Es ist ein Thema, das spätestens mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges an Aktualität wieder zugenommen hat: Die Unterbringung von Flüchtlingen in den Gemeinden der Region, auch in Stockach. In der Stadt leben derzeit über 300 Flüchtlinge. Im Hauptausschuss berichteten jüngst mehrere Verantwortliche über die schwierige Situation: Mesud Mujezinovic vom Amt für Migration und Integration im Landkreis Konstanz, der sein Büro in der Gemeinschaftsunterkunft hat, sowie Anja Selke und Melanie Zimmermann von der Caritas Singen-Hegau und Ursula Vaterlaus, die als Integrationsbeauftragte für die Stadt arbeitet und seit Kriegsbeginn unterstützend für die Verwaltung tätig ist.
Große Schwierigkeiten besonders zu Beginn
Mesud Mujezinovic ist seit Februar Integrationsmanager in Stockach. Eigentlich sollte er Menschen helfen, die 2015 und 2016 nach Deutschland gekommen waren. Bei ihnen ging es um Anschlussunterbringung, Integration durch Sprache und Hilfe bei der Arbeitssuche. Als verstärkt Menschen aus der Ukraine kamen, musste er diverse Anträge stellen und bei der Unterbringung und Wohnungssuche helfen. „Es gab große Schwierigkeiten, weil es eine große Menge von Menschen war, die den ersten Kontakt mit diesem Land, seinen Gesetzen und Abläufen hatten“, erklärte er.
Anja Selke ist seit 2019 in Stockach für die Caritas zuständig für die Migrationsberatung erwachsener Zuwanderer ab 27 Jahren. Ihre Kollegin Melanie Zimmermann arbeitet im Jugendmigrationsdienst für Personen ab zwölf Jahren. Sie arbeiten für Menschen aus der EU und Drittstaaten, aber auch für Geflüchtete, die gute Bleibeaussichten hätten. Ein wesentliches Thema ist die Sprache, wie Selke sagte: „Sie wollen Deutsch lernen. Wir helfen, Anträge zu stellen und den Kontakt zu Sprachschulen herzustellen.“
Regelungen ändern sich fast täglich
Als die Zahl der Klienten ab März gestiegen sei, habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge schnell signalisiert, dass sie auch für deren Beratung zuständig seien. Daher arbeiteten sie eng mit den Integrationsmanagern zusammen. Anja Selke machte deutlich: „Viel Zeit kostet, dass sich nahezu täglich Regelungen und Gesetzgebungen ändern.“
Die gute Nachricht: Es gibt ein großes Netzwerk zur Unterstützung von Geflüchteten. Ursula Vaterlaus bündelt die Hilfsangebote als Integrationsbeauftragte der Stadt. Sie sagte, sie erlebe bei den ukrainischen Flüchtlingen sehr fordernde Menschen, aber auch ganz bescheidene. „Es gibt viele Spannungen unter den Leuten selber, das macht die Hilfe kompliziert und herausfordernd.“
Ohne Versicherung fühlen Ärzte sich nicht zuständig
Sie berichtete auch von Müttern mit behinderten Kindern. „Die große Schwierigkeit war, die Menschen überhaupt in medizinische Behandlung zu bringen. Wir fanden wenig Gehör in den Praxen im Landkreis und mussten für ein Rezept bis nach Ulm fahren. So lange die Ukrainer nicht versichert waren, fühlten sich die Ärzte nicht verantwortlich.“
Das Krankenhaus Stockach nahm die Integrationsbeauftragte von ihrer Kritik aus. Hier habe man sich um Kinder mit hochakuten Krankheitsbildern sofort gekümmert und sie gegebenenfalls an weitere Kliniken verwiesen wie das Olga-Krankenhaus in Stuttgart. Auch die Kindernotaufnahme des Gesundheitsverbundes Landkreis Konstanz habe geholfen.
Es braucht auch Hilfe für die Helfer
Ohne die vielen privaten Unterbringungen wäre die Stadt vollends überfordert, betonte Ursula Vaterlaus: „Es ist großartig, was hier geleistet wird.“ Aber gebe Abnutzungserscheinungen und Ermüdungserscheinungen bei den Gastgebern, sodass sie einen ersten Gesprächskreis für private Unterbringer angeboten habe. Dort könnten die Helfer sich austauschen und gegenseitig weiterhelfen.
Auch ohne die Mitarbeit zahlreicher weiterer freiwillige Helfer würde man untergehen, so Vaterlaus. „Dort sind auch Frauen, die selbst indirekt betroffen sind, weil Eltern oder Geschwister noch in der Ukraine sind.“ Auch hier gab es kürzlich einen Gesprächskreis, der künftig alle 14 Tage stattfinden soll. „Es ist spürbar, dass es zu Sekundär-Traumatisierungen kommen kann. Die Übersetzer sind oft sehr bewegt beim Übersetzen, sodass die, die Hilfe brauchen, sich um die sorgen, die übersetzen.“
Sie nannte als weitere große Unterstützung speziell die Kulturbrücke, die sich enorm engagiere. Sie berichtete, sie habe sich auch mit beiden Pfarrern getroffen, um zu besprechen, wie sie mit schlechten Nachrichten umgingen. Zum Glück sei den Angehörigen der hier lebenden Geflüchteten bisher, sofern sie das wisse, nichts passiert.
Zu wenig Betreuungsplätze für Kinder
Neben der Situation der Geflüchteten treibt die Integrationsbeauftragte auch der Mangel an Kindergartenplätzen um. Es gebe vermehrt Rückmeldungen überforderter Mütter, die ihre Kinder über Stunden allein ließen. Dass es auch nach den Sommerferien nicht mehr Plätze gebe, mache ihr Bauchweh. Auch Sprachkurse seien ein Problem, man müsse sehr lange warten, bis Plätze frei wären.
Ursula Vaterlaus schloss vorsichtig optimistisch: „Es gibt viel zu tun. Das Bündeln ist schwierig, aber wir kommen langsam aus der Chaosphase heraus und sehen allmählich Land am Ende des trüben Wassers.“
Räte zeigen sich beeindruckt
Claudia Weber-Bastong (SPD) war erstaunt über das vielfältige Angebot. Ihr Kollege Christoph Stetter (CDU) fand es unglaublich, was in der Kürze auf die Beine gestellt wurde. Man vergesse leicht, dass es auch vorher schon eine herausfordernde Situation gab. Er sprach allen Rednern großen Dank aus und regte an, ähnlich der Tischmesse für Gewerbetreibende eine Messe für die sozialen Angebote zu veranstalten. Da könne man Kulturbrücke, Tafel, Vereine und alle, die Integrationsarbeit leisteten, miteinander ins Gespräch bringen. Ursula Vaterlaus stimmte dieser Idee zu.
Maria Luisa Jessen (Grüne) war sehr beeindruckt und wünschte allen viel Geduld und Erfolg, während Wolf-Dieter Karle (FWV) sich über das seit 2015 entstandene Netzwerk freute. Einige Menschen habe man in Arbeit gebracht. Er bekräftigte: „Sprache ist der Eintritt in alles, was wir in Deutschland für Flüchtlinge tun können. Ohne Sprache wird es nicht funktionieren.“ Er dankte insbesondere Ursula Vaterlaus für ihr verbindendes Engagement und sicherte die Unterstützung des Gemeinderats zu.
Integrationsbereitschaft ist überdurchschnittlich
Abschließend lobte Pfarrer Rainer Stockburger, Gemeinderat der FWV, Hauptamtsleiter Hubert Walk für seinen großen Einsatz. Er sagte auch, er sei mit seinem katholischen Kollegen im Gespräch, um den Bedarf in Bezug auf die religiöse Situation zu klären. Bürgermeister Rainer Stolz sprach der Stadt als Gesamtheit seinen Dank, Respekt und große Anerkennung für ihre Bereitschaft aus, Menschen aufzunehmen. „Wenn 17.500 Einwohner über 300 Flüchtlinge aufnehmen, ist die Integrationsbereitschaft der Stadt überdurchschnittlich.“