgliedern der damaligen Vorstandschaft ins Leben gerufen. Damals wurden keine Eintrittskarten verkauft und bei Saalöffnung drückten sich die Damen regelrecht hinein, erinnert sich Vera Ossola. Die Organisatorinnen seien regelrecht überrannt worden und selbst sehr überrascht von dem großen Interesse gewesen.

Später wurden die Karten im Schreibwarenladen von Hildegard Ratzburg in der Kirchhalde verkauft. „Da bildeten sich Grüppchen, die schon vor fünf Uhr mit Tee und Brezeln für die besten Karten anstanden. Frau Ratzburg öffnete extra früher, weil es draußen kalt war. Im Laden machten die Damen dann so lange selbst Programm, bis der Kartenverkauf losging. Der ehemalige Narrenrichter Karl Bosch kam sogar dazu und spielte für sie auf seiner Quetsche“, so Vera Ossola.
Nachwuchsprobleme haben die Alt-Stockacherinnen nicht: Ihr jüngster Spross ist Lene Schumacher mit einem halben Jahr, die ältesten Mitglieder sind Paula Jährling und Maria Schmid – beide werden dieses Jahr 95. Am längsten ist Anni Winter dabei. Sie ist seit 69 Jahren Mitglied, gezählt wird ab 18 Jahren. In der Liste stehen derzeit 22 Mädchen und 76 Frauen, so Lea Ossola. Wer dazugehören möchte, braucht nicht in der Kernstadt zu wohnen.
Aktuell wollen zwei Anwärterinnen aus Wahlwies Mitglied werden. Sie müssen dafür ein Jahr ohne Tracht das komplette Programm mitmachen. Am Ende des Jahres entscheidet die Vollversammlung, ob sie ihnen die Aufnahme gestattet.