Immer wieder landen in Stockach hochrangige Politiker vor dem Hohen Grobgünstigen Narrengericht. Verurteilt wurden sie alle, mal mehr, mal weniger hart. Doch während einige von ihnen inzwischen keine hohen politischen Positionen mehr bekleiden, haben andere noch ganz ordentliche Sprünge auf der politischen Karriereleiter gemacht.

Bei der Dreikönigssitzung des Stockacher Narrengerichts mutmaßte Narrenrichter Jürgen Koterzyna bereits, dass die diesjährige Beklagte Julia Klöckner noch auf der Bühne der Jahnhalle Ihre Wiederernennung zur Landwirtschaftsministerin erhalten könnte. Schließlich findet die Verhandlung nur vier Tage nach der Bundestagswahl statt. Andere Politiker haben es ihr vorgemacht, wie die inoffizielle Rangliste der Stockacher SÜDKURIER-Redaktion zeigt:

Platz 5: Cem Özdemir

Es war die letzte Verhandlung vor einer zweijährigen Corona-bedingten Pause: Im Jahr 2020 war Cem Özdemir (Grüne) als Beklagter geladen. Seine Funktion damals: Ausschussvorsitzender für Verkehr und digitale Infrastruktur im Deutschen Bundestag. Das Strafmaß betrug zwei plus einen Eimer (180 Liter) Wein und einen VHS-Kurs zum Tütenbauen für das Kollegium.

Im Zuge der Bundestagswahl 2021 bekam der gebürtige Baden-Württemberger den Posten des Bundesministers für Ernährung und Landwirtschaft der Bundesrepublik Deutschland. Nach dem Ausscheiden der FDP-Minister aus der Regierungskoalition bekam Özdemir im November 2024 zusätzlich das Amt des Bundesministers für Bildung und Forschung übertragen. Ob Özdemir zukünftig den Posten des baden-württembergischen Ministerpräsidenten bekleiden wird, wird sich bei der Landtagswahl im kommenden Jahr zeigen. Özdemir tritt dabei als Spitzenkandidat für die Grünen an.

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Platz 4: Kurt Georg Kiesinger

Den Beklagten auf Platz vier der inoffiziellen SÜDKURIER-Rangliste kennt manch einer nur noch aus den Geschichtsbüchern. Der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger war im Jahr 1965 in seiner Funktion als Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg vor das Narrengericht zitiert worden. Wie hoch das Strafmaß ist, zu dem er verurteilt wurde, dazu finden sich auf der Internetseite des Narrengerichts keine Angaben.

Seinem politischen Ansehen hat die Verurteilung in Stockach jedoch offenbar nicht geschadet. Nur wenige Monate später wurde Kiesinger zum dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland ernannt. Damit war er einer der wichtigsten Männer in der noch recht jungen Bundesrepublik.

Empfang am Schmutzigen Donnerstag, 25. Februar 1965, vor dem Rathaus in der Hauptstraße. Von links: Gerichtsnarr Heinrich Schappeler, ...
Empfang am Schmutzigen Donnerstag, 25. Februar 1965, vor dem Rathaus in der Hauptstraße. Von links: Gerichtsnarr Heinrich Schappeler, der Beklagte Kurt Georg Kiesinger, ein Laufnarr, die Gerichtsnarren Willi Kempter, Willi Lippert, Hans Letzelter (Büttel), Walter Hepp und Otto Anemüller (Narrenrichter). | Bild: Thomas Warndorf/ Archiv

Platz 3: Roman Herzog

Einen ranghohen Juristen hatten die Stockacher Narren 1989 zu Gast, nämlich den Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Roman Herzog (CDU). Auch wenn es in der Bundesrepublik offiziell keine feste protokollarische Rangfolge gibt, so gilt diese Position laut Bundesregierung als Platz fünf in der Rangfolge der Ämter. Für Roman Herzog war damit noch nicht das Ende der Karriereleiter erreicht, denn nur fünf Jahre nach seiner Verurteilung in Stockach wurde er in das höchste Amt im Staat gewählt. Von 1994 bis 1999 war Herzog der siebte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland.

Bundespräsident Roman Herzog (Archivbild vom 17.12.1997).
Bundespräsident Roman Herzog (Archivbild vom 17.12.1997). | Bild: Martin_Athenstädt/ dpa

Platz 2: Frank-Walter Steinmeier

Frank-Walter Steinmeier (SPD) ist seit dem 19. März 2017 der zwölfte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland. Lange bevor er in dieses Amt gewählt wurde, war er schon als Beklagter in Stockach. Das war im Jahr 2011. Steinmeier war damals Fraktionsvorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion, geladen war er auch als ehemaliger Bundesaußenminister und Vizekanzler. Diese Posten hatte Steinmeier von 2005 beziehungsweise 2007 bis 2009 unter Bundeskanzlerin Angela Merkel inne. Beide Ämter musste er nach der Bundestagswahl 2009 wieder abgeben.

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Von 2013 bis 2017 war Steinmeier erneut Außenminister, bevor er noch im selben Jahr zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. An die Fasnacht in Stockach hat er noch gute Erinnerungen, wie er auf Nachfrage schildert:

„14 Jahre ist es her, aber die anderthalb Tage in Stockach habe ich noch vor Augen als wäre es gestern gewesen: den Zug durch die Stadt mit dem Narrenbaum, die Aufstellung des Baumes vor einer großen Zuschauermenge am Nachmittag, den Einzug ins Gericht, die unnachgiebigen Ankläger, das ungerecht harte Urteil (270 Liter Wein, Anm. d. Redaktion), vor allem aber die vielen herzlichen Menschen und ein ausgelassen fröhliches Publikum. Ich freue mich, dass der Kontakt geblieben ist – auch nach so vielen Jahren. Sogar Besuch vom Narrengericht hatten wir im Schloss Bellevue.“

Beim Berlinbesuch des Narrengerichts gab es 2023 ein Wiedersehen mit dem ehemaligen Beklagten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ...
Beim Berlinbesuch des Narrengerichts gab es 2023 ein Wiedersehen mit dem ehemaligen Beklagten Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (rechts). | Bild: Claudia Ladwig

Fasnacht zeigt Entwicklung von Presse- und Meinungsfreiheit

Insgesamt habe die Fasnacht auch heute noch eine wichtige Funktion. „Früher war es ein Privileg der Narren, den Mächtigen während der Fastnacht den Spiegel vorzuhalten. Es war allerdings eine Freiheit, die es nur während dieser ganz besonderen Wochen des Jahres gab. Heute herrscht in Deutschland Meinungs- und Pressefreiheit, sodass es zu jeder Zeit möglich ist, die Mächtigen zu kritisieren“, so Steinmeier weiter. Während der Fastnacht und auch beim Stockacher Narrengericht werde die Kritik bis heute oft auf besonders originelle und humorvolle Weise geäußert.

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Platz 1: Angela Merkel

Es war das Jahr 2001, als in Stockach die Bundesvorsitzende der CDU als Beklagte vor das Narrengericht geladen wurde. Ihr Name: Angela Merkel. Was damals noch keiner ahnen konnte, war, dass diese Beklagte einmal als eine der mächtigsten Frauen der Welt gehandelt werden würde. Im November 2005 wurde Merkel zur Bundeskanzlerin gewählt. Sie war nach sieben Männern die erste Frau, die es in dieses wichtige Staatsamt geschafft hat. Den Posten der Bundeskanzlerin behielt sie für 16 Jahre.

Wenngleich das Amt der Bundeskanzlerin protokollarisch nicht das höchste Amt im Staat ist, so ist es doch das mit der größten Außenwirkung, auch auf internationaler Ebene. Geschafft hat Merkel diesen Karrieresprung trotz Vorstrafe in Stockach. Vom Narrengericht wurde sie zu einem Strafmaß von eineinhalb Eimern Wein verurteilt. Da die Bezahlung der Strafe sehr lange auf sich warten ließ, kam am Ende ein weiterer Eimer Verzugszinsen hinzu. Insgesamt musste die spätere Kanzlerin damit 150 Liter Wein an die Stockacher Narren liefern.