Ein Vorstoß der Stockacher Stadtverwaltung hat viele Bürgerinnen und Bürger von Wahlwies aufhorchen lassen: Durch eine Änderung des Flächennutzungsplans soll es in einem rund 160 Hektar großen Gebiet westlich des Orts möglich werden, in Zukunft Agri-Photovoltaikanlagen (Agri-PV) zu bauen. Die Aussicht, dass irgendwann Photovoltaik-Module über Apfelplantagen aufgestellt werden könnten, zog rund 50 Bürgerinnen und Bürger zu einem Informationsabend der Stadtverwaltung in das Foyer der Roßberghalle, bei dem Experten verschiedene Aspekte erläuterten. Dabei ging es einerseits um die Technik, aber auch das Prozedere, bis solche Anlagen in Wahlwies entstehen könnten.
Flächen doppelt nutzen
Verglichen mit Freiflächen-Photovoltaik ist die Agri-PV noch ein vergleichsweise junges Feld. Durch diese Technik soll es möglich werden, bestimmte landwirtschaftliche Flächen doppelt zu nutzen, indem spezielle lichtdurchlässige Photovoltaikmodule über Anbauflächen für Obst oder Gemüse aufgestellt werden. „Agri-PV ist eine gute Möglichkeit, Flächen für die Landwirtschaft nutzbar zu halten und gleichzeitig Strom zu erzeugen“, betonte Bürgermeisterin Susen Katter in ihrer Begrüßung.

Einer, der gemeinsam mit seinem Team bereits Erfahrungen mit dieser Technologie sammeln konnte, ist Ulrich Mayr vom Kompetenzzentrum Obstbau Bodensee. In Kressbronn betreibt die Einrichtung seit sechs Jahren eine Versuchsanlage.
Weniger Pflanzenschutzmittel erforderlich
Dabei hätten sich laut Mayr zahlreiche Synergien ergeben. Neben der doppelten Landnutzung, bei der oben Strom und unten Obst produziert werden kann, kämen weitere Vorteile hinzu. So werden etwa die Obstbäume vor Hagel oder Sonnenbrand geschützt. „Wir haben auch festgestellt, dass wir dadurch Pflanzenschutzmittel sparen können, weil die Pflanzen nicht mehr komplett nass werden“, so Mayr. 30 bis 40 Prozent an Spritzmitteln gegen Pilzkrankheiten habe man an der Versuchsanlage einsparen können.
Anhand einer Luftaufnahme des Geländes, auf dem sich die Anlage in Kressbronn befindet, zeigte Mayr auf, dass die Agri-PV verglichen zu den jetzt schon weit verbreiteten Hagelnetzen keinen großen optischen Unterschied macht. „Von 8000 Hektar Apfelanbauflächen am Bodensee sind derzeit 6000 Hektar unter Hagelnetzen. Wenn wir diese 6000 Hektar durch Agri-PV ersetzen würden, dann wäre Strom für uns in der Region ein Abfallprodukt“, so Mayr.
Nicht alle Sorten gedeihen unter Agri-PV
Doch es gebe auch Nachteile. So seien die Anlagen deutlich teurer als vergleichbare Freiflächen-PV-Anlagen, weil für die Unterkonstruktion viel mehr Stahl benötigt werde. Zudem habe man festgestellt, dass die Ausreifung der Früchte unter Agri-PV etwas später erfolgt als unter Hagelnetzen. Auch sei der Ertrag je nach Sorte um 20 bis 40 Prozent geringer. „Wir müssen sehr genau schauen, welche Sorten für den Anbau unter Agri-PV geeignet sind und welche nicht“, betont Mayr.
Das bestätigt auch Mark Kugel vom Startup-Unternehmen Sonntag Energy. „Wir müssen so ehrlich sein, dass das nicht mit jeder Kultur funktioniert. Man muss also schauen, wo die Synergien am höchsten sind“, so Kugel. Sonntag Energy plant und baut Photovoltaikanlagen für Landwirte. Dass nicht alle Pflanzen unter Agri-PV gedeihen, ist aus Kugels Sicht allerdings kein Problem, denn „rechnerisch würden vier Prozent der landwirtschaftlichen Flächen für Agri-PV genutzt, dann würde das ausreichen, um Deutschland komplett mit Strom zu versorgen.“
Als Ausgleich dafür, dass mit Photovoltaik je nach Wetterverhältnissen nicht immer konstant Strom erzeugt werden kann, so wie es die Verbraucher benötigen, würden schon jetzt immer mehr Großspeicher gebaut und Strategien erarbeitet, wie der Stromverbrauch besser gesteuert werden kann. Beispielsweise dadurch, dass E-Autos vor allem zu Zeiten geladen werden, wo viel Strom erzeugt wird, und dieser dementsprechend billig ist, erklärt Kugel.
Es gibt noch andere Probleme
Eine Schwierigkeit, die bei Agri-PV Anlagen besteht, ist der Transport des Stroms zum nächsten Netzanschlusspunkt. „Pro Meter Mittelspannungskabel fallen ungefähr 200 bis 300 Euro an Kosten an“, so Kugel. Wie Lars Heinzl, Leiter des Stockacher Stadtbauamts, erklärt, sei das auch mit Blick auf die 160 Hektar in Wahlwies ein Problem. „Wenn tatsächlich die ganze Fläche für Agri-PV genutzt würde, bräuchte es wahrscheinlich ein eigenes Umspannwerk“, so Heinzl. Ulrich Mayr zweifelt indes daran, dass überhaupt die kompletten 160 Hektar mit Photovoltaik ausgestattet werden. Doch bis überhaupt eine erste Anlage gebaut werden kann, wird es noch eine ganze Weile dauern.
Denn zunächst einmal gelte es, den Flächennutzungsplan zu ändern. Dieser lege fest, in welchen Gebieten beispielsweise neue Baugebiete, Industrieanlagen, Erholungsflächen oder eben auch Photovoltaikanlagen entstehen könnten. Ein Recht, dort tatsächlich zu bauen, entstehe daraus allerdings noch nicht. Hierfür brauche es einen Bebauungsplan. Das Verfahren, bis es überhaupt so weit kommen könne, dauere mindestens zwei Jahre und sehe mehrfach eine Beteiligung der Öffentlichkeit vor, in deren Rahmen jeder seine Bedenken und Einwände zu einem solchen Projekt offiziell einreichen könne.
Erweiterung des Industriegebiets stößt auf wenig Gegenliebe
Auf die Fläche in Wahlwies sei man nicht zuletzt wegen einer geplanten Erweiterung des Industriegebiets Hardt gekommen. Dieses soll in Richtung Südosten über die Autobahn hinweg bis zur Kreisstraße erweitert werden. „Unsere Gewerbegebiete sind im Wesentlichen voll. Trotz der allgemeinen wirtschaftlichen Lage haben wir immer noch große Nachfrage nach Gewerbeflächen“, so Heinzl. Für die Erweiterung rechne er mit einem Zeithorizont von zehn bis 20 Jahren.
Genau dieser Punkt stieß bei einigen Besuchern des Infoabends auf wenig Gegenliebe. Obwohl in vielen Wortmeldungen deutlich wird, dass man dem Ausbau von regenerativen Energien nicht grundsätzlich negativ gegenüber eingestellt sei, gibt es hauptsächlich mit der Verknüpfung des Hardt-Ausbaus viel Kritik. „Mit dem Industriegebiet Hardt, der Kiesgrube und den Gewächshäusern haben wir schon genug rund um Wahlwies“, betonte ein Bürger. Eine andere Bürgerin macht sich Sorgen, dass der Fremdenverkehr ausbleiben wird, wenn das Industriegebiet noch näher heranrückt und zusätzlich auch noch Agri-PV-Anlagen gebaut werden.