Im Stadtarchiv von Stockach liegen viele Schätze. Christopher Wangenheim, der seit dem vergangenen Jahr Archivar im Stadtarchiv Stockach ist, und Archivleiter Johannes Waldschütz wissen das. Daher arbeiten sie gemeinsam mit anderen Stadtarchiven daran, die Juwelen der Vergangenheit aufzupolieren und fit für die Zukunft zu machen.
Wie? Zum Beispiel mit der Digitalisierung historischer Tageszeitungen, die dann jeder im Internet anschauen kann. Und von denen gab es in Stockach so einige. Zwischen 1803 und 1945, also bevor es den SÜDKURIER gab, existierten nacheinander oder teils parallel mehrere Zeitungen in Stockach. Die eine ging manchmal aus der anderen hervor und sie waren noch nicht das, was heute Tageszeitung genannt wird.
Die Zeitungen seien in unterschiedlich guten Zuständen, was teilweise auch der Art und Qualität des Papiers geschuldet sei. „Je nach wirtschaftlicher Lage in den Weltkriegsjahren wird die Qualität deutlich schlechter“, erklärt Waldschütz. In 100 Jahren werde Manches nicht mehr zu lesen sein. Es gebe bereits jetzt das Problem, dass hier und da Seiten am Zerbröseln seien. Die Digitalisierung dient also der Bestandserhaltung.
Stichwortsuche soll möglich sein
Mit dem Einscannen und Einstellen ins Internet sei auch eine Recherchemöglichkeit verbunden: Damit jeder, der wissen möchte, was in Stockach vor 100 Jahren los war oder zum Beispiel Vereinsgeschichte erforschen möchte, die Zeitungen anschauen könne. Man werde auch durch Worterkennung nach Begriffen suchen können, selbst in Frakturschriftarten. „Das ist eine ganz tolle Sache.“ Das koste zwar, aber man habe sich dafür entschieden.

Die Idee, historische Zeitungen aus dem Stadtarchiv digitalisieren zu lassen, habe es schon seit ein paar Jahren gegeben, erzählt Waldschütz. Die erste Initiative sei vom Kreisarchivar Friedemann Scheck ausgegangen. Waldschütz habe dann im vergangenen Jahr vom Förderprogramm Wissenswandel gehört. Scheck und er hätten den Antrag gemeinsam initiiert und Jürgen Klöckler vom Stadtarchiv Konstanz ins Boot geholt. Nur das Archiv in Radolfzell sei noch nicht dabei, da alles zu schnell gegangen sei.
Eine externe Firma habe das Einscannen übernommen, aber für das Konstanzer Stadtarchiv sei auch ein Scanner angeschafft worden, mit dem künftig digitalisiert werden könne. Bei den kleinformatigen Medien, die zu Büchern gebunden sind, sei das nur durch die Bindung nicht so einfach wie bei großen Bänden und Formaten wie späteren und heutigen Zeitungen.
Bisher 80.000 Scans aus Stockach
Inzwischen seien rund 300.000 Zeitungsseiten erfolgreich eingescannt worden, davon rund 80.000 vom Nellenburger Boten in Stockach. Der Nellenburger Bote liege von 1861 bis 1935 komplett digitalisiert vor, so Waldschütz. Aufgrund günstiger Angebote sei es möglich, dieses Jahr insgesamt 400.000 Seiten kreisweit zu erfassen.
Nächstes Jahr solle es weitergehen. Bis Interessierte die historischen Zeitungen am Computer oder Tablet durchschmökern können, dauere es aber noch bis in den Herbst. Es müsse erst noch alles eingerichtet werden.
„Wir haben in Stockach eine ziemlich reiche Presselandschaft, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts losgeht mit dem Nellenburger Landboten“, erzählt Waldschütz. Stockach sei bereits Amtsstadt gewesen, als die Stadt noch zu Vorderösterreich gehört habe. Die erste Stockacher Zeitung im Jahr 1803 war eigentlich so etwas wie ein Amtsblatt. Es hatte ein Format, das mit A5 vergleichbar wäre, und umfasste zwei bis drei Seiten. Aber damit begann die Zeitungsgeschichte der Stadt.

Wo im Stadtarchiv Lücken sind
Doch obwohl im Stadtarchiv zahlreiche Bände dieser und späterer Zeitungen liegen, fehlen bis heute noch die ersten beiden Jahre – 1803 und 1804. Laut Waldschütz gehe es erst mit 1805 und 1806 in Kopien aus dem Gräflich Bodman‘schen Archiv los. „Da sieht man, wie wichtig es ist, dass Archive diese Zeitungsbände bewahren.“
Er und Wangenheim sind noch auf der Suche nach den fehlenden Jahrgängen oder Einzelexemplare dieser und anderer Zeitungen. Auch vom ersten Halbjahr 1848, also der Zeit, als Friedrich Hecker in Stockach war, fehlen Ausgaben der damaligen Zeitung Landbote. Das sei eine empfindliche Lücke und sehr schade.
Und so entstand die erste Zeitung: Christian Schgör habe sich 1803 in Stockach niedergelassen und die Erlaubnis erhalten, den Nellenburgischen Landboten herauszugeben. Er sei aber bald gestorben und Johann Baptist Amann habe die Zeitung übernommen, nachdem er Schgörs Witwe geheiratet hatte. Amann sei zum Herausgeber des Nellenburgisches Intelligenzblatts geworden, so der neue Name der Zeitung. Damals sei ein reines Verkündigungsblatt zugelassen gewesen. So stand in einer Ausgabe zum Beispiel die Nachricht, dass die Erzherzogin einen Sohn zur Welt gebracht habe – gefolgt von Verordnungen und Annoncen. „Das sind tolle Quellen, aber es ist keine Zeitung. Das ist das ‚Stockach Informiert‘ seiner Zeit“, so Waldschütz.

1935 kam ein großer Einschnitt
Auch in der weiteren Entwicklung des Stockacher Zeitungswesens gab es den Fall, dass ein Nachfolger die Witwe geheiratet hat oder politische Entwicklungen Einfluss hatten. Zeitungen und Namen änderten sich. Um die Jahrhundertwende sei dann neben dem Nellenburger Boten eine zweite Zeitung entstanden – der katholische Stockacher Anzeiger. Der liberale Nellenburger Bote habe sich ab 1907 unter dem neuen Herausgeber Karl Willi in Stockacher Tagblatt umbenannt, aber den Untertitel Nellenburger Bote weitergeführt. „Da sieht man wirklich, wie reich diese Zeitungslandschaft war – alleine mit zwei Zeitungen in Stockach“, sagt Waldschütz.
Als 1935 das Tagblatt eingestellt worden sei, sei dies das Ende der eigenständigen Stockacher Zeitungslandschaft gewesen, denn der SÜDKURIER, den es seit September 1945 gibt, habe zwar einen Lokalteil, aber sei keine eigene Stockacher Zeitung.