Am Ende ging es aus wie immer: Der Beklagte wird von den Gerichtsnarren zu einer saftigen Weinstrafe verdonnert. Drei Eimer österreichischen Maßes – immerhin 180 Liter Wein – muss Grünen-Politiker Cem Özdemir bis zum Stadtfest Schweizer Feiertag im Sommer nach Stockach bringen. Dabei war er nur in einem der drei Klagepunkte von Kläger Wolfgang Reuther schuldig gesprochen worden.
Begonnen hatte die Verhandlung des Narrengerichts dafür wie noch nie: Bevor diese begann, wandte sich Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der in der Verhandlung eigentlich nur als Zeuge hätte auftreten sollen, an die Zuschauer in der restlos ausverkauften Jahnhalle. Er hielt eine kurze Rede zum Anschlag in Hanau mit elf Toten, bei dem die Ermittler von einem rechtsradikalen Tatmotiv ausgehen. „Solche Taten sind ein Angriff auf den inneren Frieden“, sagte Kretschmann. „Unser Fest, das wir heute Abend feiern, ist die richtige Antwort auf solche Taten von Fanatismus und Hass.“ Auch scharfe Eingangskontrollen bei den Veranstaltungen des Narrengerichts gehörten zum Bild an einem Tag, an dem viele aufmerksamer waren als sonst.

Wolfgang Reuther bringt drei Klagepunkte vor
Die drei Klagepunkte von Wolfgang Reuther lauteten: aktive Sterbehilfe in mehreren Fällen, gewissenloser Opportunismus und Vorteilsnahme im Amt. In Sachen Sterbehilfe führte CDU-Mitglied Reuther beispielsweise das Ende der Verhandlungen für eine Jamaika-Koalition nach der jüngsten Bundestagswahl an, das er flugs Özdemir in die Schuhe schob.
In Sachen Opportunismus nahm Reuther aufs Korn, dass Özdemir als Sohn türkischer Gastarbeiter rasch Anschluss an bessere Kreise gefunden habe – inklusive Anspielungen zum türkisch-schwäbischen Hintergrund des Beklagten wie „Spätzletürke“ oder „Dönerschwabe“. Nach Philipp Rösler war Özdemir erst der zweite Beklagte mit Migrationshintergrund. Und zum dritten Punkt griff Reuther auf die Affären um Vielfliegermeilen und ein vergünstigtes Darlehen des Lobbyisten Moritz Hunzinger zurück.
Dem hielt Fürsprech Michael Nadig entgegen, dass Christian Lindner und die FDP die Jamaika-Koalitionsgespräche hätten platzen lassen: „Wenn alle so beweglich gewesen wären wie der Beklagte, säße hier jetzt der deutsche Außenminister.“ Was Beweglichkeit und Opportunismus angehe, so könnte Kanzlerin Angela Merkel durchaus mit Özdemir mithalten.
Und zum dritten Punkt bemerkte Nadig, dass Özdemir die Fluggesellschaften nur möglichst stark schädigen wollte, und sei es durch die Weitergabe der Bonusmeilen. Zur Affäre um Moritz Hunzinger brachte Nadig ein erhofftes Date mit Michelle Hunziker ins Spiel – und ließ den feinen Unterschied bei der Schreibung des Namens unter den Tisch fallen. Auch Kretschmann sprang Özdemir als Zeuge bei.
Özdemir verteidigt sich mit einer furiosen Rede
Özdemir verteidigte sich in einer furiosen Rede, an deren Beginn er ebenfalls an die Opfer des Anschlags von Hanau erinnerte. Stürmischen Applaus erntete er für den Wunsch, dass 2020 das Jahr werde, „in dem wir den rechtsradikalen Sumpf online wie offline austrocknen“. Zum Gegenstand der Verhandlung bezeichnete er sich als „ewiges Talent“ der Bundespolitik, „immer kurz vor dem Durchbruch“. Das Ende von Jamaika, sein Werk? „Ich glaube, es hackt“, sagte Özdemir an die Adresse Reuthers. Zumal es seitdem für ihn heiße: „Ämterlos durch die Nacht.“

Doch im Vergleich zum Politzirkus in Thüringen seien in Stockach ja Profis am Werk, die wüssten, dass an Aschermittwoch alles vorbei ist. Und auch für die Klage gegen Annegret Kramp-Karrenbauer nahm Özdemir den Kläger aufs Korn: „Letztes Jahr haben Sie die eigene Vorsitzende angeklagt. Jetzt sehen Sie ziemlich alt aus.“ Den Vorwurf des Opportunismus verfrachtete Özdemir in die Kategorie „Radio Erdogan“. Und Vorteilsnahme im Amt? „Ich hab doch gar keins.“ Der Kläger hätte wohl lieber den grünen Zausel im Baum als den grünen Kretschmann im Staatsministerium. Stürmischer Applaus im Saal.
Die Gerichtsnarren befanden Özdemir am Ende trotzdem für schuldig – wenn auch nur im dritten Klagepunkt. Und weil sich der Beklagte bei diesen Affären habe erwischen lassen, erhöhte Narrenrichter Jürgen Koterzyna noch während der Urteilsverkündung das Strafmaß von zwei auf drei Eimer Wein österreichischen Maßes – einer davon in weiß und zwei in rot abzuliefern.